Wer war Lee Miller?
Model, Modefotografin, Kriegsreporterin: Lee Miller hatte viele Gesichter. Mit „Die Fotografin“ ist nun ein Film über sie in den Kinos erschienen. Gelingt es, ihr Vermächtnis in die Gegenwart zu transportieren? Kathrin Baumstark, die das Werk Millers wie kaum jemand sonst kennt, weiß, wie schwierig das ist. In Gänze nachzulesen in der Ausgabe 04/24 lesen.
Interview: Frederik von Castell
Frau Baumstark, Sie haben Lee Miller 2023 mit einer großen Ausstellung im Bucerius Kunst Forum in Hamburg gewürdigt und sich intensiv mit ihrem Werk und ihrer Biografie befasst. Wer war Lee Miller?
Kathrin Baumstark: Vor allem würde ich sie als Fotoreporterin und als Fotografin an sich sehen. Und als Künstlerin, als Surrealistin. Sie sah zwar wahnsinnig gut aus, eine Frau, die man angeschaut hat und dachte: Wow, wie schön bist du? Sie entsprach voll und ganz dem griechisch-antiken Ideal. Aber: Model war sie nur aus Mittel zum Zweck.
Reporterin und Surrealistin – wie passt das zusammen?
Sie hat ihre Motive etwa arrangiert. Dieser Mythos „Fotografie ist Wahrheit“, dem ist sie nicht gefolgt. Es ging ihr nicht um die bloße Abbildung der Realität. Ob sie Mode fotografiert hat oder im Lazarett, sie hatte einen ganz bestimmten Blick und ihre eigene Bildsprache. Deshalb kann man auch in ihren Fotografien aus dem Krieg genauso viel Surreales wie etwa in ihrer Modefotografie sehen.
Das spiegelte sich auch in Ihrer Ausstellung wider, die den Titel „Fotografin zwischen Krieg und Glamour“ trug. Worauf lag dabei Ihr Fokus?
Ihr Beginn als Fotomodel gehört natürlich trotzdem dazu – sie hat sich ja auch selbst fotografiert und somit selbst objektiviert. Das war zugleich eine Form von Selbstermächtigung. Dann die Zeit mit dem Surrealismus und ihre Modestrecken für die „Vogue“, aber natürlich auch die Kriegsberichterstattung bis hin zu den Bildern aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau kurz nach deren Befreiung. Aber wir haben dort nicht geendet.
Dabei hat sich Miller doch im Anschluss und bis zu ihrem Tod 1977 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, in einem Cottage in England gelebt und nicht mehr viel fotografiert, oder?
Das war so eine alte Betrachtungsweise: Miller kommt aus dem Krieg zurück, ist traumatisiert und ab dann gibt es nur noch den Alkoholismus und das zurückgezogene Leben im Farley Farm House in East Sussex. Diese Perspektive übernimmt in Teilen auch der Film „Die Fotografin“.
Im Film zeichnet Kate Winslet die Figur Lee Miller so: Während des Krieges war sie nicht aufzuhalten. Miller setzte sich gegen patriarchische Strukturen in der Fotografie, dem Journalismus und beim Militär durch. Erkämpfte sich ihren Platz als Kriegsreporterin. Nach dem Krieg war sie Alkoholikerin. Nach Deutschland war sie ein Wrack.
Natürlich war Miller gezeichnet, sie war auch eine Art Alkoholikerin. Gleichzeitig hat sie eine neue Kunst für sich entdeckt: das Kochen. Miller hat zehngängige Menüs kreiert. Das war hohe Kochkunst. Deshalb haben wir vergangenes Jahr in unserer Ausstellung ihre Fotos von Gerichten genauso gezeigt. Der Kuratorin Karin Gimmi, uns allen war wichtig, auch ihre Rezepte, die für die Zeit außergewöhnlich waren, zu zeigen. Die Gewürze aus dem Orient, die Miller verwendet hat, waren für die amerikanische wie die britische Küche damals extrem. Das ergibt auch Sinn, wenn man weiß, dass Miller gesagt hat: „Den Gestank von Dachau habe ich nie wieder aus meiner Nase bekommen.“
Den sie kurz nach der Befreiung des Konzentrationslagers erfahren hat. Auch in Buchenwald hat sie die Verbrechen dokumentiert, unzählige ausgehungerte Leichen fotografiert.
Die KZ-Fotos sind wirklich schwer zu ertragen. Sie hat diese Bilder gemacht, weil sie wusste, dass die Welt die Gräueltaten sehen musste. Heute gehen wir anders mit diesen Themen um, fokussieren uns mehr auf individuelle Geschichten und Erinnerungen. Aber damals war es notwendig, diese radikalen Bilder zu zeigen, um die Realität des Holocausts zu vermitteln.
Das Kochen war eine Art Traumabewältigung. Sie hat ja nicht nur die Leichenberge für die Nachwelt festgehalten. Sondern auch erlebt, wie massiv unterernährte, ausgehungerte Menschen, die das KZ überlebt haben, kurz darauf an falschen Nahrungsmitteln starben.
Wäre das nicht auch ein guter Stoff für den Film gewesen? Winslet soll sich ja schon seit 2015 intensiv mit Miller befasst haben, im engen Austausch mit Millers Sohn gestanden haben.
Der Film beschränkt sich aber leider auf ein enges Zeitfenster, die Kriegszeit.
Für die Ausstellung in Hamburg haben Sie selbst mit Antony Penrose zusammengearbeitet. War es schwer, andere Akzente als er zu setzen? Schließlich hat er nicht nur seine eigene Perspektive auf seine Mutter, sondern auch die Hand auf ihrem Werk.
Antony Penrose ist ein sehr höflicher und zurückhaltender Mensch, aber er hat viel mit dem Erbe seiner Mutter zu kämpfen, was seine Sicht auf sie und ihr Werk stark beeinflusst. Er verwaltet ihren Nachlass zusammen mit seiner Tochter Ami Bouhassane. Sie halten das Erbe von Lee Miller am Leben, verdienen damit aber auch ihren Lebensunterhalt. Ami hat eine professionellere Distanz zu ihrer Großmutter, was sicherlich auch daran liegt, dass sie das Trauma ihres Vaters nicht teilt.
In einer Art Rahmenhandlung setzt sich die Figur Antony Penrose (gespielt von Josh O’Connor) aber mit Millers Leben nach den Erlebnissen im Krieg auseinander, ihrer Rolle als seine Mutter etwa. Da hätte man im Film ja auch erklären können, wie sie überhaupt in diesen Zeiten vom „Vogue“-Model zur „Vogue“-Kriegsreporterin werden konnte.
Ja. Es gibt die Mär, dass sie als junge Frau Ende der 1920er-Jahre in Pariser Mode gekleidet über eine Straße in Manhattan gelaufen sei. Dabei habe sie ein Auto übersehen, sei beinahe überfahren worden – wäre sie nicht von einem Mann der Gefahr entrissen worden. Das sei der Verleger Condé Nast gewesen, der sie nun nicht nur gerettet, sondern in diesem Moment noch obendrein entdeckt habe. Kurz darauf war ihr Gesicht auf dem Cover der „Vogue“.
Das stimmt gar nicht?
[…]
Das ganze Interview mit Kathrin Baumstark können Sie im neuen „medium magazin“ 04/24 lesen. Darin auch enthalten: Das SPEZIAL „Cash für Freie“. Denn so schön die Selbstständigkeit sein kann, sie hat einen Preis, den man sich leisten können muss. Außerdem klären wir in dieser Ausgabe die Frage, welche Geldquellen dem Journalismus helfen – und welche ihn gefährden. Beispiel dpa: Die Deutsche Presse-Agentur feiert ihren 75. Geburtstag bescheiden mit Bratwurst und Festschrift. Gleichzeitig entbrennt eine Diskussion über staatliche Fördergelder und deren Einfluss auf die Unabhängigkeit des Medienunternehmens. Zudem liefern wir spannende Einblicke in die Branche. „Zeit“-Investigativchef Holger Stark etwa kritisiert: „Wir Blicken viel zu selten in den Maschinenraum der Macht.“ Was er über Anwälte wie Christian Schertz und die „Correctiv“-Recherche zum Treffen in Potsdam denkt, können Sie jetzt im Interview lesen: Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.