Medium Magazin 04/2019
EDITORIAL / Annette Milz, Chefredakteurin
30 Jahre nach dem Mauerfall ist die Mauer in den Köpfen wieder erstarkt. Das haben auch die jüngsten Landtagswahlen erschreckend deutlich gemacht. Beim Stöbern im Archiv für diese Jubiläumsausgabe – die 300. seit unserer Premiere 1986 – bin ich deshalb besonders oft an Geschichten aus den 90er-Jahren hängengeblieben. Da war zum Beispiel 1990 der Titel über Monika Zimmermann, die als West-Chefredakteurin versuchte, die Ostberliner Neue Zeit in die bundesrepublikanische Welt zu führen. Oder 1991 der über Sergej Lochthofen als einzigen verbliebenen Ost-Chefredakteur noch aus der Vorwendezeit, der die Thüringer Allgemeine mit Verve auf neue Wege führte (wohin sein Nach-Nach-Nachfolger Jan Hollitzer heute die TA führen will, können Sie übrigens in dieser Ausgabe lesen, siehe Seite 40).
Der zweite Anstoß war nicht zuletzt die Diskussion über Qualitätsjournalismus nach dem Fall Relotius, die sich überwiegend auf Autorenschaft konzentrierte und kaum den „Maschinenraum“ in den Redaktionen im Auge hatte. Doch wie soll man Qualitätsarbeit „hinter den Kulissen“ sichtbar machen, deren Bewertung sich Externen entzieht, die mit den üblichen Kriterien einer Jury kaum zu bewerten sind?
Oder 1995 die Titelgeschichte über Mathias Döpfner: Der damals 32-Jährige sollte im G+J-Auftrag die darbende, in der DDR einst hochgeschätzte Berliner Wochenpost wieder auf Erfolgskurs bringen, Döpfners „Salon Konzept“ verfing jedoch nicht. Ende 1996 erschien die letzte Wochenpost. Die Neue Zeit war schon 1994 dichtgemacht worden: In der Mitteilung dazu sprach der Westeigentümer, die FAZ-Verlagsgruppe, von ihren „Hoffnungen, die Neue Zeit als ostdeutsche Stimme zu erhalten …“. Sie war zu verlustreich geworden. In jenen Jahren haben wir in der Redaktion uns oft gefragt: Wie wird das funktionieren mit den Medien im „Osten“, die mehrheitlich von „West“-Verlagen übernommen wurden? Wie werden sie noch gehört, wenn die West-Stimmen auch im Osten meist das Sagen haben?
Anne Haeming hat in den vergangenen Wochen für uns exklusive Daten erhoben, wie sich von damals bis heute der West-Ost-Anteil in den redaktionellen Führungsetagen der östlichen Bundesländer entwickelt hat. Und wie es um den Ost-West-Anteil beim Nachwuchs in den Journalistenschulen bestellt ist. Bilden Sie sich Ihr Urteil selbst beim Blick auf die Ergebnisse und auf die Äußerungen junger Journalistinnen und Journalisten wie von Chefredakteuren, wie sie das Ost-West-Gefälle sehen (Seite 18). Ein Beispiel: Johannes Nichelmann, Top 30 bis 30 Jahrgang 2013, kritisiert eine „mediale Leerstelle“, die nur zu füllen sei, „wenn in den Redaktionen ankommt, dass es mehr über den Osten zu berichten gibt, als dies bisher geschehen ist“ (Seite 21).
Ein glücklicher Zufall will es, dass unsere 300. Jubiläumsausgabe zukunftszugewandt mit unserer alljährlichen Nachwuchswahl der Top 30 bis 30 des Jahres 2019 zusammenfällt – der ersten wirklichen Nachwendegeneration im Journalismus (siehe Titelbeilage, Seite 18). Denn wenn wir beitragen wollen, dass die Mauer in den Köpfen wieder abgebaut wird, sollten wir die Jungen ermutigen, neue Wege zu öffnen, und ihnen die entsprechenden Möglichkeiten dafür bieten – nicht nur, aber auch für das Ost-West-Thema. Ein Perspektivenwechsel in unseren Köpfen wäre ja schon mal ein Anfang. Ein Tipp: Anne Haeming startet dieser Tage die Tauschplattform OstWestNordSüd, schauen Sie doch mal rein: ostwestnordsuedx.de.
Willkommen zurück: Nach einem Jahr Pause gehört Daniel Bouhs von dieser Ausgabe an wieder zum Redaktionsteam des medium magazins und wird von Berlin aus für uns berichten. Daneben bleibt er weiter vor allem für Zapp und den ARD-Hörfunk tätig. Wir freuen uns sehr, ihn wieder an Bord zu haben.
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