Medium Magazin 03/23
EDITORIAL / Alexander Graf, Chefredakteur
Wenn die Guten keine Kritik vertragen
Was darf Satire? Keine Sorge, ich erspare Ihnen an dieser Stelle hochtrabende Überlegungen zu dieser beliebten Frage. Als Ausgangspunkt unserer Titelgeschichte ist sie allerdings relevant. Schließlich war es vor allem Jan Böhmermann, der in den vergangenen Jahren mit seiner Arbeit die deutschen Debatten über Grenzen und Qualität von Satire anheizte.
Doch etwas hat sich geändert. Das „ZDF Magazin Royale“ ist zunehmend journalistischer geworden. Investigative Recherchen mit politischer Brisanz ließen die Branche mehrfach aufhorchen und hatten immer wieder auch handfeste Konsequenzen. Fest steht: Böhmermann ist mit seinem Team kein schräger Indie-Schuppen mehr, sondern längst ein mächtiger Big Player im Medienzirkus.
Diese neue Rolle bringt auch neue Verantwortlichkeiten mit sich. Quellenschutz, Transparenz, Fehlerkultur: Wer journalistisch arbeiten möchte, sollte sich diesen und anderen anerkannten Prinzipien des Handwerks verpflichtet fühlen. Zumal der Zwang, die eigenen Rechercheergebnisse für die Sendung immer auch in einer maximal überspitzten Pointe zu verpacken, unweigerlich Risiken mit sich bringt. Da kann durchaus auch mal etwas danebengehen.
So kam zuletzt immer wieder Kritik an Böhmermann und dessen Verhältnis zu journalistischen Prinzipien auf. Und anders als früher, als Kritik am „blassen dünnen Jungen“ oft ideologisch motiviert daherkam, wurde diese jetzt meist sachlich und politisch unverdächtig geäußert. Bei Correctiv war etwa zu lesen, Böhmermann habe den Quellenschutz verletzt, als er Inhalte des Ibiza-Videos im TV offenlegte. Zuvor hatte sich der Macher des Videos vertraulich an ihn gewandt. Beim „Magazin Royale“ scheint man damit aber wenig anfangen zu können. Stattdessen wurde vor allem auf Social Media in den verbalen Angriffsmodus geschaltet. In der Sendung machte sich Böhmermann sogar über Quellenschutz lustig. Und in der Correctiv-Redaktion flatterte Post von seinem Medienanwalt Christian Schertz ein.
Wir haben uns deshalb gefragt, wie sehr sich Böhmermann und sein Team der eigenen Verantwortung bewusst sind – und wie man damit umgeht. Denn dass er auch heute noch regelmäßig die Satire-Karte spielt, wenn er an diese Verantwortung erinnert wird, kann man getrost als ebenso erwartbares wie redundantes Rollenspiel werten.
Antworten haben wir leider nicht bekommen. Das komplette Team befindet sich nach eigenen Angaben in einer mehrwöchigen Sommerpause und teilte uns mit, man werde Fragen gegebenenfalls anschließend beantworten. Andere Menschen waren deutlich gesprächiger. Menschen, die sehr nah an Böhmermann dran sind oder waren. Sie zeichnen das Bild einer Redaktion, die sich so sehr auf der Seite der Guten wähnt, dass jede Kritik zwangsläufig böse sein muss. Und es entsteht der Eindruck eines Medienstars, der so fest in seiner Rolle steckt, dass auch menschlich gebotene Fehlereingeständnisse unmöglich werden. Was das mit der Affäre um sein Erdogan-Gedicht zu tun hat und wieso der Ibiza-Leak womöglich ein großes Missverständnis war, lesen Sie ab Seite 42.
Lust auf den Journalismus von morgen
Zum 18. Mal haben wir in diesem Jahr die „Top 30 bis 30“ zusammengestellt. Ich bin mir sicher: Es ist erneut eine Liste voller spannender und inspirierender junger Menschen, die Lust auf den Journalismus von morgen machen. Sie zeigt, wie viele talentierte Journalistinnen und Journalisten es in dieser Branche gibt. Das macht Mut angesichts der Herausforderungen, die auf diese Generation von Medienschaffenden warten. Wie immer gilt übrigens: Lesen Sie die „Top 30“ nicht als Bestenliste mit absolutem Anspruch, sondern als einen sorgfältig kuratierten und möglichst vielfältigen Querschnitt durch den Talente-Pool unserer Branche. Viel Spaß beim Entdecken!
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