Medium Magazin 02/2018
EDITORIAL / Annette Milz, Chefredakteurin
Jetzt erst recht!
Die Lage ist „niederschmetternd“: aber alles andere als hoffnungslos. Lasst uns nach Lösungen suchen.
Alle drei hatten eigentlich wenig Zeit: Hauptstadtjournalisten wie Robin Alexander von der „Welt“ und Kristina Dunz, die im November von der dpa ins Berliner Büro der „Rheinischen Post“ gewechselt ist, wurden sehr strapaziert in jenen Wochen der sich elend hinziehenden Koalitionsverhandlungen.
Aber morgens um acht ist das politische Berlin noch nicht richtig wach. Und Gesprächspartner Stephan Lamby, der gerade an einer Fortsetzung seines preisgekrönten Films „Nervöse Republik“ arbeitete, eh noch nicht greifbar zu dieser Stunde.
Ein guter Zeitpunkt also für meine Kollegin Anne Haeming, die drei „Politikjournalisten des Jahres 2017“ zu einer Runde über politische Berichterstattung zu treffen. Mitte Februar fand sie statt, passenderweise in der ehemaligen Berliner Badeanstalt in der Oderberger Straße – dort, wo kurz darauf die drei wie auch alle anderen „Journalisten des Jahres“ für ihre besondere Leistung ausgezeichnet werden sollten. Der richtige Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme des Politikjournalismus: die Koalitionsverhandlungen gerade vorbei, die AfD im Bundestag hatte sich die Vorsitzposten bereits für die wichtigen Ausschüsse Recht und Haushalt gesichert. Was nun, Hauptstadtjournalismus?
Die Befunde sind auf den ersten Blick düster: „Ich finde, der Medienbetrieb ist völlig überhitzt und überdreht“, sagt Kristina Dunz. „Ein großer Teil unserer Leser und Zuschauer hat sich von uns entfremdet. Das Ergebnis ist niederschmetternd“, sagt Stephan Lamby mit Blick auf den Wahlerfolg der AfD. „Manche Milieus scheinen resistent gegen Enthüllungen. Es hat der AfD überhaupt nicht geschadet, dass ihre vermeintlich liberale Vorzeigefrau in Wirklichkeit völkisch denkt“, konstatiert Robin Alexander. „Viele Journalisten trennen nicht klar genug zwischen Bericht und Meinung“, kritisiert Lamby zudem mit dem Blick des externen Beobachters. Seine Schlussfolgerung für die eigene Arbeit: „Deswegen mache ich auch verstärkt Filme ohne Kommentartext oder mit sehr zurückhaltendem Text, lasse Bilder und O-Töne sprechen.“
Und trotzdem: „Wir stehen vor super Zeiten im politischen Journalismus, wir werden wieder echte Debatten bekommen. Meinungsäußerungen bringen uns nicht weiter, die kann jeder im Netz selber machen“, meint Robin Alexander und steht damit in der Runde nicht allein: „Wir können nur noch mit eigenen Stoffen, eigenen Zugängen, eigener intellektueller Durchdringung punkten. Das wird anstrengender, aber auch viel spannender.“
Auch Kristina Dunz fordert einen konstruktiven Blick nach vorn: „Wir sollten neue Formate suchen, die Dauerpräsenz von Themen und Gesprächspartnern führt bei vielen Lesern zu Verdruss.“ Das spannende, lebhafte Gespräch über Strategien für einen Journalismus gegen Politikverdrossenheit finden Sie auf Seite 20.
Apropos konstruktiv: Erinnern Sie sich noch, als das Buch von Ulrik Haagerup erschien, mit dem programmatischen Titel „Constructive Journalism“? 2015 löste es eine Welle an hitzigen Diskussionen aus – über angeblichen Positivismus und überbordenden Negativismus in der Berichterstattung. Ulrik Haagerup, damals Chefredakteur des Danske Radio, wurde mit seinem Buch auf Anhieb ein international gefragter Experte. Im vergangenen Jahr hat er seinen Job aufgegeben und das „Constructive Institute“ gegründet. Dort wie auch an vielen anderen Orten finden inzwischen Seminare und Kongresse zu einer lösungsorientierten Berichterstattung statt, wie auch Journalismus-Vordenker Jeff Jarvis ihn einfordert (Interview Seite 38). In Dresden, der Pegida-Hochburg, experimentiert die „Sächsische Zeitung“ schon länger mit diesem Ansatz im Lokalen, jetzt auch im Mantel. Mit Erfolg. Ein genauer Blick auf den Bericht von Katy Walther lohnt sich (Seite 75).
Weitere Themen u.a. in dieser Ausgabe: Journalismus-Vordenker Jeff Jarvis über Facebook und seine neue News Integrity Initiative, DeWeZet-Chefin Julia Niemeyer über lokale Experimente, Praxis über „Konstruktiven Journalismus“ im Regionalen, Werkstatt „Multimediales Storytelling“.