Vanessa Vu (Foto: Michael Heck/Zeit Online)

Vanessa Vu

Redakteurin, "Zeit Online"

Wichtigste Stationen?
Ich bin im niederbayerischen Pfarrkirchen aufgewachsen und zur Schule gegangen, nach dem Abitur habe ich in München, Paris und London Ethnologie studiert. Am meisten haben mich dabei Identitäts- und Gerechtigkeitsfragen interessiert – und die dazugehörigen Konflikte: Rassismus, Sexismus, Separatismus, Völkermorde, Krieg. Ich habe sehr gern studiert, theoretische Bücher gelesen, und nur wenig geschrieben. Dennoch entschied ich mich zum Ende meines Masters für das Geschichtenerzählen, vielleicht aus Nostalgie: Als Kind wollte ich Journalistin werden. Ich bewarb mich auf die Deutsche Journalistenschule, es klappte, und aus meinem ersten Pflichtpraktikum wurde mein erster Job: Seit Mai 2017 arbeite ich als Politik- und Gesellschaftsredakteurin bei ZEIT ONLINE. Für meine journalistische Arbeit erhielt ich 2017 den Helmut-Schmidt-Nachwuchspreis (1. Platz) und 2018 den Theodor-Wolff-Preis (Kategorie “Heimat und die Fremden”).

Auf welche Geschichte sind Sie besonders stolz?
Am häufigsten werde ich auf die Geschichte über meine Kindheit in Angst vor Abschiebung angesprochen. Ich habe dafür viele Wochen mit Eltern, Freunden und Behördenmitarbeitern gesprochen, bin an die Orte meiner Kindheit gefahren, habe unsere Ausländerakten durchwühlt. Das war alles emotional und schön. Wirklich stolz bin ich aber auf zwei andere Projekte: Die ZEIT-ONLINE-Serie “Alltag Rassismus”, die ich in monatelanger Arbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ressorts erarbeitet habe. Und ich bin stolz auf meinen Podcast “Rice and Shine”. Mit meiner Co-Moderatorin Minh Thu Tran erzähle ich vietdeutsche Geschichten, damit konnten wir eine kleine, wertschätzende Community aufbauen.

Was planen Sie als nächstes?
Mehr Minderheitenperspektiven! Ich habe lange akzeptiert, dass Leute ganz existenzielle Fragen und Probleme von Minderheiten als Randthemen beiseite gewischt haben. Erst mit den Jahren bekam ich das Selbstbewusstsein zu sagen: Das sind keine Randthemen, am Umgang mit den Minderheiten lassen sich die Werte der Mehrheit messen. Ich bin heute in der glücklichen Position, eine große Plattform zu haben und gerade Sätze schreiben zu können. Das möchte ich nutzen, um mehr von den Menschen zu hören, denen wir viel zu selten zuhören. Derzeit habe ich auch viel Lust, mit längeren Formaten zu experimentieren, etwa einem Buch.

Wie würden Sie gerne in zehn Jahren arbeiten?
Ich würde gerne in einem diverseren Umfeld arbeiten. Das ist eine Gerechtigkeitsfrage, aber auch ganz egoistisch: Sobald ich von mehr Menschen umgeben bin, die ebenfalls nicht bildungsbürgerlich-deutsch aufgewachsen bin, entspinnen sich ganz neue, aufregende Gedanken. Man ist nicht mehr die Exotin und kommt heraus aus dem Erklär- und Rechtfertigungsmodus, entwickelt andere Ideen und Erzählweisen. Das empfinde ich als befreiend. Bis dahin freue ich mich, dass meine jetzigen Kolleginnen und Kollegen mich so annehmen, wie ich bin, und mich auch ermutigen, ungewöhnliche Perspektiven einzunehmen.

Welcher gute Rat hat Ihnen in Ihrer Laufbahn besonders weitergeholfen?
Ich war vielleicht fünf Jahre alt, da wurde ich von den anderen Kindern im Asylbewerberheim verprügelt. Völlig aufgelöst lief ich zu meinen Eltern. Anstatt meine Hand zu nehmen und die anderen Kinder zu schimpfen, blieb mein Vater hart: Du kannst dich nicht einfach schlagen lassen, sagte er mir, du musst zurückschlagen. Aus einer Mischung aus Entsetzen und Wut über seine Reaktion stürmte ich zu meinen Angreifern und boxte sie, bis sie wegliefen und für immer Respekt vor mir hatten. Es war eine kurze Schlägerkarriere, ich habe nie wieder eine Person geschlagen und würde niemandem je zu Gewalt raten, aber ich lernte die Lektion meines Lebens: Man darf sich nicht alles gefallen lassen.  

Welche/r Kollege/in hat Ihnen besonders geholfen?
Es wäre fahrlässig, an dieser Stelle einige ZEIT ONLINE-Kollegen herauszupicken, denn ich schätze so viele Menschen dieser Redaktion, sie alle haben mich auf ihre Weise unterstützt: durch die Chance, hier überhaupt arbeiten zu dürfen, durch fantastische Redigaturen, kritische Textbesprechungen, aufmunternde Worte oder einfach ein großes Vertrauen in das, was ich mache. Fühlt euch also bitte alle angesprochen. Ansonsten war ich in einem Förderprogramm für Nachwuchsjournalistinnen mit Migrationshintergrund, “Medienvielfalt, anders” hieß das. Innerhalb des Programms habe ich tolle Leute kennengelernt: David Zajonz, Kaveh Rostamkhani, Weixin Zha, Mirela Delic, Tareq Sydiq, Mimoza Troni, Deniz Tavli. Wir haben uns nächtelang über unsere Vergangenheit und unsere Träume für die Zukunft ausgetauscht, über Praktika und Vorbilder, über Politik und Gesellschaft. Ich hab mich noch nie so verstanden gefühlt und bestärkt wie unter diesen wunderbaren Menschen. Aus der Zeit schöpfe ich bis heute und auch wenn wir uns nicht mehr oft sehen, sind sie die ersten Ansprechpersonen, wenn ich Erfolg oder Misserfolg habe, oder wenn ich einfach nur unsicher bin oder mich einsam fühle.

Warum tun Sie eigentlich, was Sie tun?
Als ich meine Stelle bei ZEIT ONLINE anfing, formulierte ich das für mein Autorenprofil so: Mich treibt der Wunsch an, Menschen zu verstehen. Am liebsten die, die nicht verstanden werden: Hassende und Gehasste, Ausgegrenzte und Andere. Daran hat sich nichts geändert. Das schönste am Journalismus sind die Begegnungen mit Menschen, die ich ohne den Arbeitskontext womöglich nicht kennenlernen würde und denen ich nicht so viele Fragen stellen könnte.

 

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