Sebastian Matthes: „Wir wollen nicht wie die Netz-Rowdys dastehen, die Leute ausbeuten“
Am 10. Oktober startet die „Huffington Post Deutschland“ . Der vollen Aufmerksamkeit von HuffPo-Gründerin Arianna Huffington darf sich Sebastian Matthes sicher sein: Sie gab ihrem künftigen Deutschland-Chefredakteur bei dessen New-York-Besuch mit auf den Weg: „Ihr seid unser neuestes Baby. Wir werden alles dafür tun, dass ihr schnell groß und unabhängig werdet!“ Derart verhätschelt machte sich Matthes auf den Weg zurück nach Deutschland. Der 36-Jährige ist zwar noch immer bei der Düsseldorfer „Wirtschaftswoche“ gebunden. Sein Team legt aber am Donnerstag, 10. Oktober, in München schon los – geführt von Focus Online-Chef Daniel Steil. Ein Gespräch mit Matthes über Erwartungen, den idealen „Huffington-Post“-Journalisten und Texte, für die mit Klicks statt Geld bezahlt wird.
Sind deutsche Journalisten schon bereit für die Huffington Post?
Sebastian Matthes: Auf jeden Fall. Als die Stellen für die „Huffington Post“ ausgeschrieben wurden, haben sich einige hundert Kolleginnen und Kollegen mit teils sehr guten Lebensläufen beworben. Das zeigt, wie groß das Interesse an dieser neuen Nachrichtenplattform ist.
Und was bieten Sie denen? Ein sehr innovatives Arbeitsumfeld. Wir eröffnen Journalisten die Möglichkeit, konsequent multimedial zu arbeiten. Das von der „Huffington Post“ selbstentwickelte Redaktionssystem lässt Redakteure im Detail verfolgen und analysieren, wie ihre Geschichten, Überschriften und Videos laufen. Daraus können sie sehr schnell ihre Schlüsse ziehen. Wir bieten Journalisten die Chance, eine Technik zu nutzen, die in Deutschland ihresgleichen sucht.
Die Huffington Post Deutschland startet mit 15 fest beschäftigten Journalisten. Welcher Typus Redakteur ist das?
Die Kollegen sind alle extrem internetaffin. Sie leben im Netz und sie leben dafür, die coolsten und spannendsten Geschichten aufzutreiben. Im Team sind sowohl Kollegen, die schon einige Jahre bei großen Medien wie der Welt, der Süddeutschen oder beim Focus gearbeitet haben. Andere stehen am Anfang ihrer Karriere.
Redakteure, die ihr Leben lang nur auf Papier publiziert haben, können es nicht schaffen?
Das kann man so auf keinen Fall sagen. Bei der „Huffington Post“ in New York hatte ich ein paar sehr gute Gespräche mit Redakteuren, die viele Jahre für die „New York Times“ oder die „Washington Post“ gearbeitet haben. Deren Kontakte sind extrem wichtig für die Huffington Post. Für alle aber gilt: Die Kollegen müssen bereit sein, alle technischen Möglichkeiten des Internets tief in ihren Arbeitsalltag zu integrieren: Wer keine Lust auf Social Media und Blogs hat, ist bei uns falsch.
Info „Huffington Post Deutschland“: Die „Huffington Post Deutschland“ beginnt am 10. Oktober unter www.huffingtonpost.de. Bei Twitter ist die Redaktion unter @HuffPoDE zu erreichen. Chefredakteur Matthes bloggt selbst unter www.ungedruckt.net und twittert als @smatthes.
Warum Matthes gerne die zweite Geige spielt, lesen Sie übrigens in der gedruckten „medium magazin“ Ausgabe 10-2013, die am 18. Oktober erscheint – mit u.a den weiteren Themen: Exklusiv-Interview mit „Bild“-Chef Kai Diekmann zu seiner wundersamen Wandlung zum Nerd und zu den Umbauplänen bei „Bild“, wie erfolgreiches Crowdfunding funktioniert, neue Reihe über große Reporter, Teil 1: Heike Faller, das Jahres-Special „Journalistin 2013“ mit 77 Onlinerinnen, Interview mit „wiwo.de-Chefredakteurin Franziska Bluhm, Stephanie Nannen über ihren Großvater Henri, Altern vom Bildschirm, 16 Seiten Journalisten-Werkstatt „Besser schreiben: Die Glosse“ . Hier können Sie Ausgabe 10/11-2013 bestellen: vertrieb@mediummagazin.de
Welche Rolle spielt „Focus Online“, mit denen Ihre Mannschaft in München Tür an Tür sitzt?
Zwischen den beiden Redaktionen wird es, neben einem gesunden Wettbewerb, ein sehr freundschaftliches Verhältnis geben. Die Kollegen werden uns anfangs in Tagesrandzeiten mit redaktioneller Kapazität unterstützen und eventuell bei aktuellen Lagen spät abends oder nachts aushelfen. Focus.de-Chefredakteur Daniel Steil hat sogar zugestimmt, dass wir ihm mit Danuta Szarek und Susanne Klaiber zwei sehr gute Kolleginnen abwerben. Ich bin sehr angetan von der offenen Unternehmenskultur bei Tomorrow Focus. Zugleich hilft uns das technische Know-how des Unternehmens: Unter anderem wurde das Huffington-Post-Redaktionssystem in Rekordzeit nach Deutschland übertragen.
Die Medienmacher sind bereit, sagen Sie. Sind es auch die Leser?
Schauen Sie mal, wer jetzt gerade alles anfängt zu bloggen. In meinem Bekanntenkreis jedenfalls gibt es viele, die aktuell ein Tumblr- oder WordPress-Blog aufsetzen und einfach mit dem Schreiben beginnen. Zwei Wochen später eröffnen sie einen Google-Analytics-Account, dann pushen sie ihre Beiträge über Facebook und schließlich melden sie sich bei Twitter an. Das ist eine tolle Entwicklung. Es gibt ein Bedürfnis der Menschen, ihre Meinung zu veröffentlichen. Auch im professionellen Bereich übrigens. So beginnen gerade viele Ökonomen und andere Wissenschaftler, über ihre Forschung zu bloggen. Wir bieten diesen Menschen eine weitere Plattform.
Die „Huffington Post“ setzt massiv auf Texte solcher Blogger. Wie wollen Sie einen hohen journalistischen Standard aufrechterhalten bei einem so heterogenen Autorenpool?
Wir kennzeichnen sehr deutlich, welche Texte von unseren Redakteuren sind und welche von Gastautoren stammen. Und natürlich überprüfen wir alle Texte, die bei uns auf die Seite gehen. Falls es reine PR ist, behalten wir uns vor, Texte nicht zu veröffentlichen.
Wie hoch wird der Anteil an Texten von klassischen Journalisten aus Ihrer Redaktion sein, wie hoch der von Bloggern und wie hoch der von anderen Seiten, auf die die Huffington Post verlinkt?
Anfangs wird der überwiegende Teil unserer Texte aus der Redaktion stammen. Dabei werden wir auch Texte der Huffington-Post-Ausgaben aus anderen Ländern übernehmen. Außerdem wollen wir pro Tag drei oder vier sogenannte Link-Outs auf andere Seiten anbieten. Dabei verlinken wir direkt von unserer Startseite auf interessante Inhalte anderswo: Falls in einem Blog oder auf einer anderen Nachrichtenseite eine spannende Analyse zur Lage in Syrien steht, die wir nicht haben, verweisen wir unsere Leser dorthin, wenn der Besitzer der anderen Seite nichts dagegen hat. Es geht uns darum, mit der „Huffington Post Deutschland“ eine Plattform zu schaffen, auf der alle wichtigen Themen vertreten sind.
Erwarten Sie keine Probleme durch das seit August geltende Leistungsschutzrecht?
Nein überhaupt nicht. Wir investieren viel in eigene Inhalte. Und wir werden – wie im Internet üblich – auf weiterführende Quellen verlinken. Aber wenn wir das tun, erfolgt das natürlich immer leistungsschutzrechtkonform.
Seit einigen Monaten bemühen sich deutsche Verlage verstärkt, die Nutzer auch im Netz ans Bezahlen zu gewöhnen. Wird die Huffington Post immer für konsequente Kostenloskultur stehen?
Die „Huffington Post“ ist von ihrer DNA her ein Nachrichtenportal ohne Bezahlschranke – und das wird auch so bleiben. Wir sind aber davon überzeugt, dass kostenpflichtige und kostenlose Angebote nebeneinander existieren können. Das zeigt das Beispiel USA, wo beide Modelle erfolgreich sind.
Auch beim Anwerben von Texten setzten Sie auf kostenlos. Warum bekommen Ihre Autoren nichts?
Die „Huffington Post“ bietet Autoren ein Plattform. Bei uns können sie mit Themen, die sie begeistern, ein Publikum erreichen, das sie sonst möglicherweise nicht erreicht hätten. Wir führen doch auch keine Debatte darüber, ob Tumblr und Twitter Leuten etwas bezahlen müsste, weil diese dort veröffentlichen.
Ein seltsamer Vergleich. Tumblr und Twitter sind keine journalistischen Angebote.
Aber sie sind auch Plattformen. Die „Huffington Post“ ist Nachrichtenseite und Engagement-Plattform zugleich. Ein Ort, an dem Menschen die Möglichkeit bekommen, Gedanken und Meinungen zu äußern zu Themen, die sie interessieren. Wir sprechen daher nicht in erster Linie Journalisten an, die exklusiv für uns schreiben. Unser Angebot richtet sich an Wissenschaftler, die über ihre Forschung schreiben, Privatleute die über ihr Hobby bloggen oder, sagen wir, einen Personal Trainer, der Menschen für einen Marathon fit macht. Es wäre doch spannend, wenn der bei uns in regelmäßigen Gastbeiträgen beschreiben würde, wie man einen Marathon schneller schafft. Vielleicht bringt ihm das neue Kunden.
Wenn aber die Eigenwerbung die Bezahlung ist, dann ist jeder Artikel eine Anzeige.
Wenn Sie glauben, dass jeder Blog im Netz nur zur Eigenwerbung gemacht ist, okay. Aber dieses Verständnis von Internet habe ich nicht. Es gibt sehr viele Menschen, die etwas zu sagen haben. Das muss nicht immer gleich PR sein. Und nochmal: Reine Verkaufsshows würden wir nicht akzeptieren.
Sie rennen nicht überall offene Türen ein. Neulich gelangte eine Mail an die Öffentlichkeit, in der ein Blogger einem Ihrer Redakteure einen Korb verpasst. Er antwortete voller Ironie, er frage mal seinen Vermieter, ob er kostenlos wohnen dürfe, wenn er künftig kostenlos für die Huffington Post schreibt. Wie häufig blitzen sie ab?
Die rege Diskussion über die „Huffington Post“ hat dafür gesorgt, dass viele Blogger unser Konzept verstehen. Gerade erhalten wir mehr Anfragen, als das Team abarbeiten kann. Aber dennoch: Wir wollen nicht wie die Netz-Rowdys dastehen, die Leute ausbeuten. Denn das sind wir nicht.
Ihnen ist aber schon klar, dass Verbände und Verlage mit genau diesem Argument noch einmal ordentlich gegen sie stänkern werden?
Nur zu. Dann erkläre ich ihnen das Modell gerne noch einmal. Was viele übersehen: Niemand ist gezwungen, für die „Huffington Post“ zu schreiben. Wir machen lediglich ein Angebot. Bislang wurde im Übrigen eher positiv über uns berichtet.
In Ihrem Blogbeitrag über den Wechsel zur „Huffington Post“ beschreiben Sie Ihr Idealbild des Journalisten auch als „Freund unter Gleichgesinnten“, als Teil einer großen Nutzergemeinde. Wo bleibt denn die kritische Distanz, wenn alle – spitz gesagt – sich in ihrer super open-minded community einkuscheln?
Mit dem Freund meine ich das Verhältnis zwischen Lesern und Journalisten – nicht das Verhältnis zu denen, über die Journalisten berichten. Es gibt ganz viele beeindruckende Experten zu den unterschiedlichsten Themen im Netz. Die schreiben ihre Blogs, füllen Facebook-Seiten oder verfassen Gastbeiträge. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Journalisten diese Wissensressource noch zu wenig nutzen. Wer sich aber mit den Experten im Netz wirklich auseinandersetzt, stößt auf neue Themen und erschließt sich andere, überraschende Blickwinkel.
Welche Blogger suchen Sie noch?
Spannend finde ich den „Do it yourself“-Bereich. Ich fände es auch toll, ein paar Psychologen zu gewinnen, die über aktuelle Studien schreiben, zudem gerne auch Ökonomen, die ja ohnehin gerade das Netz für sich entdecken. Aber grundsätzlich sind wir für Autoren aus allen Bereichen offen.
Interview: Jens Twiehaus