Starautor Arno Luik fordert mehr graue Reportagen
Der Fall Claas Relotius muss laut dem stern-Autoren Arno Luik auch die Erwartungen und Herangehensweise an Reportagen verändern. „Wir sollten uns mehr Reportagen trauen, die nicht schwarz und weiß sind, sondern so grau oder so bunt wie die Welt da draußen“, sagt Arno Luik im Interview in medium magazin. Der langjährige Reporter, selbst mehrfach ausgezeichnet, sieht auch bei Juroren von Medienpreisen eine mögliche Mitschuld am Fall Relotius. „Sie zeichnen gerne exotische, spektakuläre Reportagen vom anderen Ende der Welt aus.“ Das verführe vielleicht Kollegen dazu, das Spektakuläre durch noch etwas Spektakuläreres zu toppen.
Luiks Spezialität hingegen sind lange Gespräche. Im medium magazin erzählt er, dass er niemals ein Interview unter zwei Stunden führt. Sein Gespräch mit Reinhold Messner habe elf Stunden gedauert, mit Boris Becker habe er 40 Stunden gesprochen, die sich auf rund 300 Manuskriptseiten niederschlugen. Gefragt nach der perfekten Länge in Zeichenzahl für seine Texte, sagt Luik: „Bei 15.000 fang ich an zu leben, bei 20.000 kommt der Genuss und ab 25.000 nähere ich mich der Befriedigung.“
Über seine journalistische Haltung und den Einfluss der `68-Bewegung sagt der 63-jährige (Anm. der Redaktion:In einer früheren Version stand der 64-jährige: Luik ist im August 1955 geboren), er sei durch diese Zeiten politisch sozialisiert worden: „Im Gegensatz zu Joschka Fischer und großen Teilen der Grünen – etwas anmaßend formuliert: Ich trage Achtung vor den Träumen meiner Jugend. Wir wollten eine gute, gerechte, menschliche Gesellschaft, ohne oben und unten. In meinen Gesprächen oder Artikeln versuche ich immer noch, diese heute leider altmodisch anmutende Journalismus-Idee der vierten Gewalt umzusetzen: zum Beispiel den Mächtigen auf die Finger schauen – oder gelegentlich auch zu hauen.“
Das Interview von Stephan Seiler mit Arno Luik ist Teil der großen Interviewserie mit Reporter und Reporterinnen. Es erscheint in medium magazin 02/2019, S. 38-45. Weitere Themen sind u.a. der Schwerpunkt zum „Tag der Pressefreiheit“ am 3. Mai: „Feindbild Journalist“ – wie Redaktionen und Reporter auf Angriffe reagieren, Special Nachhaltigkeit – was Medien in eigener Sache für den Klimaschutz tun, Wie das internationale Mediennetzwerk ORB Umweltthemen ins Lokale bringt, wie 11 Regionalzeitungen zur Europa-Wahl gemeinsame Sache machen, plus 16 Seiten Journalistenwerkstatt „Besser schreiben: Die Reportage“. medium magazin ist digital und gedruckt, in Einzelausgaben oder im Abo hier erhältlich oder via iKiosk