„Seitenwechsel für den Aufstieg“

Als ARD-Faktenchecker war Patrick Gensing einer der bekanntesten und engagiertesten Köpfe im Kampf gegen Desinformation. Jetzt verfolgt er seine andere Leidenschaft und will Kultclub St. Pauli kommunikativ in die Bundesliga führen. 

Interview: Senta Krasser

Den FC St. Pauli trägt der Hamburger Patrick Gensing schon lange im Herzen. Dennoch kam sein Wechsel vom NDR zum Kiezclub überraschend. Seit 1. Juni vertritt er dort Medienchefin Anne Kunze, die für ein Jahr in Mutterschutz geht. Der 48-jährige Politikjournalist Gensing leitete zuvor seit der Gründung 2017 das Rechercheressort Faktenfinder der „Tagesschau“ und seit 2019 das Team Tagesschau Investigativ. In seinem Abschieds-Tweet wünschte er „dem ÖRR den notwendigen Mut, sich gegen unsachliche Attacken beherzt zu wehren und MitarbeiterInnen zu schützen“.

Stehplatz statt Newsroom: Patrick Gensing im Millerntor-Stadion. (Foto: FCSP)

Vom Deutschen Meister der Nachrichten als Schwangerschaftsvertretung zum Fußball-Zweitligisten – warum ist das kein Abstieg?

Das habe ich auch gelesen, stand bei „Tichys Einblick“, muss also stimmen. Im Ernst: Die Vertretung für eine Frau ist in meiner Welt kein Abstieg. Ich denke in anderen Kategorien als oben und unten, nämlich nach vorne.

In der Abi-Zeitung gaben Sie als Traumjob an: Platzwart bei St. Pauli. Wieso dann der Umweg über den Journalismus?

Greenkeeping ist eine Wissenschaft für sich. Mit mir als Platzwart wäre der Platz im Millerntor bald wieder ein Rübenacker wie in den 1980er-Jahren. Daher lieber das Medien-Handwerk.

Fünf Jahre ARD-„Faktenfinder“ – was war top, was Flop?

Top: Rückmeldungen von Menschen, die die Wichtigkeit von der Aufklärung über Desinformation betont haben. Flop: Dass wir es nicht geschafft haben, die Gefahr durch russische Propaganda stärker ins öffentliche Bewusstsein zu hieven

Aber Ihr Ressort ist grundsätzlich eine sinnvolle journalistische Einrichtung?

Probleme ignorieren – das ist keine Lösung. Daher muss sich der Journalismus der Herausforderung der bewussten Irreführung stellen. Desinformation ist ein Angriff auf den Journalismus. Faktenchecks alleine reichen aber nicht, es ist entscheidend, den größeren Kontext darzulegen.

Um den Hans-Georgs dieser Welt den Verschwörungswind zu nehmen: Sie haben gekündigt, korrekt?

Nach dem Ende der Ära Merkel haben die jetzigen Machthaber neue Marionetten eingesetzt. Oder anders ausgedrückt: Ja, habe ich. Warum denn auch nicht?

Im Fußball liegen die Fakten immer klar auf dem Rasen, ebenso korrekt?

Wenn es so einfach wäre. Mein erster Faktencheck ergab: Ein Spiel dauert meist gar nicht 90 Minuten, sondern fast immer länger.

Was kann man als Journalist vom Fußball lernen?

Wie man vernünftige Gehälter rausverhandelt.

Und was vice versa die Braun-Weißen von Ihnen?

Noch mehr Mut, zu Überzeugungen zu stehen und Gegenwind auszuhalten.

Wie entspannen Sie sich jetzt vom Medienstress? Sagen Sie nicht: Fußball.

Erstens liebe ich meine Arbeit. Zweitens laufe ich Ultra-Marathon. Danach ist mir fast alles egal.

Mit welchem Satz beginnen Sie ein Gespräch mit HSV-Fans?

Brudi, ist doch nur der HSV: …

Was muss passieren, damit St. Pauli wieder Bundesliga spielt?

Wir müssen weiter unseren Weg gehen – dann ist ein Aufstieg unvermeidlich. Zumindest irgendwann. 😉

Was sollte Ihnen später einmal nachgesagt werden?

Er fand seinen Weg, das ist Fakt.

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Dieser Text stammt aus dem aktuellen medium magazin (Ausgabe 03/22). Dieses ist als Print- oder E-Paper-Ausgabe in unserem Shop erhältlich.
Weitere Themen im Heft:
– Die „Top 30 bis 30 2022“: Welche jungen Talente den Journalismus von morgen prägen werden
– Identitätskrise und Digitalisierungsrückstand: Kann Gregor Peter Schmitz den „Stern“ retten?
– Mach’s doch einfach selbst: Wie Sie als Creator ihr unabhängiges Medienprojekt starten.