Sind Sie gerne Unternehmer, Jan Weiler?
Interview: ULRIKE LANGER
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Kolumne „Mein Leben als Mensch“ selbst zu vermarkten?
Das hat unmittelbar mit meiner Kündigung durch den „Stern“ zu tun. Die haben mir vor einem Jahr erklärt, sie könnten sich meine Kolumne nicht mehr leisten und müssten meinen Vertrag kündigen. Daraufhin fand ich, es sei der richtige Zeitpunkt, sich mal darüber Gedanken zu machen, wie ich unter diesen Umständen mit meiner Arbeit künftig Geld verdienen kann. Ich habe dann erst mal einen neuen Partner gesucht, nämlich die „Welt am Sonntag“, weil es einen für allen sichtbaren Ort geben muss, wo die Kolumne außer im Internet auch physisch existiert. Außerdem bietet mir die „WamS“ als fester Abnehmer eine gewisse Existenzsicherung. Sie müssen ja bei der Vermarktung von was auch immer, ob Himbeermarmelade oder Autoreifen oder Kolumnen im Internet, immer berücksichtigen, dass die Leute zunächst einmal nicht wissen, dass es das Angebot überhaupt gibt.
Wie machen Sie es denn bekannt?
Inzwischen steht das auf der Rückseite meiner Bücher, auch den Neuauflagen der alten Bücher. Außerdem bekommt jeder Besucher meiner Lesung eine entsprechende Postkarte, die liegt auf dem Sitz. Wenn die Leute bei mir in die Vorstellung gehen und hören sich zwei Stunden lang Kolumnen an und mögen die, dann können sie die Karte als Gedankestütze mit nach Hause nehmen und dort die Kolumne abonnieren. Zusätzlich denke ich über verschiedene Wege der Web-Promotion nach.
Hätten Sie den Schritt zur Selbstvermarktung auch gewagt, wenn Sie nicht schon vorher Bestsellerautor gewesen wären?
Nein, darüber hätte ich mir niemals Gedanken gemacht. Das habe ich ja nur deshalb getan, weil der „Stern“ mich rausgeworfen hatte.
Sind Sie dem „Stern“ dafür im Nachhinein dankbar?
Ja, weil die mich dazu angeleitet haben, mir ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie so etwas in diesen Zeiten funktionieren kann. Ich hatte bis dahin nicht einmal eine Homepage. Die habe ich erst, seit ich überlegt habe, dass ich meine Kolumnen gerne weiterschreiben möchte, sie aber verkaufen muss. Ich konnte zum Glück nahtlos vom „Stern“ zur „Welt am Sonntag“ wechseln. Und parallel entstand die Webseite, die ich mit der Hamburger Agentur Factor Design entwickelt habe. Die Kontinuität war für mich wahnsinnig wichtig. Ich schreibe die Kolumnen natürlich gerne, aber ich muss sie auch schreiben, um etwas zu haben, was ich auf der Bühne erzählen kann.
Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen der Vermarktung über die „WamS“ und über ihre Webseite?
Die „Wams“ besitzt das Printabdruckrecht. Wenn sie die Kolumne zusätzlich in ihr Onlineangebot einstellen würde, dann gäbe es absolut keinen Grund, sie bei mir zu abonnieren. Übrigens ist strategisch eine Wochenzeitungfür mich viel besser als eine Illustrierte, weil sie nur einen Erscheinungstag hat. Wenn jemand am Sonntag die Zeitung mit der Kolumne nicht gekauft hat, kann er sie ab Montag nur noch bei mir bekommen. Der „Stern“ hingegen hat sieben Verkaufstage und liegt danach immer noch wochenlang in Wartezimmern. Das ist also nicht sehr exklusiv. Meine Abonnenten hingegen haben durchaus das Gefühl von exklusiver Behandlung. Sie bekommen jeden Montag Vormittag die neue Folge geliefert, entweder als PDF mit einer wunderschönen Illustration von Larissa Bertonasco oder als MP3-Audiodatei. Oder beides. Und das gibt es nirgendwo sonst.
Wieviele Abos verkaufen Sie über die Webseite?
Es läuft ganz gut, aber ich werde Ihnen keine konkreten Zahlen nennen. Das Geschäftsmodell ist jedenfalls total simpel. Die Leute kommen auf die Webseite, können die Kolumne bestellen und bekommen sie ein Jahr lang per E-Mail geliefert. Sie müssen sich nirgendwo einloggen, anmelden oder Daten von sich preisgeben. Ich wollte, dass es ganz einfach ist, um keine Hürde aufzubauen. Deswegen gibt es bei mir auch dieses altmodische Überweisungssystem.
Warum kann man die Folgen nicht auch einzeln kaufen?
Das ist in der Tat ein großes Problem, das mit dem Bezahlmodell zu tun hat. Natürlich möchte ich am liebsten, dass die Leute die Kolumne auch als einzelne Text- oder Audiodateien kaufen können. Das geht aber nicht. Ich kann das Geld nicht vereinnahmen.
Woran scheitert das?
Daran, dass es in Deutschland kein sinnvolles Bezahlmodell für Micropayments gibt.
Was ist mit Paypal?
Paypal ist zu teuer. Mit jeder Transaktion wollen die von mir 35 Cent. Meine Ware, also jede Einzelfolge, kostet aber nur 25 Cent. Ich finde, mehr darf die auch gar nicht kosten. Eine normale App bei iTunes kostet 79 Cent. Ein Musikstück kostet 99 Cent. Bei mir kostet eine MP3-Datei 25 Cent. Wenn ich jetzt mit Paypal oder einem anderen Anbieter zusammenarbeite, müsste ich schon 60 Cent nehmen, um auf meine 25 Cent zu kommen, und das halte ich für unrealistisch.
So etwas Schöngeistiges wie eine Kolumne kann man doch sicher auch gut als Geschenkabo vermarkten?
Ja, in der Weihnachtszeit ist das wahnsinnig gut gelaufen. Die Leute kümmern sich dann um Geschenke und gehen raus, da macht es ihnen nichts aus, den Überweisungsträger auszufüllen. Sonst ist das schon eine Hürde, weil viele Leute dafür erst zur Bank gehen müssen. Man kann ja genau sehen, an welcher Stelle auf der Webseite das Interesse erlahmt. Sehr viele Leute besuchen die Seite, immer noch viele sehen sich das Aboangebot an und zum Glück nehmen es einige auch wahr. Aber viele eben auch nicht, weil es kein One-Click-Geschäft ist, wie bei Amazon oder iTunes. Mit diesem Thema beschäftigen sich im Moment alle und sobald es eine Lösung dafür gibt, wird sich die Medienlandschaft in Deutschland radikal verändern. Warten Sie die Einführung des iPad ab, dann geht das ganz schnell.
Man muss sich bei Ihnen für ein Jahr binden. Warum lassen Sie keine kürzeren Zeiträume zu, zum Beispiel Quartale?
Da wäre die Datenpflege sehr aufwändig. Man muss dann darauf achten, dass der Kunde mit der Kundennummer x nur 13 Folgen bekommt und der Kunde y 26 Folgen usw. Jemanden, der diese Datenbank pflegt, muss man auch bezahlen. Der rechnet nach Stunden ab.
Was gibt es sonst noch alles unter der Marke Jan Weiler?
Ich schreibe Kolummnen, Romane und Hörspiele, Kinodrehbücher und ich gehe auf Lesereisen. Es ist ein verhältnismäßig profaner Autorenbereich, den ich abdecke. Außerdem mache ich hier und da ein bisschen Werbung. Wenn eine Agentur anfragt , dann arbeite ich an Kampagnen mit, weil mir das Spaß macht. Es gibt auch immer mal Anregungen auf der Seite Merchandising-Produkte zu verkaufen – Kaffeetassen und T-Shirts und sowas. Ich bin aber nicht Mario Barth, ich bin kein Entertainer, ich bin Autor. Ich versuche mein Geld damit zu verdienen, dass ich meine Texte unter die Leute bringen.
Sind Sie gerne Unternehmer?
Nein, überhaupt nicht. Das Unternehmerische geschieht geradezu gegen meinen Willen. Ich möchte eigentlich nur Schreiben und Vorlesen. Etwas anderes interessiert mich überhaupt nicht. Knapp zwei Wochen im Monat bin ich unterwegs auf Tournee. Die restlichen zwei Wochen bin ich zuhause, schreibe meine Kolumnen, mache meinen Bürokram und muss mich mit Dingen wie Apps, Podcasts, und texttunes auseinanderzusetzen. Es gibt ja beispielsweise mein Buch „Drachensaat“ jetzt auch als E-Book bei Rowohlt und als App. Ich finde das alles zwar ganz interessant, aber es raubt mir unverhältmismäßig viel Zeit. Ich bin schließlich nicht in diesen Beruf gegangen, um mir darüber Gedanken zu machen, wie man Pressemitteilungen auf seiner eigenen Hompege zum E-Book-Angebot bringt. Ich muss das aber machen, weil ich sonst das Gefühl habe, völlig von anderen abhängig zu sein.
Könnten Sie sich auch ein Zurück ins Angestelltendasein vorstellen?
Nein. Im Moment nicht. Ich war ja elf Jahre beim „SZ-Magazin“, davon fünf als Chefredakteur. Das war eine schöne Zeit. Aber mit 37 Jahren hatte ich das Gefühl, es geht nicht mehr weiter. Ich war in gefühlten 5916 Konferenzen gewesen und wusste am Ende immer schon genau, was jeder zu jeder Idee sagen wird. Das hat mich unendlich gelangweilt. Ich wollte versuchen, etwas anderes zu machen, obwohl ich auch wahnsinnige Angst davor hatte. Ich bin von der Mentalität eher ein freiberuflicher Postbeamter. Ich habe den Schritt ins Freiberuflertum nie bereut. Ich bin aber in einer sehr privilegierten Lage, weil zu dem Zeitpunkt mein erstes Buch schon ein großer Erfolg war, weil ich den Vertrag für das zweite Buch in der Tasche hatte und das mit den Lesereisen gerade losging. Ich hätte sicher nicht meine Stellung gekündigt, um einfach in den Tag hinein zu leben.
Was würden Sie Kollegen raten, die ebenfalls selbstbestimmt arbeiten möchten?
Gundsätzlich würde ich dazu raten, umzuschulen und Heizungsinstallateur zu werden. In diesem kalten Winter sind massenweise Heizungen kapputt gegangen und die selbstbestimmten Heizungsinstallateure kommen, wann sie wollen, und machen, was sie wollen. Nein im Ernst: Man braucht Geduld. Sie müssen mit der Tatsache leben, dass Ihr Angebot, so gut es auch sein mag, unglaublich lange brauchen wird, um sich durchzusetzen. Das Trügerische an dem Medium Internet ist ja, dass ich die Adresse meiner Seite und den Inhalt natürlich kenne, aber die anderen nicht. Und es dauert wirklich sehr lange, bis ich über einen inneren Kreis an Leuten, die sich sowieso für mich als Person interessieren, auch zu denen komme, die sich überhaupt nicht für mich interessieren, aber für das Produkt. Das ist mit viel Frustration verbunden. Man arbeitet lange unter Ausschluss der Öffentlichkeit, obwohl die Öffentlichkeit im Internet theoretisch die größte ist, die es überhaupt gibt. Man ist dort ein Sandkorn in einer Wüste, das muss einem klar sein. Wenn man aber damit gut leben kann und einfach seine Arbeit so gut wie möglich machen will, dann sollte das kein Hinderungsgrund sein.
Jan Weiler
(42) ist seit 2005 freier Autor. Er schreibt seine Kolumne „Mein Leben als Mensch“ nicht nur für die „Welt am Sonntag“, sondern verkauft sie über seine Webseite janweiler.de auch direkt an Abonnenten. Ein Jahresabo mit 52 Folgen als Text- oder Audiodatei kostet jeweils 13 Euro. Weiler war Werbetexter, Absolvent der Deutschen Journalistenschule (DJS) und Chefredakteur des „SZ-Magazin“ (gemeinsam mit Dominik Wichmann). Er schreibt Kolumnen, Bücher, Hörbücher und Hörspiele, ist Sprecher seiner CDs und geht auf Lesetourneen. Schon sein Erstlingsroman „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ (2003) wurde ein Bestseller. Für die Verfilmung dieses Buches, das 2009 in die die deutschen Kinos kam, schrieb er das Drehbuch und hatte einen Cameo-Auftritt als Standesbeamter. Gemeinsam mit zwei Freunden betreibt er die „Vinoteca Marcipane“, ein kleines Restaurant mit Weinhandlung in einem Dorf am Starnberger See. Bei Gräfe und Unzer erschien 2009 sein gemeinsam mit dem Koch Corbinian Kohn verfasstes „Marcipane Kochbuch“. Jan Weiler lebt mit seiner deutsch-italienischen Frau und den zwei gemeinsamen Kindern in Icking in Oberbayern.
Fotos: Daniel Josefsohn