„Wir können von Glück sagen, dass niemand von uns darüber verrückt geworden ist“
Mit „Geheimplan gegen Deutschland“ hat Correctiv die Recherche des Jahres geleistet – das Team wurde von der „medium magazin“-Jury zu den „Journalistinnen und Journalisten des Jahres gewählt. Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels, die stellvertretende Chefredakteurin Anette Dowideit und Undercover-Reporter Jean Peters im Gespräch über ihren Scoop und die Folgen. Das vollständige Interview finden Sie exklusiv im „medium magazin“ 06/24.
Interview: Frederik von Castell & Annette Milz
Fotos: Christoph Soeder
Zum Jahrestag der Veröffentlichung „Geheimplan gegen Deutschland“ am 10. Januar 2025 wollen Sie Bilanz ziehen – mit einem großen Fest in einer Hamburger Kulturfabrik und „ja, doch, feiern!“, inklusive Tanzen. Was gibt es denn aus Ihrer Sicht zu feiern?
Jean Peters: Was es rational betrachtet zu feiern gibt? Relativ wenig. Aber wir können trotzdem sehen, wie viel seit der Recherche passiert ist. Ich glaube, der Diskurs hat sich grundsätzlich verschoben, Gefahren werden ernst genommen.
Und zum Emotionalen: Wir brauchen das Feiern, um weiterarbeiten zu können. Das war auch während der Recherche so: Wir haben trotz des bitteren Themas oft viel gelacht. Es geht gar nicht anders. Harte Zeiten überlebt man nur, indem man ab und zu auch mal anstößt, lacht, sich entspannt.
Anette Dowideit: Ich sehe schon, dass es etwas zu feiern gibt. Sehr viele Menschen, die vorher völlig unpolitisch waren, haben erstmals in ihrem Leben demonstriert und erkannt: Sie sind Teil der Demokratie und müssen Verantwortung dafür übernehmen, aktiv an ihr mitzuwirken, nicht nur einfach alle paar Jahre mal an die Wahlurne zu gehen.
Sie sprechen es bereits an: Nach der Veröffentlichung Ihrer Recherche sind über Wochen Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen die AfD und Rechtsextremismus zu demonstrieren. Ist das Ihr Verdienst?
Justus von Daniels: Diese Welle an Demonstrationen hat uns wirklich sprachlos gemacht und überwältigt. Aber nein, unser Verdienst war das nicht. Eine journalistische Recherche allein führt nicht dazu, dass dreieinhalb Millionen Menschen auf die Straße gehen.
Was war es dann?
von Daniels: Ein Erklärungsversuch ist, dass diese Recherche der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat: Schon vorher waren der Unmut und die Angst sehr groß, dass da gerade etwas Dramatisches passiert, dass die AfD offensichtlich Machtoptionen bekommt, dass dahinter Kräfte stehen, die sehr gefährlich sein können für diese Gesellschaft.
Dowideit: Das Rheingold Institut in Köln hat untersucht, was die Demonstrationen tatsächlich ausgelöst haben. Es gab vorher eine gefühlte Ohnmacht in der Gesellschaft, bedingt durch Corona und auch Russlands Krieg in der Ukraine. Unser Bericht hat dann offenbar wie ein Weckruf gewirkt. Plötzlich hatten viele Menschen das Gefühl, dass sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können.
Peters: Hinzu kommt der biografische Bezug der Deutschen zu dem Thema: Entweder du hast Migrationshintergrund, oder du hast Nazihintergrund. Es ist also keine Masse, die nach einem Artikel auf die Straße geströmt ist. Jeder einzelne Mensch hat das für sich entschieden.
Aber trotz der gewaltigen Demos hat die AfD bei drei Landtagswahlen triumphiert, bei der Europawahl signifikant zugelegt und sich auch bei der „Sonntagsfrage“ relativ stabil bei circa 17 Prozent eingependelt. Die bayerische AfD macht inzwischen sogar mit einem „Remigrations“-Plan öffentlich Politik. Haben Sie vielleicht sogar eine Trotzreaktion ausgelöst?
von Daniels: Dass die AfD nach wie vor sehr stark ist, ist richtig. Aber Anfang 2024 wurde prognostiziert, dass sie bundesweit auf 20 Prozent plus X kommen würde. Die Europawahl im Juni war da eher ein Dämpfer für die Partei. Es kommt uns aber gar nicht darauf an, mit unseren Recherchen Wahlergebnisse zu beeinflussen. Wir wollten vor allem eins erreichen: Klarheit darüber schaffen, was die Rechtsradikalen, was auch AfD-Politiker meinen, wenn sie über „Remigration“ sprechen. Dass die Leute verstehen, welche völkische und auch verfassungsfeindlichen Pläne im Raum stehen. Das stand bei uns ganz oben.
Die Enthüllungen führten zu intensiven Diskussionen über ein mögliches Verbot der AfD. Wie bewerten Sie das?
Dowideit: Die Diskussion über ein AfD-Verbot gab es schon lange vorher. Unsere Veröffentlichung fiel zufällig im Januar in eine Phase, als das sowieso im Bundestag diskutiert wurde. Später hielten uns rechte Kreise vor, wir hätten das gezielt in diese Zeit gesetzt. Das stimmt nicht. Außerdem war das Verfassungsschutzgutachten damals auch schon in Arbeit. Es soll ja jetzt fertiggestellt sein, wurde aber bislang nicht veröffentlicht, weswegen wir einen Eilantrag dazu gestellt haben. Also, wir haben nur einen zusätzlichen Baustein geliefert zu einem politischen Prozess, der sowieso schon gelaufen ist.
Peters: Ich würde dir ein bisschen widersprechen, Anette. Sowohl Journalisten als auch der Verfassungsschutz haben plötzlich nach unserem Bericht erkannt: „Huch, wir haben Nazis in Deutschland, lass uns mal ein bisschen mehr da drauf gucken.“ Das war ein beeindruckendes Momentum in der Medienbranche. Zugespitzt formuliert: Gut bezahlte Investigativreporter aller großen Zeitungen haben bei der britischen Königsfamilie und beim Fußball alles stehen und liegen lassen und sich auf einmal um Nazis gekümmert. Ich bin mir sicher, dass das bei den Verfassungsschützern und einigen Juristen auch so war. Plötzlich gab es ein Gutachten und Gerichtsurteil nach dem anderen zur Gefahr durch die AfD.
Frau Dowideit, Sie haben uns im April gesagt, dass das Team nach der Veröffentlichung der Recherchen vor Nachrichten und Anfragen über Wochen kaum zum Luftholen gekommen sei. Das sei auf eine „positive Weise traumatisch“ gewesen. Wie meinten Sie das?
Dowideit: Gerade wir im Kernteam gerieten da in eine Situation, in die die meisten Journalisten in ihrem Leben niemals kommen. Man kann sich das auch nicht vorstellen, diese öffentliche Reaktion hat alles überstiegen, was ein normales Gehirn verarbeiten kann. Als wir später mal zusammensaßen, haben wir uns ganz ernsthaft gesagt, dass wir von Glück sagen können, dass niemand von uns darüber verrückt geworden ist. Traumatisch bedeutet ja, dass man danach nicht mehr wird, wie man es vorher war. Es bleibt was haften. Das muss nicht schlecht sein – es verändert sich einfach etwas.
Was hat sich verändert? Und mit welchem Gefühl blicken Sie persönlich auf die vergangenen zwölf Monate zurück?
Peters: Mir hat das Jahr Selbstbewusstsein gebracht – als Journalist. Als ich zehn Jahre lang als Künstler arbeitete, habe ich gehört: „Du bist kein echter Künstler, du bist Journalist“, weil ich nie an der Kunstakademie war, bis ich bei mehreren Biennalen war und Kunstpreise gewann. Dann habe ich sehr lange zu hören bekommen: „Du bist kein echter Journalist, du bist Aktivist.“ Dabei bedeutet, Aktivist zu sein, ja nur, für Dinge einzustehen, auch wenn es persönliche Einbußen bedeutet. Als Journalist etwa für Aufklärung und Multiperspektivität in der Wahrheitsfindung.
von Daniels: Ganz persönlich war es ein überwältigendes und sehr anstrengendes Jahr. Es hat sich aber für uns alle bei Correctiv wahnsinnig viel verändert – weil, egal wo wir hinkommen, jeder nun erst mal eine Haltung zu uns und Fragen und Vorschläge hat. Das hat auch unsere Arbeit in der Chefredaktion stark verändert, weil wir nun zu sehr viel mehr Themen Stellung nehmen sollen.
Dowideit: Wir sind uns heute sehr bewusst, dass wir Stärke und Resilienz brauchen, weil wir jetzt sehr häufig auf allen Ebenen angegriffen werden. Das heißt für mich persönlich: Ich habe mir einen noch dickeren Panzer zugelegt. Was in Social Media geschrieben wird, war mir schon vorher relativ wumpe, jetzt sind mir Beschimpfungen von anonymen Trollen erst recht egal. Aber als Organisation haben wir uns da professionell verstärkt. Wer bei Correctiv durch Angriffe belastet wird, kann etwa zu einem Coach gehen. Und wir haben jetzt auch eine Person im Team speziell für strategische Kommunikationsfragen.
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Wie genau lief die Undercover-Recherche in der Villa bei Potsdam ab? Welche Sicherheitsmaßnahmen waren notwendig? Welche Rolle spielte Greenpeace und welche Risiken brachte die Veröffentlichung mit sich? Wie sehen Justus von Daniels, Anette Dowideit und Jean Peters die Kritik an ihrer Arbeit – und wie geht Correctiv damit um? Hat die Recherche Correctiv mehr Spenden gebracht? Und wird „Geheimplan gegen Deutschland eigentlich verfilmt? Das vollständige Titel-Interview mit Justus von Daniels, Anette Dowideit und Jean Peters finden Sie im „medium magazin“ 06/24.
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Sie, Jean Peters, waren der Reporter, der undercover in der Villa bei Potsdam recherchierte. Was hat sich für Sie durch den Einsatz an sich und auch durch die persönliche Offenlegung verändert?
Peters: Ich glaube schon, dass ich in den nächsten Jahren einer realen Gefahr ausgesetzt bin, das ist in Deutschland leider normal, wenn man zur AfD recherchiert. Nach der Veröffentlichung bin ich untergetaucht. Drei Monate lang habe ich auf Rat von Sicherheitsexperten meine Wohnung nicht betreten, habe auch das Areal um das Büro vermieden, war eine Zeit lang im Ausland. Dieses Vorgehen war aber so geplant mit dem Team hier. Ohne ein entsprechendes Sicherheitsprotokoll, das professionell ernst genommen und umgesetzt wird, sind solche Recherchen gar nicht möglich.
Wie haben Sie sich denn auf die Undercover-Recherche vorbereitet, welche Sicherheits- und Tarnmaßnahmen gab es?
Peters: Es war ja nicht mein erster Undercover-Einsatz. Daher war klar: Zum einen braucht man ein glaubhaftes Cover. Man erschafft also zuerst eine Person, mein Rat: möglichst nah an der eigenen. Wenn du etwa erfindest, dass du aus Düsseldorf kommst, und dein Gesprächspartner sagt: „Mensch, ich auch, in welcher Schule warst du denn?“, du aber gar keine Schule in Düsseldorf kennst: blöd.
Und Ihr Aussehen?
Peters: Das habe ich verändert. Ich habe mich vorher von einer Maskenbildnerin beraten lassen. Männer, das ist ganz praktisch, können ihr Äußeres schon gut verändern, indem sie sich einen Bart wachsen lassen. Dazu gab es dann noch eine dickere Brille mit Fensterglas drin. Was sonst auch immer geht: Glatze rasieren.
Tarnidentität, Brille, Bart – trotzdem waren Sie in Potsdam ja als einziger Nicht-Teilnehmer am Treffen eingecheckt. Wie sind Sie aufgetreten?
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Wie genau ist Jean Peters vorgegangen, was hat er vor Ort erlebt? Welche Sicherheitsmaßnahmen waren notwendig? Welche Rolle spielte Greenpeace und welche Risiken brachte die Veröffentlichung mit sich? Wie sehen Justus von Daniels, Anette Dowideit und Jean Peters die Kritik an ihrer Arbeit – und wie geht Correctiv damit um? Hat die Recherche Correctiv mehr Spenden gebracht? Und wird „Geheimplan gegen Deutschland eigentlich verfilmt? Das vollständige Titel-Interview mit Justus von Daniels, Anette Dowideit und Jean Peters finden Sie im „medium magazin“ 06/24. Dort können Sie außerdem alle Preisträgerinnen und Preisträger in sämtlichen Kategorien der „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“ 2024 entdecken. Auch in dieser Ausgabe: Der Jahresvorausblick 2025: Zwölf Medienschaffende wagen (nicht ganz ernstgemeinte) Prognosen für das kommende Jahr. Und: Wer ist das Mats Schönauer? Das Portrait des Mannes hinter „Topf voll Gold“. Dazu gibt es wieder jede Menge praktischer Tipps von unsichtbar Recherchieren bis zum Test von KI-Transkriptions-Tools. Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.