Zur Verhaftung von Ratko Mladic: Carl Wilhelm Mackes Tagebuchnotiz vom 26.05.2011

„Die erste Reaktion nach der Nachricht von der Verhaftung von Ratko Mladic‘: sofort zum Haidhauser Friedhof gehen (in der Nähe unserer Wohnung) und Egon Scotland die Nachricht ‚überbringen‘.

In diesem Jahr jährt sich zum 20. Mal der gewaltsame Tod von Egon anläßlich einer Reportagereise durch das damalige Kriegsgebiet in der ( kroatischen ) Kraina. Erschossen wurde er mutmasslichen von serbischen Milizionären. Unmittelbar scheint Ratko Mladic‘ mit dieser Ermordung in keinem Zusammenhang zu stehen, aber als Oberbefehlshaber der serbischen Truppen ist seine Verantwortung für viele Kriegsververbrechen in jenen Jahren unstrittig. Nähere Einzelheiten wird ( hoffentlich ) der Prozess in Den Haag offenlegen.

Seitdem Egon Scotland auf dem Haidhauser Friedhof seine letzte Ruhestätte gefunden hat, ist er mir einer der nächsten Freunde unter den Toten geworden. Oft führe ich mit ihm imaginäre Gespräche und informiere ihn über Neuigkeiten unter uns Lebenden, die ihn vielleicht interessieren könnten.

Heute berichtete ich ihm aus aktuellen Gründen über die lang ersehnte Verhaftung von Mladic‘. Wie er auf diese Nachricht reagierte, weiß ich nicht. Der Informationsfluß unter uns ist ja ’naturgemäß‘ immer sehr einseitig. Aber wenn Tote weinen können, dann waren seine Tränen keine Tränen der Trauer, sondern der Freude. In dem Notizbuch, das er bei sich trug, als er erschossen wurde, fand man die Aufforderung, die er irgendwann in den letzten Tagen vor seinem Tod festgehalten hatte:

„Schreib auf, soviel du kannst/ Mein Freund“.

Das gilt auch jetzt nach der Verhaftung von Mladic‘. So viel wie möglich über die Opfer der Kriege in den neunziger Jahre in den Regionen des ehemaligen Jugoslawien schreiben. Und auch über die Täter, um die Ursachen der Gewalt besser zu verstehen. Als ich den Friedhof wieder verließ, verzog sich gerade ein drohendes Gewitter.“

Carl Wilhelm Macke, Journalisten helfen Journalisten, Kontakt per eMail