„Positiver Journalismus hat nichts mit Feelgood zu tun“

Gute News sorgen für stärkere Markenbindung, sagt die Psychologin Jodie Jackson. Viele in der Branche unterschätzten das Potenzial. Das soll sich jetzt ändern. Mit ihrem neuesten Buch „You Are What You Read“ will sie der Beginn einer Bewegung sein.

 

Das Jahr fing mit Horrormeldungen an – und ging so weiter. Was haben Sie gelesen, gehört, um dem etwas entgegen zu setzen?

Ich reagiere weniger auf einzelne News. Es ist für mich längst Gewohnheit, alltäglich positive Nachrichten zu konsumieren, als Gegengewicht zum negativen Nachrichtenzyklus. Ich habe einige Nachrichtendienste und Newsletter abonniert, etwa “Future Crunch”, dazu habe ich Good-News-Seiten auf meinem Telephon griffbereit gespeichert. Wann immer ich Zeit habe, schaue ich mir dort Neues an oder höre mir TEDtalks an. Außerdem: Ich praktiziere Slow Journalism, lese nicht jeden Tag Nachrichten, ich schaue nur einmal die Woche rein, dann aber, um tiefer in die Themen und Argumente einzusteigen.

Jodie Jackson hat einen Abschluss in angewandter Psychologie, sie erforscht seit Jahren die Wirkung von Nachrichten auf Leserinnen und Leser und will die Constructive-Journalism-Bewegung voranbringen. (Foto: privat)

Wie kam es dazu?

Ich war früher ein News Junkie. Als mir vor zehn Jahren all die schlechten Nachrichten aufs Gemüt geschlagen haben, habe ich die Seite whatagoodweek.com gegründet. Und weil ich verstehen wollte, wie Nachrichten wirken, bin ich zurück an die Universität, um die Zusammenhänge psychologisch zu erforschen.

Was sind denn überhaupt gute oder positive Nachrichten?

Traditionelle Medien denken häufig, der Positive-Nachrichten-Ansatz meine Feelgood-Journalismus, sei trivial oder flauschig. Aber genau das ist es nicht, es ist kein Entertainment. Ich definiere es für meine Forschung als Journalismus, der kritisch über greifbare Fortschritte berichtet, damit wir besser verstehen, was genau passiert: Was genau wird gemacht, ist es skalierbar, gibt es Grenzen?

Ihr aktuelles Buch heißt: You Are What You Read. Wie genau beeinflussen uns denn die Nachrichten?

Bei all den schlechten News macht sich ein stärkeres Gefühl von Hilflosigkeit breit. Das macht uns erst Recht passiv, weil wir das Gefühl bekommen, die Probleme sind zu groß, um sie zu lösen. Doch Untersuchungen zeigen: Wenn Menschen lösungsorientierten, positiven Journalismus konsumieren, sind sie stärker bereit sich in die Gesellschaft einzubringen. Sie wollen die Ärmel hochkrempeln und etwas zu unternehmen. Dieser Effekt tritt übrigens auch bei furchtbaren, tragischen Ereignissen ein, sei es der Brand der Grenfell-Türme oder die Buschfeuer in Australien. In solchen Situationen finden sich auch immer positive, lösungsorientierte News: über das, was getan wird, zu helfen, über Menschen, die sich zusammenfinden, sich unterstützen, um ein wenig den Schmerz, das Leid der anderen zu lindern.

Welchen Effekt haben solche Geschichten und Formate denn auf die, die sie produzieren, also Journalistinnen?

Der Effekt ist gleich, egal ob Sie Konsument oder Produzent sind. Es handelt sich ja um die gleiche Information. Umfragen zeigen: Menschen, die die Medienbranche verlassen haben, geben als Grund an: Wir fanden die Nachrichtenlage zu deprimierend.

Zwischen Ihrer Abschlussarbeit und Ihrem aktuellen Buch sind drei Jahre vergangen. Hat sich was verändert?

Die sozialen Medien beschleunigen das Problem, Menschen reagieren schneller auf Meldungen, teilen sie: Die Kaskade an schlechten Nachrichten ist permanent präsent. Gerade in UK haben viele der großen Medienhäuser von BBC bis zum Guardian inzwischen lösungsorientierten Journalismus übernommen, dazu gibt es Nischenmedien, die sich ausschließlich auf diese Perspektive ausgerichtet haben. Dass es Bedarf gibt, zeigen Ergebnissen einer Studie aus dem vergangenen Jahr. In UK haben sich 32 Prozent der Menschen von den News abgewandt, das sind elf Prozent mehr als im Vorjahr. 58 Prozent davon sagten, die Nachrichten seien zu deprimierend, andere, dass sie sich ohmächtig fühlten, etwas zu ändern. Und das hat nichts mit dem Dauerthema Brexit zu tun.  

Übrigens: Auf der Homepage zum Buch gibt es ein „Starter Kit“: mit vielen Links zu Medien mit entsprechenden Formaten: https://you-are-what-you-read.com
Jodie Jackson: „You Are What You Read“, Unbound 2019, 144 Seiten, ca. 10 Euro.

Was die verschiedenen Ansätze angeht – Positiv-News-Formate ins Programm integrieren oder ganz darauf spezialisieren: Was ist besser?

Pop-up-Formate finde ich problematisch, ich glaube nicht, dass das Prinzip in in zwei Minuten funktioniert: Sie suggerieren, dass es nur darum geht, sich besser fühlen – nicht besser Bescheid zu wissen.

An einer Stelle erklären Sie den Zusammenhang zwischen positivem Journalismus und konstruktivem Journalismus als den zwischen Inhalt und narrativer Haltung.

Genau. Damit erweitern wir unsere Perspektive. Bei so vielen Stücken geht es nur ums Problem und dann ums nächste – hier steht im Fokus, was danach passiert, als Langzeitperspektive. Wo sich gängiger Journalismus die negative Abweichung von der Norm anschaut, blicken wir auf die positive Abweichung von der Norm.

Der Fokus auf Positive News: Ist das eine Entscheidung, die Nutzerinnen für sich treffen müssen – oder gehört das zur Verantwortung von Journalismus?

Die Menschen sind gieren danach, über die guten Dinge informiert zu werden, die es in der Welt gibt. Journalisten haben zwar eine moralische Verantwortung für die Art, wie sie berichten – aber sie ist längst kompromittiert vom kommerziellen Umfeld, in dem sie agieren. Natürlich müssen Medien Profit machen, aber wir müssen uns bewusst machen, inwiefern dieser Druck die Qualität und Ausrichtung der Berichterstattung beeinflusst. Zumal Positiver Journalismus die Nutzerbeteiligung steigert und damit die Markenloyalität. Daraus folgt, dass Nutzer eher ähnliche Inhalte suchen – und bereit sind, für Content bezahlen.

Das sind doch gute Nachrichten. Wieso setzt sich die Strategie dennoch nur langsam durch?

Vor allem, weil viele in der Branche diese Ausrichtung unterschätzen. Manche fürchten, dass Positive News den Rest des Nachrichtenzyklus unterminieren, als unsensibel wahrgenommen werden, wie ein Beruhigungsmittel wirken. Als würden wir Nutzer in Sicherheit gewogen und damit desinformiert. Aber die Sache ist doch die: Wir sind furchtbar desinformiert momentan – weil die Berichterstattung alles abdeckt, was falsch läuft in der Welt. Aber eben nicht das, was los ist in der Welt. So glauben wir, die Welt sei gefährlicher als sie tatsächlich ist. Um diese Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, gibt es nun dieses Buch und die internationale Constructive Journalism-Konferenz in London Anfang Juni, um die Medienhäuser an Bord zu holen, damit sie verstehen, wie wertvoll und profitabel es sein kann, diesen Weg einzuschlagen. Und außerdem: Wer aufzeigt, dass ein als unlösbar geltendes Problem lösbar ist, übt Druck aus auf Regierung und Organisationen – und hinterfragt so Machtverhältnisse. Kurz: Lösungsorientierter Journalismus stärkt die Funktion der Presse.

 

 

Das Interview von Anne Haeming ist Teil einer mehrseitigen Strecke über „Positive Journalism“ samt vielen Praxisbeispielen und erschien in medium magazin Nr. 1/2020. Das Heft ist digital oder als Printausgabe erhältlich oder im ikiosk.

 

 

 

 

 

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