Wie lange noch?
Die „Süddeutsche Zeitung“ verliert massiv Topkräfte, Ansehen und Stimmung sind schwer angeschlagen. Viele sehen Chefredakteur Wolfgang Krach in der Verantwortung für die Dauerkrise. Klar ist: So kann es nicht weitergehen.
Text: Senta Krasser & Frederik von Castell
Dreißig von rund 500 redaktionellen Stellen fallen bei der „Süddeutschen Zeitung“ weg – so machte es Mitte April die Runde. Wieder einmal ist die große, stolze Zeitung aus München Gegenstand der Berichterstattung in anderen Medien. Wie so oft in den vergangenen Monaten.
Der Mehrheitseigentümer Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) versuchte zu beschwichtigen. Betriebsbedingte Kündigungen seien nicht geplant. Stattdessen sollen auslaufende Verträge nicht verlängert werden, außerdem setze man auf „natürliche Fluktuation“, also Weggänge, und auch auf Altersteilzeit. Im Ergebnis bedeutet es aber auch das: Die „Süddeutsche Zeitung“ wird erneut dünner. Bis Ende des Jahres werde die Zahl der Stellen „etwas niedriger liegen als heute“, heißt es wie gewohnt unkonkret aus der Pressestelle in Stuttgart. Als Grund für die Schrumpfkur gibt sie an, dass „die gedruckte Auflage zuletzt stärker zurückging als erwartet“. Mit diesem Problem im Printgeschäft steht die „Süddeutsche“ freilich nicht allein da.
Was ihren Fall so speziell macht: Das Leitmedium des deutschen Qualitätsjournalismus verlassen auch auffällig viele Leute, die es nicht müssten und aus Sicht der SZ auch gar nicht sollten. Weil sie, wie man sagt, blattprägend sind oder waren.
Seit die Investigativ-Koryphäen Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, die der SZ mit ihrer Großrecherche „Panama Papers“ auch international viel Ruhm und Ehre eingebracht hatten, im Frühjahr 2022 unter Branchen-Oha ihren Abschied nahmen, taten es ihnen weitere prominente Köpfe nach. Unter den Abgängern finden sich die politische Edelfeder Nico Fried (zum „Stern“) und der Automobilexperte Max Hägler (zur „Zeit“), der China-Korrespondent Christoph Giesen, die Frankreich-Korrespondentin Nadia Pantel (beide zum „Spiegel“) und die Schweiz-Korrespondentin Isabel Pfaff (ab Juni beim SRF), obendrein die Chefin vom Dienst Iris Spiegelberger (zum „Stern“) und die Co-Leiterin des Feuilletons Laura Hertreiter (ab September bei der „Zeit“).
Und ganz frisch, zum 1. April, wechselte die Medienredakteurin Anna Ernst zum „Medieninsider“, ausgerechnet jenem Fachmedium, das mit seinen Enthüllungen über die stellvertretende „Süddeutsche“-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid die „Maulwurf-Affäre“ auslöste, von der hier noch die Rede sein wird.
Es kamen fraglos auch Topleute bei der SZ hinzu. Mit Florian Eder holte sie sich 2023 von Springers „Politico“ einen Kenner des Newsletter-Geschäfts, um das neue Ressort „SZ Dossier“ aufzubauen. Und in Baden-Württemberg weiß kaum einer über die landespolitischen Verhältnisse so gut Bescheid wie Roland Muschel, der seit 2024 das Stuttgarter SZ-Büro leitet. Auch hervorragende Schreiber wie Nils Minkmar und Nele Pollatschek haben die Münchner verpflichtet.
Doch in anderen Bereichen, im Visuellen, im Investigativen, im Datenjournalismus, überall im Innovativen gibt es unterm Strich einen jetzt schon Jahre andauernden Aderlass, der mit „natürlicher Fluktuation“, mit dem Wunsch, sich beruflich und auch örtlich zu verändern, allein nicht zu erklären ist. Auch nicht ausschließlich damit, dass 2020 im Zuge eines „Effizienzprogramms“ (SWMH) mehrere Redakteurinnen und Redakteure es vorzogen, mit Abfindung freiwillig zu gehen, anstatt ohne gekündigt zu werden. Das damalige Verlagsziel: 50 Stellen in der Redaktion sollen weg, ein Zehntel der Belegschaft. Jetzt die weiteren Einsparungen. Und das alles on top zum Braindrain, der weiter anhält und gerade bei den Jüngeren erst richtig einsetzt. Nach unseren Informationen sitzen zahlreiche SZ-Journalistinnen und -Journalisten auf gepackten Koffern, ob im Feuilleton, auf der Seite Drei, im Buch Zwei oder in den anderen Ressorts.
Warum verlassen so viele Topleute die „Süddeutsche Zeitung“?
Die Frage stellt sich. Am besten können sie Journalistinnen und Journalisten beantworten, die in den vergangenen Monaten und Jahren von der SZ weggingen. Deshalb haben wir nicht nur mit aktiven Beschäftigten der SZ darüber geredet, woran der Exodus liegen könnte. Sondern eben auch ehemalige Redaktionskräfte gefragt. Sie sprachen offen, baten aber um Anonymität. Was die Gruppe der Abgänger eint: Alle sind weit von der Rente entfernt, alle gingen selbstbestimmt, alle arbeiten in bedeutenden Redaktionen. Und alle treibt die ehrliche Sorge um die SZ um, der sie sich nach wie vor verbunden fühlen.
Als Wechselgründe nennen alle die beständig gedrückte Stimmung im Haus, aber auch mangelnde Perspektiven sowie die schlechte Bezahlung im Vergleich zu anderen Medien. Außerdem leide das Image der „Süddeutschen Zeitung“ zunehmend. Unabhängig voneinander sagen mehrere, es sei „auf einem Tiefpunkt“. Und das habe viel mit der amtierenden Chefredaktion zu tun.
Bereits im Frühjahr 2022 konfrontierte das „medium magazin“ die Chefredaktion aus Wolfgang Krach und Judith Wittwer in einem Doppelinterview mit der Kritik an ihrer Führung: Ihnen mangele es an „Wertschätzung“ gegenüber der Redaktion sowie an „publizistischem Weitblick“. Zwei Jahre später sind die kritischen Stimmen nicht verstummt, im Gegenteil. Sie haben sich verstärkt.
Doch in einer Hinsicht hat sich etwas verändert: Die meiste Kritik richtet sich speziell gegen Wolfgang Krach. Im Quartett mit Wittwer und den Stellvertretern Alexandra Föderl-Schmid und Ulrich Schäfer hat der 1963 in Regensburg geborene Journalist allein schon deshalb eine herausgehobene Position in der Chefredaktion, weil er die Münchner Zentrale der „Süddeutschen“ am längsten kennt. Er kam 2003 vom „Spiegel“ als Chef des neu geschaffenen Newsdesks. 2015 beförderte ihn der Herausgeberrat zum gleichberechtigten Chefredakteur neben Kurt Kister. Als dessen Nachfolgerin wurde 2020 die Schweizerin Judith Wittwer vom Züricher „Tages-Anzeiger“ geholt, um in erster Linie als Redaktionsmanagerin und Transformatorin zu wirken. Krach rutschte in die Rolle des Kommunikators nach außen. Die Aufgabenteilung zwischen den beiden scheint in der Praxis aber unklar. Es gibt offenbar ein Ungleichgewicht in der Entscheidungsgewalt, die eindeutig bei Krach liegen soll.
Wie gut Krach Krise kann? Die Menschen, die wir das fragten, sagen übereinstimmend über ihn: Die PR-Pannen der vergangenen Jahre trügen seine Handschrift. Krach agiere arrogant gegenüber der Außenwahrnehmung. Man müsse intern sehr viel Druck auf ihn ausüben, sehr viel reden, ihn gar drängen, damit er überhaupt mal Stellung zu Krisen und Fehlern beziehe, „selbst wenn die Kritik schon sehr laut geworden ist“. Er zeige auch wenig Interesse daran, Talente zu halten und ihnen eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Viele verknüpfen die vielen Abgänge mit ihm. Manche sagen: Es fehle ihm an Empathie im Umgang mit Menschen und eine Vision, wie er die Zeitung in die Zukunft retten wolle.
Einige fragen sich sogar: Wäre der Chefredakteur eines anderen Mediums noch im Amt nach all den Fehlentscheidungen und erst recht nach dem missglückten Aiwanger-Aufschlag und dem Agieren in der Causa Föderl-Schmid?
Darüber hätten wir gerne mit Wolfgang Krach gesprochen. Für ein offizielles Interview stand er nicht zur Verfügung. Er nahm sich stattdessen Zeit für ein einstündiges Hintergrundgespräch, aus dem wir nicht zitieren dürfen. Es hat den Eindruck verfestigt, dass sich seine Wahrnehmung der jüngsten Geschehnisse und Entwicklungen in der SZ zum Teil fundamental unterscheidet von jener der Menschen, die für seine Zeitung gearbeitet haben oder immer noch arbeiten.
Seit Krach maßgeblicher Chefredakteur ist, scheint keine Sache seine Redaktion so sehr entzweit zu haben wie sein Umgang mit der „Maulwurf-Affäre“. Selbst diejenigen, die im „Team Krach“ spielen, konzedieren: „Er ist angeschlagen.“
[…]
Dieser Artikel ist im „medium magazin“ 02/24 erschienen. Die gesamte Recherche von Senta Krasser und Frederik von Castell können Sie in der Ausgabe 02/24 lesen.