Medium Magazin 01/24
EDITORIAL / Frederik von Castell, Chefredakteur
Über kurze Sätze mit großer Wucht
Nur zehn Worte benötigte Anne Hähnig für ihre Antwort: „Dann ist Journalismus für mich so wichtig wie noch nie.“ Der Satz passt in seiner Wucht zu Hähnig. In unserem Titelgespräch in einer alten Leipziger Industrieanlage packen wir große Fragen an: Was erwartet uns in diesem Superwahljahr 2024, in dem die AfD in drei ostdeutschen Bundesländern laut Umfragen vorne liegt? Wie gehen wir mit Vertreterinnen und Vertretern der Partei um? Und eben die Frage, auf die Hähnig ihre kurze Antwort parat hatte: Was passiert, wenn die AfD bei einer der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg an die Regierung kommt? Das Wort von Anne Hähnig hat Gewicht, nicht umsonst hat die „medium magazin“-Jury sie 2023 zur „Politikjournalistin des Jahres“ gewählt. Das Interview mit der bisherigen Leiterin der „Zeit im Osten“ lesen Sie ab Seite 16 im neuen „medium magazin“, außerdem finden Sie eine Leseprobe hier. Die Frage, wie Journalistinnen und Journalisten mit der AfD umgehen sollen, drängt. Oft, zu oft, hört oder liest man als Antwort darauf: Es gibt kein „Geheimrezept“ dafür. Es mag zwar keine alles umfassende Formel geben, aber als Antwort ist das zu einfach. Ich wünschte mir wenigstens die Gegenfrage: Welches Ziel verfolgen wir denn als Medien? Dann könnte man etwa diskutieren, ob es Aufgabe der Medien sei, die AfD kleinzukriegen. Nicht nur Anne Hähnig hat dazu eine Meinung, auch mit anderen, die im Osten lokal berichten, haben wir gesprochen. (Seite 24) Denn trotz der Protestwelle gegen Rechtsextremismus, die eben nicht nur etliche Menschen in Hamburg, Berlin, München oder Köln, sondern auch in Leipzig, Bautzen und Freiberg bewegt, hängt es oft an sehr wenigen Journalistinnen und Journalisten, im, für und über „den Osten“ zu berichten.Was sich beim „medium magazin“ ändert
„Die Chance, alte Fehler noch einmal zu begehen, möchte auch Caren Miosga ergreifen. Bitte nicht.“ Noch so ein kurzer (und ein verkürzter weiterer) Satz mit Wucht. Tanjev Schultz kommentiert in seiner neuen Kolumne „einerseits … andererseits“, was er an Miosgas Ansatz zum Umgang mit der AfD in ihrer neuen ARD-Talkshow falsch findet. Mit diesem neuen Format wollen wir etwas wagen: mehr Komplexität. Deshalb lassen wir Tanjev Schultz’ Text die Personen, die Anlass zur Debatte geben, vorab lesen – und bieten ihnen Raum zur Reaktion, die wir ebenfalls abbilden. (Seite 57)
„X ist ein Moloch“, schreibt Gavin Karlmeier. Kurzer Satz, alles gesagt? Mitnichten. Seit der Musk-Übernahme hat das kaputte Twitter (auch) in unserer Branche Löcher gerissen: Viele Debatten und Personen sind auf Alternativen wie Bluesky oder Threads umgezogen. Es ist nicht nur unübersichtlich geworden, wen und was man wo noch findet, sondern auch, wie sich diese twitterähnlichen Netzwerke entwickeln. Wer das nicht täglich verfolgen möchte, bekommt mit der Kolumne „Kurznachrichtendienst“ einen schnellen Überblick. (Seite 12) „Journalismus darf auf jeden Fall lustig sein, nur: Das ist er meistens nicht“, sagt Marie Lina Smyrek. Wenn man ihr eigenes Tiktok-Format kennt, versteht man die Rigorosität ihrer Aussage. Smyrek verbindet auf Tiktok Nachrichten aus der Politik mit brüllend komischer Satire und ist damit auch noch extrem erfolgreich. In unserem Spezial zu Humor im Journalismus geht es auch um sie. Außerdem lesen Sie dort, was Journalistinnen und Journalisten auf Bühnen treibt, welche Print-Pointen Medienschaffenden nicht mehr aus dem Kopf gehen und was Yasmine M’Barek von der Branche fordert, wenn sie schreibt (Leseprobe): „Von Seriosität allein kann man sich nichts mehr kaufen.“ (ab Seite 62) Ach ja, „Spezial“. Das Format nutzen wir ab sofort, wenn wir ein eigenes, eben spezielles Thema angehen. Das bekannte „Dossier“ werden wir zu gegebener Zeit noch brauchen, lassen Sie sich überraschen. Eingeführt hatte es seinerzeit mein Vorgänger Alexander Graf. Er ist inzwischen bei „Übermedien“ angekommen, von wo ich wiederum komme. Ich wünsche Alexander alles Gute und viel Erfolg bei seiner neuen Aufgabe. Und freue mich über meine eigene ganz besonders: Dem „medium magazin“ und seiner Herausgeberin Annette Milz habe ich viel zu verdanken. Damit meine ich nicht nur meine Wahl in die „Top 30 bis 30“ 2020. Das Magazin begleitet mich, seit ich Journalist bin. Schon als Student am Journalistischen Seminar der Uni Mainz – dort wurde um die paar ausliegenden Ausgaben regelrecht gerangelt – habe ich besonders den handwerklichen Fokus des Magazins geschätzt. Aus jeder Ausgabe konnte ich Nutzen ziehen, auch in meinen Zeiten als Mitarbeiter und heute als Lehrbeauftragter an der Uni, als Datenjournalist in der ARD oder als dpa-Faktenchecker. Ich werde den Teufel tun, an dieser Säule des Magazins etwas zu ändern. Was ich aber erreichen will: dass wir noch stärker den notwendig kritischen Blick auf unser aller journalistisches Tun richten. Wie uns das gelingt, können Sie am besten beurteilen. Feedback ist uns wichtig. Wenn Sie also mögen, senden Sie uns Ihres an redaktion@mediummagazin.de. Wir lesen uns!Herzlich,
Ihr Frederik von Castell