Sollte man die AfD in TV-Talkshows einladen? „Bitte nicht!“
Sie hatte es zu Beginn ihres neuen Formates angekündigt, nun unternimmt Caren Miosga den Versuch, mit einem AfD-Politiker in ihrer Sendung im Ersten zu sprechen. Für Sonntag, 21. April 2024, hat das Talkformat Tino Chrupalla, AfD-Bundessprecher und Fraktionsvorsitzender im Bundestag, als Gast angekündigt. Im „medium magazin“ 1/2024 kommentiert Tanjev Schultz in seiner Kolumne „einerseits…andererseits“ Miosgas Einstellung zur Frage, ob man die AfD in Talkshows einladen solle.
Der Impuls
Zum Start ihrer neuen Talkshow „Caren Miosga“ sagte Caren Miosga im Interview mit dem „Spiegel“ (2/2024):
„Wir stehen vor Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In allen drei Bundesländern liegt die AfD vorn, also müssen wir sie einladen. Das gilt allerdings nicht für jeden und jede aus dieser Partei. Nicht wenige von ihnen sind Meister im Errichten von Lügengebäuden. Da kommst du als Moderatorin im Überprüfen der Aussagen live nicht hinterher. Es würde ein bescheuertes Spiel werden: nein, ja, stimmt nicht, stimmt doch. Und es gibt in dieser Partei jene, die so krass rechtsextrem sind, dass sie ebenfalls keine Einladung bekommen werden. Aber da ist beispielsweise Deutschlands erster AfD-Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz, Sachsen-Anhalt, der im Wahlkampf die Kitagebühren abschaffen wollte. Kaum stand er in der Verantwortung, musste er die Gebühren erhöhen. Mit ihm würde ich gern über populistische Versprechen reden. (…) Wir diskutieren etwa den Vorwurf, Talkshows böten solchen Parteien eine Bühne, die sie größer mache. Von diesem Argument halte ich nichts. Ich glaube, die brauchen ARD und ZDF nicht. Sie finden ihre Wählerschaft auch ohne uns, über Social Media.“
Der Kommentar: „Bitte nicht“
Warum Caren Miosga die falsche Entscheidung trifft: TV-Talkshows in ARD und ZDF sollten der AfD keine Plattform bieten.
Text: Tanjev Schultz
Wieder und wieder ist in Redaktionen über den Umgang mit der AfD diskutiert worden, und nun geht in diesem Wahljahr alles von vorne los. Die Chance, alte Fehler noch einmal zu begehen, möchte auch Caren Miosga ergreifen. Bitte nicht. Warum glauben Journalistinnen und Journalisten, sie müssen AfD-Leute einladen, da diese nun einmal so populär sind? Nichts müssen sie.
Natürlich haben die öffentlich-rechtlichen Medien den Auftrag, die Breite der Meinungen und Gruppen in der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Doch das bedeutet nicht, dass diese Breite in jedes Format passt. Und es bedeutet keineswegs, wirklich allen Akteuren und jeder Ansicht, sei sie noch so abstrus oder gefährlich, Aufmerksamkeit zu schenken. Wo sich extremistische Entwicklungen nicht ignorieren lassen, sollten sie zwar zum Thema werden – nur eben nicht in Gesprächen mit den Extremisten selbst.
Muss man denn nicht mit allen Menschen reden können? Ja, schon. Allerdings nicht in jeder Situation und in jedem Setting. Ein Gefängnisseelsorger spricht mit grausamsten Gewalttätern, ein Strafverteidiger mit übelsten Terroristen. Journalistinnen und Journalisten haben ebenfalls oft gute Gründe, in einer Recherche mit finsteren Typen zu reden, mit Diktatoren, Mafiabossen oder Neonazis. Aber in der Regel nicht live vor einem Millionenpublikum.
Im Pressekodex steht, bezogen auf die Berichterstattung über Kriminalfälle: „Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben.“ Nun sind viele Extremisten geschickt genug, den zu Recht weiten Spielraum der Redefreiheit für sich so zu nutzen, dass sie im juristischen Sinne nicht zu Tätern werden. Dennoch verüben sie mit ihrer perfiden Form der Rhetorik regelmäßig Anschläge auf die Grundlagen einer zivilen, demokratischen Debatte. Das darf die Öffentlichkeit sich nicht gefallen lassen. Und die Medien dürfen es nicht zulassen.
Björn Höcke in eine Talkshow einzuladen, ist im besten Fall naiv, im schlimmsten Fall bündlerisch oder zynisch. Offenbar hat Caren Miosga das auch nicht vor. Wer zu „krass“ rechtsextrem sei, den wolle sie nicht in ihrer Sendung haben; wohl aber – zum Beispiel – einen AfD-Bürgermeister aus Sachsen-Anhalt, den sie demnach für gemäßigt hält. Anders gesagt: Miosga traut ihrem eigenen Argument nicht. Denn es ist ja nicht der Bürgermeister, der in den Wahlumfragen zur Landtagswahl in Thüringen vorne liegt, es ist der Spitzenkandidat Björn Höcke mit seiner von ihm geprägten Partei.
Wie würde das konkret aussehen in der Sendung? Würde dort ruhig und sachlich mit dem Bürgermeister diskutiert, erschiene dieser als vielleicht streitbarer, letztlich aber erträglicher Politiker – und die AfD würde viel harmloser wirken, als sie ist. Diese Art der Normalisierung wäre ganz nach dem Geschmack der Extremisten, die sich ja als vermeintlich „bürgerliche“ Kraft und als „Grundgesetz-Partei“ ausgeben. Würde der Bürgermeister hingegen hartnäckig zu den Widersprüchen zwischen dieser Fassade und den realen Absichten sowie der völkischen Rhetorik von Höcke und anderen aus der AfD befragt, ergäbe sich der übliche Entlarvungskrampf: Die Journalistin strampelt sich ab, der AfD-Gast weicht aus, leugnet, verharmlost oder treibt die Runde mit eigenen Provokationen vor sich her. Niemand wird dadurch schlau.
Die Kolumne“einerseits…andererseits“
Es sitzt tief drin und geht nicht weg: „einerseits“ und „andererseits“ haben im Journalismus nicht viel verloren. Entscheide dich, sei stark in deinem Urteil – und bitte kein Wischiwaschi! So lernen es viele Journalistinnen und Journalisten in ihrer Ausbildung. Wir meinen: Schluss damit. Gerade medienethische Debatten brauchen mehr Mut zur Mehrdeutigkeit, eine größere Freude an der Differenzierung – und keine Kapitulation vor der Komplexität. Die Kolumne „einerseits … andererseits“ greift deshalb Impulse aus der Branche, von Expertinnen und Andersdenkenden auf. Und arbeitet sich im Kommentar nicht an den schwächsten, sondern an den stärksten Argumenten der anderen ab. Weil wir es komplex mögen, bitten wir den Impulsgeber oder die Impulsgeberin vor der Veröffentlichung um eine Reaktion – die wir ebenfalls abbilden.
Wenn es einigermaßen gelingt, einen AfD-Politiker in Widersprüche zu verwickeln, wie unlängst Sandra Maischberger im Gespräch mit Tino Chrupalla, bleibt die Wahrnehmung der AfD-Anhänger dennoch eine völlig andere. Auf Social-Media-Plattformen feiern sie jede kleine Bockigkeit und jede scheinbar schlagfertige Antwort ihrer Leute als einen kolossalen Sieg über die angebliche „Lügenpresse“. Es stimmt, die AfD benötigt ARD und ZDF nicht, sie setzt auf andere Kanäle. Warum aber sollten ARD und ZDF ihr den Gefallen tun, noch zusätzliches Futter für die Propaganda zu produzieren?
Im Jahre 2024 ist es wirklich nicht mehr nötig, in die Aufmerksamkeitsfalle der AfD zu tappen. Wer den journalistisch nachvollziehbaren Wunsch verspürt zu erfahren, wie ein AfD-Bürgermeister im Alltag agiert und was sich seit seiner Amtsübernahme verändert hat, kann dafür die passende Form finden: So hat der „Spiegel“ vor einiger Zeit einen Beitrag über Raguhn-Jeßnitz veröffentlicht, den Ort in Sachsen-Anhalt, in dem Hannes Loth von der AfD regiert. Das war kein Interview, sondern eine Newsstory, die mit dem dafür nötigen Abstand eine kritische Einordnung erlaubt. Dasselbe live in einem TV-Studio leisten zu wollen, ist vermessen (und Caren Miosga wirkt ja nicht wie eine Person, die größenwahnsinnig ist).
Kann nicht trotzdem etwas Erhellendes aus einem intensiven Gespräch herauskommen? Klar, ein bisschen mag bei sehr guter Vorbereitung schon möglich sein. Fast automatisch gleiten solche Gespräche jedoch entweder in zu viel Verständnis oder zu viel Empörung ab. In Caren Miosgas Format könnte das so aussehen, dass sie sich erst mal allein mit einem Mann wie Loth abmüht, ihn einzulullen versucht, ihm dann in aller Freundlichkeit die hässliche Fratze seiner Parteifreunde vorführt und auf eine authentische Reaktion hofft, um sich schließlich noch Verstärkung durch zwei weitere Talkgäste zu holen, zum Beispiel durch Michael Kretschmer (CDU) und eine Rechtsextremismus-Forscherin. Wer die AfD längst durchschaut hat, wird das alles in einer sportlichen Mischung aus Wettkampf-Voyeurismus und Grusellust verfolgen: Wem gelingt ein Treffer, wer hängt in den Seilen? Wer die AfD prima findet, schaut gar nicht erst zu oder bejubelt jede noch so dürre Antwort des Bürgermeisters. Und wer tatsächlich noch unsicher ist, ob die AfD wählbar ist oder nicht, wird sich womöglich fragen, warum Miosga und die beiden anderen es partout nicht schaffen, einen so soliden, friedfertigen Mann in Ruhe zu lassen.
Manchmal ist zu hören, es wirke schwach, der AfD auszuweichen, sich ihren Positionen und Protagonisten nicht zu stellen. Das wirke so, als traue man den eigenen Argumenten nicht. Das ist falsch. Man traut den eigenen Argumenten so sehr, dass es nicht nötig ist, die Zeit mit der AfD zu verschwenden. Mit einer Partei, deren Leute tricksen und täuschen. Mit einer Partei, die Redaktionen aus eigener Urteilskraft als extremistisch einstufen können, ohne dafür den Verfassungsschutz vorschieben zu müssen. Caren Miosga sieht das ja wohl ähnlich, wenn sie vor Lügnern warnt, denen in einer Livesendung nicht beizukommen sei. Wenn deshalb Führungsfiguren der AfD als Gäste für sie nicht infrage kommen: Warum sieht Miosga es als ihre Aufgabe an, unbedingt Personen aus der Partei zu finden, die angeblich besser geeignet sind und mit denen es sich zu diskutieren lohnt?
Die AfD hat sich selbst ins Abseits der Demokratie manövriert. Ob sie nun von 10, 20 oder 30 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gewählt wird, ändert daran nichts. Demokratie ist mehr als eine Rechenaufgabe. In den öffentlich-rechtlichen Sendern ist eine ständige Angst zu spüren, man könnte ihnen vorwerfen, parteiisch zu sein und die AfD zu diskriminieren. Ja, dann soll die AfD eben jammern und klagen. Soll sie doch versuchen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Als Opfer böser Medien werden sich AfD-Politiker immer darstellen, ob sie nun in eine Talkshow eingeladen werden oder nicht.
Die Öffentlich-Rechtlichen sind dafür da, die demokratische Debatte zu fördern. Sie sind nicht dafür da, denen eine Stimme zu geben, die sich um die Grundregeln demokratischer Debatten nicht scheren. Mit AfD-Leuten reden, mit ihnen diskutieren? Ja, das muss sein, in der U-Bahn, während einer Bürgerversammlung oder auf einer Familienfeier. Auch Caren Miosga kann das in ihrem Umfeld gerne tun. Aber lieber nicht in ihrer Talkshow.
Reaktion
Caren Miosga bekam den Kommentar vorab zu lesen. Die Moderatorin bittet aber um Verständnis dafür, dass sie noch nicht über eine Sendung sprechen möchte, die sie noch nicht moderiert hat. Bis Redaktionsschluss Mitte Februar gab es in der seit 21. Januar laufenden Talkshow keine AfD-Gäste.
Auch dem zuständigen NDR haben wir den Text zugesandt und gefragt, wie der Sender zu Miosgas Überlegung steht, AfD-Vertreter in ihre Sendung einzuladen, und wie der NDR grundsätzlich mit der Frage umgeht. Die (vollständige) Antwort:
„Die redaktionelle Verantwortung für den politischen Talk am Sonntagabend liegt beim NDR. Dies betrifft sowohl die Gäste- als auch die Themenauswahl. Wer also zu welchen Themen wann eingeladen wird, entscheiden Produktionsfirma und NDR Redaktion gemeinsam nach journalistischen Kriterien.“