…weil sie die Stille in ihren Ländern nicht ertragen konnten.
Carl Wilhelm Macke über die Netzwerk-Aktivitäten zum Schutz der Pressefreiheit und der Journalisten:
Stille, schrieb der weit gereiste Ryszard Kapuściński einmal, sei überall auf der Welt am häufigsten verbunden mit Worten wie Friedhof, Schlachtfeld, Verlies:
„Wo gefoltert wird, achten die Schergen zuerst immer auf schalldichte Räume. Die Stille hätte es gerne, dass ihre Ruhe durch keine Stimme – der Klage des Protests, der Empörung – gestört wird.“
Vielleicht könnte das Wahrnehmen der „Stille“ ein Kriterium für guten, aufklärenden investigativen Journalismus jenseits des immer schrilleren und lauteren Medien-Mainstreams sein. Wo kein Blut in Strömen fließt oder keine Naturkatastrophe Touristen aus den globalen Speckgürteln der Welt in den Tod reißt, herrscht Stille und Frieden.
Und genau in dieser Situation scheinbarer Windstille und Friedhofsruhe beginnt eigentlich die Arbeit eines Journalisten, der seinen Lesern Hintergrundwissen und Aufklärung vermitteln möchte. Aber in den Medien herrschen heute – fast immer – andere Erwartungen. „In der politischen Berichterstattung“, so hat es einmal Christiane Grefe, Reporterin bei der ZEIT formuliert, „geht heute ohne eilige Ereignisorientierung kaum noch etwas. Punktuelles, Situatives und vor allem Skandalisiertes ist gefragt, nicht mehr das geduldige Verfolgen von gesellschaftlichen Prozessen im In- und Ausland.“
Wie schwer war es zum Beispiel jahrelang, jahrzehntelang Reportagen über ein Land wie Tunesien jenseits der Tourismus-Werbung in den westeuropäischen Medien unterzubringen…Oder – um ein anderes Beispiel zu nennen – für Somalia interessiert man sich erst seitdem die für die Basisversorgung der reichen Länder notwendigen Transporterschiffe von sog. Piraten überfallen werden. Und seit dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien wird über diese Regionen nur noch berichtet, wenn die sich flächenbrandartig ausbreitende Korruption auch die Investitionsbereitschaft ausländischer Unternehmer tangiert.
Wo aber erfährt man etwas über das Schicksal der Journalisten, die wie vor allem in Kroatien, über diese Netzwerke krimineller Korruption recherchieren?
Wie gefährlich die Berichterstattung aus Kriegs- und Krisengebieten sein kann, haben deutsche Journalisten nach dem II. Weltkrieg vielleicht zum ersten Mal während der Kriege auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre gemacht. So hautnah war in den Jahrzehnten nach dem Ende des II. Weltkrieges kein Krieg mehr an Zentral-Europa herangerückt. Es waren vor allem die Kriege auf dem Balkan am Ende des letzten Jahrhunderts, die das Bewusstsein unter Journalisten für die Risiken ihres Berufes in einem Krieg ohne klare Fronten und ohne Regeln geschärft haben. Und es gab tragische Ereignisse, die Journalisten daran erinnert haben wie gefährlich ihre Profession sein kann.
In diesem Jahr jährt sich zum 20.Mal der gewaltsame Tod des SZ-Journalisten Egon Scotland im Rahmen seiner Berichterstattung von kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien.
Zwei Jahre später, 1993, wurde dann von Freunden und Kollegen Egon Scotlands der Verein Journalisten helfen Journalisten (JhJ) gegründet und kurz darauf begann in Berlin die deutsche Sektion von Reporters Sans Frontieres, Reporter ohne Grenzen (ROG) ihre Arbeit. Das JhJ-Netzwerk umfasst heute ca. 130 Mitglieder, die durch ihre Mitgliedsbeiträge auch den Hauptteil der Spendengelder aufbringen.
Inzwischen ist JhJ auch in das globale Netzwerk „Journalists in distress“ eingegliedert, in dem weltweit verschiedene Organisationen zum Schutz der Pressefreiheit und der Journalisten eng kooperieren. „Journalists in distress“ gehören neben JhJ heute u.a. das amerikanische Committee to Protect Journalists, die Reporters Sans Frontieres, das kanadische IFEX-Büro (International Freedom of Expression Exchange), der britische Rory-Peck-Trust (entstanden nach dem gewaltsamen Tod des Kameramannes Rory Peck 1993 in Moskau), Front Line aus Irland, der internationale PEN oder ‚Human Rights Watch’ an. Über das Internet sind diese Gruppen rund um die Uhr und auch fast rund um den Globus jederzeit vernetzt und können sich so gegenseitig informieren. Koordiniert wird dieses Netz von der kanadischen Organisation Canadian Journalists for Free Expression (CJFE), die wiederum auch das zwei Mal wöchentlich erscheinende IFEX-Comunique herausgibt ( www.ifex.org ) .
Dieser Newsletter berichtet kontinuierlich und mit detaillierter Verlinkung zu den jeweiligen Quellen über Verletzungen der Pressefreiheit und Behinderungen von Journalisten vornehmlich in den weltweiten Kriegs- und Krisengebieten. Die Aufmerksamkeit für die dramatische Situation von Journalisten und Medienmitarbeiter in vielen Regionen der Welt hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen (Beispiel Iran, die Maghreb-Staaten, Ostafrika, Mittelamerika). Eine entscheidende Rolle spielt hier das Internet, das die weltweite Kommunikation deutlich verbessert hat. Internetcafes existieren inzwischen in fast allen Ecken der Welt, allerdings geraten sie auch immer mehr ins Visier der Sicherheitsdienste autoritärer Staaten.
Für das Funktionieren eines weltweiten Mediensystems und auch die Koordinierung der NGO-Aktivitäten ist das Internet inzwischen aber unverzichtbar geworden.
Damit können zum Beispiel auch die Angaben der Hilfesuchenden rascher überprüft werden und Spendengelder gebündelt werden, um sie dorthin fließen zu lassen, wo sie gerade besonders gebraucht werden.
Das Netzwerk reicht aber über den journalistischen Bereich hinaus. Die genannten Hilfsorganisationen stehen in engem Kontakt mit anderen NGO’s, wie amnesty international, Human Rights Watch, Article19 oder dem deutschen Weltreporter.net, in dem sich freie Korrespondenten zusammengeschlossen haben.
Erwähnen muß man hier auch die vom Senat der Hansestadt Hamburg seit Jahren geförderte vorbildliche Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, die unter anderem verfolgten Journalisten ein einjähriges Aufenthaltsstipendium gewährt. Kontakte gibt es auch zu den großen etablierten Hilfsorganisationen wie den Ärzten ohne Grenzen, Medico International oder der in Migrationsfragen besonders erfahrenen Flüchtlingshilfe der Jesuiten.
Aber auch jenseits materieller Unterstützungen für Journalisten in Gefahrensituationen dient dieses Netzwerk inzwischen als eine Art NGO-Pressecenter, in dem Nachrichten aus Krisenregionen in aller Welt zusammenlaufen, die dann wieder an die großen Print- und Elektronikmedien weitergegeben werden. Die ‚Süddeutsche Zeitung’ hat in der Vergangenheit immer wieder Texte von Journalistinnen und Journalisten aus Krisenregionen publiziert, die dem Netzwerk von ‚Journalists in distress’ bereits seit längerer Zeit bekannt waren – weil sie alle die Stille in ihren Ländern nicht ertragen konnten.
Der Autor:
Carl Wilhelm Macke lebt und arbeitet als freier Journalist in München.
Er ist Mitbegründer und Koordinator von „Journalisten helfen Journalisten“