Nordwind für den „Stern“ : Zurück in die Zukunft

Dominik Wichmann stellt seinen  neuen stern vor – und setzt auf Bewährtes.

Es herrscht Aufbruchsstimmung am Hamburger Baumwall. Seit Donnerstag, 14.März,  gibt es einen neuen „Stern“. Unter der Chefredaktion von

Dominik Wichmann, der neue "stern"-Chefredakteur
Dominik Wichmann, der neue „stern“-Chefredakteur

Dominik Wichmann hat das alte Dickschiff einen Generationenwechsel vollzogen. „Sorry Henri Nannen, es musste sein!“  Mit diesem Claim begründet der Verlag den Relaunch, der am vergangenen Dienstagabend in Hamburg präsentiert wurde. Nun ist es nicht wirklich das erste Mal, dass seit Nannens Zeiten etwas an diesem Unterhaltungs-Magazin verändert wurde. „Doch so grundlegend neu gedacht wurde das Heft in den letzten 16 Jahren, die ich es miterlebt habe, nie“, sagt Hans-Peter Junker, Ex-Chefredakteur von „View“ und nun stellvertretender „Stern“-Chefredakteur. Junker strahlt den gleichen Enthusiasmus aus wie Wichmann, wenn er über das neue Heft spricht. „Wir gehen mutig und aus einer Position der Stärke heraus in die Zukunft“, sagt er. „Damit können wir ein echter Leuchtturm für die Printbranche sein.“

Dass das Blatt, wie viele andere auch, in schwerer See schippert, ist andererseits eine Tatsache. Die Marke „Stern“ habe an Glanz verloren, sagte Wichmann  der „Zeit“ im Januar. Den holt sich das Blatt, was das Layout angeht, nun aus den 1980er Jahren, „der grafisch stärksten Zeit des ,Stern‘“, wie Artdirector Johannes Erler findet. Die Schriften, der Weißraum und die Aufgeräumtheit erinnern zum Teil aber auch an die legendäre Jugendzeitschrift „twen“ (1959 bis 1971) und das einprägsame Layout von Willy Fleckhaus. Der „Stern“-Schriftzug ist etwas runder geworden, der Fließtext noch besser lesbar und eine sogenannte Tanzspalte bietet Raum für Zusatzinfos, Grafiken oder Bildunterschriften. Insgesamt sind die Änderungen recht vorsichtig. Würde das neue Heft nicht ausnahmsweise nur 1 Euro kosten, hätte der Durchschnittsleser wahrscheinlich nichts vom Relaunch mitbekommen. Schließlich sollte niemand verschreckt, sondern diese Ikone des deutschen Magazin-Journalismus nur tüchtig aufpoliert werden.

Das Inhaltsverzeichnis des neuen "stern"
Das Inhaltsverzeichnis des neuen „stern“

Inhaltlich will der neue „Stern“ „zuversichtlich, kritisch und empathisch“ sein und für „engagierte Bürger“ im Alter von „gefühlten 40 Jahren“ die ganze Lebenswirklichkeit darstellen, auf dass „emotionale Identifikation“ möglich werde. Die Wundertüte bleibt, alle Themen werden weiterhin vorkommen. Aber der Zugang zu den Geschichten soll wärmer, näher und geerdeter sein. Manches klang dabei ein bisschen nach Wohlfühl-Magazin bis eine Videobotschaft des weltberühmten Kriegsfotografen James Nachtwey eingespielt wurde, in dem der über seine Arbeit spricht und dass er den „Stern“ auf seinem neuen Weg gern begleiten will. Zwei große Fotoreportagen von Nachtwey habe man bereits eingekauft, um sie in der neu geschaffenen Rubrik „Fotografie“ zu veröffentlichen. Im aktuellen Heft ist hier eine beeindruckende Geschichte von Sebastião Salgado, einem der Großmeister der Fotografie, zu sehen. Wobei es „schöne“ Fotos sind, Tiere, Landschaften, keines seiner Bilder von Elend, Krieg und Umweltvernichtung. Die Mischung von harten und weichen Themen sei immer wieder eine Herausforderung beim Blattmachen, so Wichmann.

Die Titelgeschichte heißt – passend zur Papstwahl – „Katholische Priester fordern vom neuen Papst: Befrei uns endlich vom Zölibat!“ Ein sehr bewegender Text von den Reportern Dominik Stawski und Kuno Kruse, die wie alle Autoren seit der neuen Ausgabe mit einem kleinen Porträtbild am Ende der Geschichte gezeigt werden.

Gravierende Änderungen in der Redaktion: Wenn die Veränderungen am Heft eher moderat ausfallen, so stellen die Umstrukturierungen innerhalb der Redaktion dennoch eine kleine Revolution dar. Die Führungsebene wird alle zwei Jahre rotieren und neben den vier Ressorts Deutschland, Welt, Wissen und Leben gibt es nun drei Textteams, die themen- und medienübergreifend arbeiten sollen. Früher seien die Ressorts wie Fürstentümer verwaltet worden, sagte der zum 1. Mai scheidende Chefredakteur Andreas Petzold. Die redaktionsinternen Kämpfe um Platzierungen im Heft werden in der Branche gerne kolportiert. So erzählt man sich, dass „Stern“-Redakteure, falls sie je an Selbstmord denken sollten, sich vom Stapel ihrer unveröffentlichten Manuskripte stürzen könnten. Diese Strukturen seien nun aufgebrochen worden, so Petzold, was auch mehr Freiheit für die einzelnen Reporter bedeute. Erstaunlicherweise hätten alle bei diesem Umbau mitgemacht. „Niemand verliert sein Gesicht, wenn alle ihr Gesicht verlieren.“

Spätestens im Juni soll auch stern.de stärker mit dem Mutterblatt verzahnt werden. Auch wenn die Online-Kollegen bei einer anderen tarifungebunden Gesellschaft angestellt sind und nicht den Kultstatus des Heftes genießen, wird eine „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“ angestrebt.

Die Überarbeitung des „Stern“ habe insgesamt deutlich unter 1 Million Euro gekostet, heißt es. Die Werbemaßnahmen zur Einführung des relaunchten Hefts allerdings 25 Millionen. Sicherlich kann die Printbranche in Deutschland dem Dickschiff nur alles Gute für diese Jungfernfahrt wünschen. Die Zuversicht, mit der hier der Magazin-Journalismus belebt werden soll, könnte vielleicht sogar ansteckend wirken.

Text: Simone Schellhammer