Exiljournalismus: Fluchtpunkt Berlin

Weltweit müssen Journalistinnen und Journalisten aus ihrer Heimat fliehen. Aus dem Exil engagieren sich viele weiter – auch in Deutschland. In der Serie „Fluchtpunkt“ stellen wir sie vor. Drei Steckbriefe von Exiljournalistinnen und -journalisten in der Hauptstadt.  Aus dem „medium magazin“ 05/2024.

Text: Olivia Samnick und Niklas Münch


Fotos: Olivia Samnick (Rezaee), Niklas Münch (Lê), Ivo Mayr (Filippova)
Fotos: Olivia Samnick (Rezaee), Niklas Münch (Lê), Ivo Mayr (Filippova)

Der Journalist Aye Chan ­Naing betritt Mitte Oktober das Podium des „Exile Media Forums“ in Hamburg, rückt seine schwarz gerahmte Brille auf die Nase und nimmt sie wieder ab. Sein Bart ist längst ergraut in den rund 30 Jahren (mit Unterbrechung) im Exil. Naing hat eine Botschaft: „Wir dürfen nicht vergessen, wie wichtig unsere Rolle ist.“

„Wir“, das sind Exiljournalistinnen und -journalisten wie er, die sich in Hamburg treffen. Einige von ihnen kommen etwa aus Syrien oder Afghanistan. Zu ihnen spricht Naing heute über die Resilienz, die man als geflohener Medienschaffender im Ausland braucht. Die „Democratic Voice of Burma“ ist wohl eines der ältesten bestehenden Exilmedien. Seit 1992 sendet das von Naing als Radiosender gegründete Exilmedium aus Norwegen für ein Publikum in Myanmar (früher Burma). Er sagt: „Ich bin stolz, dass wir nicht aufgeben. Wir kämpfen für Unabhängigkeit und für Meinungsfreiheit.“

In Hamburg spricht Naing darüber, welche Wirkmacht der Exiljournalismus entfalten könne – auch in Deutschland: Manchmal erhalten Exilmedien kaum Feedback aus der Heimat, also von den Menschen, für die sie ihre Arbeit machen, so Naing. Dann gebe es aber auch Zuschriften wie diese: „Wir wussten nicht einmal, was in unserem eigenen Hinterhof los ist. Danke für eure Berichterstattung.“ Oder: „Wir überleben nicht nur durch das Atmen von Luft, sondern eben auch durch eure Nachrichten.“

Dies verdeutlicht die Lage der Pressefreiheit an den Orten, von denen Medienschaffende aus ins Exil gehen: In Naings Heimat sind aktuell mehr als 60 Medienschaffende inhaftiert. Erst vor zwei Monaten sei einer seiner Kollegen getötet worden. Nach einem Militärputsch 2021 sei die Pressefreiheit im Land um zehn Jahre zurückgeworfen worden, berichtet Reporter ohne Grenzen. Der Organisation zufolge seien aktuell weltweit 556 Journalistinnen und Journalisten in Haft und 42 allein in diesem Jahr während ihrer Arbeit getötet worden. Zu den gefährlichsten Gebieten zählten vergangenes Jahr, 50 Journalistinnen und Journalisten starben 2023 im Einsatz, unter anderem Palästina, Afghanistan und die Ukraine.

In Deutschland bilden exilierte Medienschaffende aus Russland, Afghanistan und Syrien die größten Gruppen, heißt es in der nun von der Körber-Stiftung veröffentlichten Studie „Exiled Journalist Communities in Germany“. Die explorative Untersuchung mit rund 90 Beiträgen von Exiljournalistinnen und -journalisten geht der Frage nach, mit welcher Realität sich jene konfrontiert sehen.

Hanan Badr (Universität Salzburg) hat den Report auf dem „Exile Media Forum“ vorgestellt. Ihr zufolge sei es eine große Herausforderung, dass im Umgang mit den Journalistinnen und Journalisten oftmals das Thema „Exil“ im Fokus stehe, seltener aber deren professionelle Arbeit: 74 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass es schwer sei, einen stabilen Job im Journalismus in Deutschland zu finden. Und Badr sagt auch: Den einen Exiljournalismus gebe es nicht: „Die Herausforderungen und Realitäten unterscheiden sich stark, selbst bei Exiljournalisten aus demselben Land.“

Diese Realität möchten wir abbilden. Deshalb werden wir in dieser Serie fortan mit Kolleginnen und Kollegen, die in Deutschland im Exil sind, sprechen und sie hier vorstellen. Wir starten dazu in Berlin, einem der Zentren des Exiljournalismus in Deutschland.


Omid Rezaee (c) Olivia Samnick
Der iranische Exiljournalist Omid Rezaee (c) Olivia Samnick

Omid Rezaee

Kontakt
omidrezaee.de

Guten Exiljournalismus macht aus:
„Sich nicht unterkriegen lassen.“ Für Omid Rezaee war die Entscheidung mit der Flucht ins Ausland klar: „Heimat gegen Freiheit.“ In Deutschland möchte er weiterhin frei und kritisch berichten.

Will gerne …
zu einer Interessensvertretung anregen, die sich speziell mit Exiljournalismus befasst. Es brauche eine Erstanlaufstelle für Neuankömmlinge, ebenso wie fachliche Beratung – etwa in Sicherheitsfragen.

Wünscht sich …
eine Organisation, die sich speziell dem Exiljournalismus widmet. Diese könne die Belange von Exiljournalisten vertreten, ihre Sichtbarkeit erhöhen und wäre eine erste Anlaufstelle bei der Ankunft sowie Fachstelle bei Fragen zur Sicherheit. Außerdem: Bessere Zugänge zur deutschen Medienbranche. „Die Szene sollte sich öffnen für Menschen, die nicht-weiß, nicht-männlich sind, die keinen akademischen Hintergrund haben“, sagt Rezaee. Es sei an der Zeit, die „Obsession mit Sprache“ aufzugeben.

Zum Portrait im „medium magazin“ 05/2024.


Trung Khoa Lê
Der vietnamesische Exiljournalist Trung Khoa Lê (c) Niklas Münch

Trung Khoa Lê

Kontakt
info[at]thoibao.de

Guten Exiljournalismus macht aus:
„Medien dürfen nicht nur abwarten, sondern müssen offensiv Falschnachrichten und Propaganda bekämpfen.“ Freiheit und Demokratie in der Welt sollen vorangebracht und verteidigt werden, sagt Trung Khoa Lê.

Will gerne …
Menschen in Russland und China ebenfalls unabhängige Nachrichten über die Welt bieten. Deshalb gibt es schon heute Nachrichten auf Russisch auf seiner Website, eine chinesische Version des Portals soll folgen. Er sucht deshalb freie Journalistinnen und Journalisten, die entweder russisch oder chinesisch sprechen und ihm beim Aufbau helfen wollen.

Wünscht sich …
Deutschland soll sich mehr für unabhängige Medien in der ganzen Welt starkmachen. In einem ersten Schritt kann das mit Fördertöpfen passieren, um zum Beispiel Exilmedien zu helfen. Die journalistische Branche soll mit mehr Mut und Initiative gegen Falschinformationen und Zensur auf der ganzen Welt angehen.

Zum Portrait im „medium magazin“ 05/2024.


 

Polina Filippova (c) Ivo Mayr
Die russische Exiljournalistin Polina Filippova (c) Ivo Mayr

Polina Filippova

Kontakt
polina.filippova[at]correctiv.com

Guten Exiljournalismus macht aus:
„Du selbst bist nicht die Quelle, sondern das Medium“, sagt Polina Filippova. Wer schon lange nicht mehr in der Heimat lebe, könnte kaum ein aktuelles Bild von vor Ort haben und müsste sich demnach andere Quellen suchen.

Will gerne …
investigativen und kritischen Journalismus auch beim russischen Exilsender Radio Sakharov umsetzen. Dafür brauche es aber zusätzliche Ressourcen und ein starkes Netzwerk aus lokalen Partnern und solchen im Heimatland.

Wünscht sich …
von deutschen Medien, die ­Diaspora mehr in den Fokus zu nehmen. Viele Menschen fühlten sich außen vor: Exiljournalisten haben besondere Zugänge, die man nutzen könne. „Es ist für einen russischen Journalisten viel einfacher, einen Fall in der russischen Diaspora zu beleuchten“, sagt Filippova.

Zum Portrait im „medium magazin“ 05/2024.

 


 

"medium magazin" 05/2024 Hidden Stars Die heimlichen Heldinnen und Helden der Redaktionen 2024. Exiljournalismus: Die Heimat verlassen, in Berlin neu gestartet – und nie verstummt. Homeoffice Adieu: War’s das mit New Work im Journalismus? spezial: Sie ist gekommen, um zu bleiben. Was leistet die KI?Die „Hidden Stars“ 2024 können Sie im „medium magazin“ 05/24 entdecken. Dort finden Sie auch den Auftakt unserer neuen Serie „Fluchtpunkte“ über Journalistinnen und Journalisten, die in Deutschland im Exil arbeiten. Außerdem in dieser Ausgabe: das SPEZIAL „KI-Effekt“, in dem wir den Fragen nachgehen, was KI im Journalismus wirklich leistet – und welchen Preis wir dafür zahlen wollen. Dazu gibt es wieder jede Menge praktischer Tipps von der Telegram-Recherche bis zur Formatentwicklung mit KI-Tools Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.