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    "Kurze Texte"

Medium Magazin 03/2021

EDITORIAL / Alexander Graf, Chefredakteur

 

Wir sind so frei?

Über die Frage, wer sich „Journalistin“ oder „Journalist nennen darf. Und warum es dabei um mehr als nur Begriffe geht.

Es war mal wieder Rezo, der in der Medienbranche für erhitzte Debatten sorgte. Der Youtube-Star und Henri-Nannen-Preisträger hatte die Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen für eine gemeinsame Diskussion angefragt. Das neue Format hätte bei Youtube und der Streamingplattform Twitch laufen sollen. Die Idee dazu kam vom Berliner Politikjournalisten Tilo Jung („Jung & Naiv“), der ebenfalls hauptsächlich auf Youtube publiziert.
Aber Laschet wollte nicht – was nicht nur bei Rezo für Unverständnis sorgte. Viele Medienprofis warfen dem NRW-Ministerpräsidenten vor, mit seiner Absage ein falsches Signal in Richtung einer jüngeren Zielgruppe zu senden.

 Zudem mutmaßten einige, dass Laschet schlicht keine Lust habe, sich in diesem neuen und daher eher unkontrollierbaren Format dem durchaus debattierfreudigen und schlagfertigen Moderatoren zu stellen. Andere zeigten dagegen Verständnis für den Christdemokraten: Schließlich habe Rezo mit seinem Video „Die Zerstörung der CDU“ ja gezeigt, dass von ihm keine Fairness zu erwarten sei.
In eine ganz andere Kerbe schlug dagegen Johannes Boie, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“. Er schrieb in einem Kommentar, Rezo und Jung seien bloß „Journalistendarsteller“. Die beiden würden geschickt ausnutzen, dass es vor allem für jüngere Generationen zunehmend schwerer werde, professionell recherchierte Informationen von Aktivismus und unterhaltsamem Quatsch zu unterscheiden, so Boie wörtlich.

Ich teile diese Einschätzung inhaltlich nicht – und finde sie auch im Ton etwas überzogen. Aber konzentrieren wir uns an dieser Stelle lieber auf das, was hinter diesen scharfen Äußerungen tatsächlich steckt. Denn da geht es um die Frage, wer sich eigentlich als „echte Journalistin“ oder „echter Journalist“ bezeichnen darf – und damit um nichts Geringeres als den Kampf um diskursive Deutungshoheit. Vor dem Hintergrund, dass unsere Berufsbezeichnung nicht geschützt ist, stellt sie sich immer wieder aufs Neue: Wenn eine Passantin, die den tödlichen Polizeieinsatz gegen George Floyd mit ihrem Smartphone filmt, einen Pulitzer-Sonderpreis erhält. Oder wenn Menschen aus Krisengebieten oder autoritären Staaten die Organisation Reporter ohne Grenzen um Unterstützung bitten. Nicht immer ist dann eindeutig, ob es sich um mutige Berichterstatter oder politische Aktivisten handelt.

 
Wer entscheidet, was „echter Journalismus“ ist? Unser Autor Thomas Schuler ist dieser Frage nachgegangen. Er beginnt beim ehemaligen „Focus“-Korrespondenten Boris Reitschuster, dem mittlerweile viele die Verbreitung von Desinformation vorwerfen – und endet bei einer Initiative, die auch mit Hilfe des Deutschen Instituts für Normung (DIN) verbindliche Kriterien erarbeiten möchte. Schuler schreibt: „Die Freiheit, sich Journalist nennen zu dürfen, entspringt unmittelbar aus der Freiheit der Gesellschaft.“ Was er sonst noch herausgefunden hat, lesen Sie in unserem Dossier zum Thema „Freiheit“ (ab Seite 42).
 
Ein Sommer mit Claas Relotius
 
Daniel Puntas Bernet gelang Anfang Juni ein Scoop. Gemeinsam mit der Schweizer Reporterinnenlegende Margrit Sprecher veröffentlichte er in seinem Magazin „Reportagen“ das erste Interview mit dem Fälscher und ehemaligen „Spiegel“Redakteur Claas Relotius. Das Interesse war gewaltig, zeitweise war die Webseite des Magazins nicht mehr erreichbar. Doch die Reaktionen waren durchaus gemischt – nicht alle in der Branche konnten mit Inhalt und Stil des Interviews etwas anfangen. Tatsächlich war der Veröffentlichung ein mühsamer Prozess voller Zweifel und Frust vorausgegangen, wie Sprecher nun in dieser Ausgabe schreibt. Was bleibt also nach mehr als 90 Fragen an einen Betrüger? Mögliche Antworten lesen Sie ab Seite 20.
 
Schreiben Sie mir gerne, wenn Ihnen diese Ausgabe gefällt – oder wenn wir etwas besser machen können. Ich freue mich auf Ihre Nachrichten (alexander.graf @ mediummagazin.de).
 
 
MEDIUM MAGAZIN TALK „Mainstream, Aktivismus, Propaganda – wer darf sich heute eigentlich noch Journalist:in nennen?“: Bei unserem nächsten „medium magazin Talk“ am 06. Juli, 17.30 Uhr, möchte ich mit Ihnen und spannenden Gästen über diese Frage aus dem aktuellen Heft diskutieren. Dabei sind diesmal: Stefan Niggemeier (Medienjournalist, „Übermedien“), Jana Wolf (Politikjournalistin, Vorstandsmitglied Bundespressekonferenz) und Michael Rediske (Vorstandssprecher „Reporter ohne Grenzen“).
 
 
 
  Die Ausgabe medium magazin Nr. 03/2021 mitsamt Titelgeschichte über das Relotius-Interview und einem Dossier über Freiheit ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.
 
 

 

 

 

 
 
 
 
Journalisten-Werkstatt „Kurze Texte“: Das 16-seitige Extraheft ist gratis im Abonnement dieser Ausgabe enthalten. Nachbestellungen im Online-Shop oder per E-Mail an: vertrieb @ oberauer.com
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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