„ohne dpa“: Das Protokoll der HNA-Redaktion

Zur Ausgangssituation:

Erstmals testete eine Regionalzeitung freiwillig für sechs Wochen den Verzicht auf dpa als Agentur-Marktführer (siehe auch Titelgeschichte mediummagazin 6/09). Das Ergebnis des Test war von Anfang als offen angelegt. Das Ziel:Die Schwächen und Stärken der Agentur und mögliche Alternativen im redaktionellen Alltag zu testen. Mit allen Agenturen war ein anschließendes Werkstatt-Gespräch vereinbart.

Mit der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA), die im ersten Quartal dieses Jahres 232.000 Exemplare verkaufte (-1,3 Prozent zum Vorjahr), erscheint in Nordhessen eine typische deutsche Regionalzeitung: Die Kernausgabe erscheint in Kassel, einer Stadt mit 194.000 Einwohnern. Außerdem produzieren die zirka 140 Redakteure der HNA noch 16 Lokalausgaben, die im Umland (sowohl Niedersachsenals auch Hessen) erscheinen. Die HNA gehört zur Ippen-Gruppe (u.a. auch „Münchner Merkur“, Münchner „tz“ und „Westfälischer Anzeiger“).

Zum Jahreswechsel 2008/2009 hatte bereits die WAZ-Gruppe für Aufregung in der Branche gesorgt als sie ihre Verträge mit der dpa mit der Begründung auslaufen ließ, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimme nicht mehr. Im Kern hieß es, dpa sei zu teuer, könne mit günstigeren Konkurrenten ersetzt und damit Arbeitsplätze in den Redaktionen der WAZ-Gruppe gesichert werden. Weil die WAZ aber für ihre vier in Nordrhein-Westfalen erscheinenden Zeitungen gleichzeitig zentrale Content- und Produktionsdesks einführte, also titelübergreifend auf Synergien setzte, galt dieser dpa-Ausstieg noch nicht als Wegweisend. Anders bei der HNA: Weil die Ippen-Titel nach wie vor eigenständig sind und nur durch das hauseigene Intranet (ippen.net) sporadisch Texte austauschten, damit die Regionalzeitung eher vergleichbar mit anderen ist, als wurde das Ergebnis des dpa-Verzichtes in Kassel mit Spannung erwartet.

Die Testphase. Die HNA verzichtete vom 23. März an für sechs Wochen komplett sowohl auf die Text- als auch auf die Bilderdienste der dpa. Betroffen war auch die Internetredaktion. Das Berliner Hauptstadtbüro (3 Korrespondenten) war vom Test ausgenommen, da es für die gesamte Ippen-Gruppe arbeitet und es daher in zwei Versionen hätte arbeiten müssen. Technisch gesehen wurde die HNA von dpa weiter beliefert. Das Redaktionssystem wurde aber so eingestellt, dass die Redakteure kein dpa-Material sehen konnten. In den Redaktionssystemen wurden in der Testphase wie gewohnt die Dienste der Associated Press (AP) angezeigt. Außerdem testete die HNA den Deutschen Depeschendienst (ddp) – sowohl Basis- und Landesdienste als auch den Fotodienst. Seit dem 4. Mai arbeitet die HNA wieder mit dpa-Material.

In den Mantelredaktionen für Politik, Wirtschaft und Kultur arbeiten insgesamt 14 HNA-Redakteure. In der Sportredaktion, die auch die regionalen Sportseiten produziert, arbeiten etwa 8 Redakteure, die probeweise auf die Meldungen des Sport Informations Dienstes (sid) zurückgreifen konnten. Fotomaterial lieferte weiter AP-Images, die des internationalen Interesses wegen deutsche Sportereignisse umfangreich mit abdecken – anders als der Textdienst von AP.

Das Weltgeschehen im Testzeitraum.

1) In der ersten Woche verlängerte die Bundesregierung die Gültigkeit der Abwrackprämie bis Ende 2009. Das „Phantom von Heilbronn“, eine unbekannte Frau, der zahlreiche Morde, Raubdelikte und andere Straftaten zur Last gelegt wurden, stellte sich als Ermittlerpanne heraus.Das Emirat Abu Dhabi wurde neuer Großaktionär bei Daimler.

2) In der zweiten Woche einigten sich die G20 auf strengere Regeln für die weltweiten Finanzmärkte. Rüdiger Grube wurde zum neuen Chef der Bahn ernannt.

3) In der dritten Woche starben bei einem Erdbeben in Italien fast 300 Menschen. Der Däne Anders Fogh Rasmussen wurde nach quälenden Verhandlungen zum neuen Nato-Chef ernannt. Der Lebensmitteldiscounter Lidl entließ wegen einer neuen Datenschutz-Affäre ihren Deutschland-Chef Frank-Michael Mros.

4) In der vierten Woche verbot Ministerin Ilse Aigner den Anbau von Gen-Mais. Die Billigkaufhauskette Woolworth meldete Insolvenz an. Das BKA verständigte sich mit Internet-Anbietern darauf, künftig Seiten mit Kinderpornos zu sperren.

5) In der fünften Woche begann der größte deutsche Terror-Prozess der vergangenen Jahre. Das Handynetz von T-Mobile kollabierte. Die Regierung beschloss die Einrichtung sogenannter Bad Banks.

6) In der sechsten Woche wurde bekannt, dass sich ein aus Mexiko stammendes Grippe-Virus auf mindestens zwölf andere Länder ausgebreitet hatte, auch auf in Deutschland. Bei Anschlägen in Afghanistan wurden ein deutscher Soldat getötet und neun verletzt. Der FC Bayern München feuerte Jürgen Klinsmann.Fiat verhandelte über einen Einstieg bei Opel.

In den nachfolgenden Protokollen hat die Redaktion ihre Kritik und ihr Lob an den jeweiligen Diensten in der Alltagsarbeit notiert

ALLGEMEIN:

Generell: dpa bietet eine vernünftige Ankündigung – bis ins Detail wie Stichwörter und Portraits. Als uns das fehlte, mussten wir umorganisieren: Wir haben ein Producer-System eingeführt, bei dem ein Redakteur eine Seite selbst baut“. Die Leute mussten also viel mehr Themen im Netz beobachten, z.B. welche Themen auf „Spiegel Online und der „Netzeitung“ hochgespielt werden. Wenn ddp und AP diese Themen noch nicht geliefert hatten, mussten wir sehen, wie wir die Themen des Tages selbst aufbereiten können. Eine abwartende Haltung geht ohne dpa nicht mehr. Der Vorteil: Das fördert eine eigene journalistische Arbeit und Neugier darauf,was auf der Welt eigentlich gerade passiert.

Es gibt keine wichtigen Themen, die nicht auch bei AP und ddp laufen, bei spezielleren Themen wird es aber lückenhaft. ddp bietet etwa nichts zu Genehmigungsverfahren in Brüssel oder auch zu Auftritten prominenter deutscher Künstler im Ausland (s. Kultur). AP ist für uns im Wesentlichen nur für die Auslandsberichterstattung relevant, als Ergänzung.

ddp hat noch Lücken bei Serviceangeboten, etwa für Reisen, Ratgeber oder Immobilien. Die größte Schwäche von ddp ist aber das Archiv. Ein Beispiel: Zur Erinnerung an den 80. Geburtstag von Audrey Hepburn gab es bei ddp nur sieben Bildmotive aus ihrer ganzen Karriere im Archiv, teilweise von Briefmarken abfotografiert. Den Text haben wir allein gestemmt.

Schwächen bei der Organisation von ddp: Viele wichtige Themen versickern in den Landesdiensten und tauchen in den Basisdiensten gar nicht auf. ddp ist auch in den Landesdiensten oft nur eine Ergänzung, etwa in Niedersachsen, wo wir ja auch erscheinen. dpa bietet die Grundversorgung, ddp die schönen Geschichten nebenbei, aber zu wenig . Landespolitik. In Hessen ist ddp aber einfach genauso schwach wie dpa. Da gibt es für uns keinen Unterschied.“

Hessischer Landesdienst : dpa bietet insbesondere für das Wochenende keine ordentliche Vorplanung, keinen Aufmacher. Sie müssten aber als Agentur zeitungsorientiert arbeiten und uns für eine Montagausgabe ordentliches Material bieten. dpa-Hessen bietet am Wochenende noch nicht einmal verlässlich Lesegeschichten an. Der Landesdienst versteht sich offensichtlich nur als Korrespondentenbüro für den Basisdienst, aber nicht als eigenständiges Produkt. 60 Prozent der Hessen-Themen laufen über die Basisdienste, weil sie im Rhein-Main-Gebiet spielen und damit bundesweit wichtig sind. Die Landespolitik und große Themen wie der Frankfurter Flughafen werden von beiden zuverlässig abgedeckt. Wenn man damit zufrieden ist, bräuchten wir in der Landeshauptstadt Wiesbaden noch nicht einmal einen Korrespondenten. Damit sind wir aber nicht zufrieden. Denn obwohl wir die Zeitung in Hessen mit der größten Auflage sind, brechen beide Agenturen das, was in Südhessen passiert, nicht genügend auf einen regionalen Bezug runter, dass es auch unsere Leser interessiert. Unsere Korrespondenten in Wiesbaden können das, was die Agenturen für uns brauchbares liefern, auch mit abdecken.

Über das Ippen-Net bieten wir mehr an als wir nutzen. Wir nehmen vor allem Dinge aus dem Sport. Die anderen, München und Hamm in Westfalen, sind dichter als wir an der Bundesliga dran, da können wir uns gut bedienen. Und wir nehmen gerne Boulevard-Themen von der „tz“ in München, kostenfrei, auch von Freien, da das mit Autorenverträgen gedeckt ist. Aber der Austausch hat enge Grenzen, weil zwischen den Titeln nicht nur zig Kilometer liegen sondern ganze Welten. Da fehlen gemeinsame regionale Bezügen.

FAZIT Eine kleine Lokalzeitung ohne ausreichende redaktionelle Kapazität im Mantel kommt an dpa nicht vorbei. Größere Regionalzeitungen können aber durchaus unter Kostenaspekten auf dpa zugunsten einer anderen Agentur wie ddp verzichten. Wenn man ddp und sid dagegen aufrechnen würde, reden wir über einen dicken sechsstelligen Betrag im Jahr. Das entspricht schnell vier bis fünf Redakteursstellen.

Politik und Vermischtes

dpa liefert vollständiger und schneller. Aber: Wir sind eine relativ große Zeitung mit vielen Korrespondenten. dpa steigert den Nutzwert ihrer Agentur für uns nicht allein durch die Masse ihrer Meldungen.

Die Themenplanung von ddp kam nur sehr sporadisch. Auch AP bietet kein verlässliches Bild. Unterm Stricht ist der Ansporn, sich nicht auf die Agenturen zu verlassen und nicht in alte Tagesschau-Zeiten zurückzufallen, mit ddp statt dpa sehr viel höher.

Das Bildangebot von dpa ist deutlich umfassender als das von ddp. ABER: In der Qualität der aktuellen Bildern ist ddp deutlich auf großer Breite besser: ddp-Fotos erzählen Geschichten, die sind dramatisch und interessant, während bei dpa sehr oft eine übliche dokumentierende Ware rüberkommt.

ddp kann die Lücken im Textbereich sicherlich schnell schließen, zumal die Entwicklung ohnehin weg von einer reinen Dokumentation der Ereignisse hin in Richtung Magazin geht. Da kann ddp die Stärken ausspielen.

Wir sind auf den Geschmack gekommen, bei den Agenturen häufiger anzurufen, wenn uns etwas fehlt. Meistens haben wir auch das bekommen, was uns fehlte. Beispiel AP: Als der in Afrika befreiten US-Kapitän bereits in den USA als Held gefeiert wurde, lag immer noch kein Foto vor. Als wir das angefordert haben, wurde es auch geliefert. Das Selektive zwingt ddp auch ein bisschen in die Rolle eines Korrespondentenbüros.

Wirtschaft:

bei ddp für das Geschehen im In- und bei AP für das Ausland keine Versäumnisse bei Top-Themen. Allerdings liefere ddp die Geschichten oft viel später als das dpa tun würde.“ Das eindrucksvollste Beispiel sei dabei am Ende der Testphase aufgetaucht, als bekannt wurde, dass Fiat plant, Opel zu übernehmen. „Die Nachricht haben wir schon viel früher im Netz gesehen, bis sie von ddp aufgegriffen wurde – das war am späten Nachmittag“

Mangel: Im ddp-Bldangebot fehle vor allem ein Symbolarchiv, das gerade bei den Servicegeschichten so wichtig ist.

Kultur:

Terminbesetzung von ddp erschien etwas willkürlich – im Gegensatz zu dpa. Bei Nachfragen war ddp bemüht, Lücken im Angebot zu schließen und haben das auch oft geschafft (Wir haben Anfragen gestellt, die von anderen Kunden in dieser Fülle nicht kommen dürfte, wenn sie sich auch bei dpa bedienen können). Beim Geschehen im Ausland ging das aber gar nicht. Ein Beispiel: Der Auftritt von Christoph Schlingensief am 21.4. im Wiener Burgtheater. Da kam keine Zeile von ddp, auch auf Nachfrage nicht.

ddp fehlt oft auch der vermeintliche Kleinkram, vor allem Personalien

Die Bilder-Datenbank von ddp hält viele Motive nicht bereit. Etwa das Händel-Haus zur Illstration an seinem Todestag. Gleiches gilt für Stadtansichten, Filmmotive oder Persönlichkeiten. Das ist für uns fast noch das größere Problem als Lücken im Textbereich.“

ABER: ddp zeigt, dass Agenturtexte einer bessere Qualität haben können als das, was dpa so liefert. Die Texte sind nicht nach Schema F gestrickt sondern lesen sich attraktiver. ddp schafft es offensichtlich, Themen besser zu durchdringen als dpa. dpa macht alles – aber dafür oberflächlicher, zumindest in unserem Ressort.

AP bietet zwar viel über Showbusiness sowie CD- und Filmbesprechungen, hat aber in Kulturberichterstattung nicht wirklich viel zu bieten.

Fazit: Ohne dpa können wir nicht mehr so sehr selbst entscheiden wie bisher, welche Texte wir selbst schreiben möchten und wozu wir eine Agentur nehmen. Denn wo uns der Agentur-Mix Lücken liefert, müssen wir selbst ran. Diese Zeit fehlt uns dann bei anderen Themen.

Sport:

Die Unterschiede zwischen dpa und sid, sind für uns nicht relevant. Das was wir brauchen bekommen wir sowohl von dpa als auch von sid. Dort sogar mehr zu Trendsportarten und aus den USA wie bei dpa.

Protokolliert von Daniel Bouhs und Annette Milz