„Keine investigative Vision“: Annette Dowideit kritisiert WELT-Chefredaktion
Von Senta Krasser
Die Entscheidung, Axel Springers „Welt“ nach 19 Jahren zu verlassen, hat sich bei Anette Dowideit (43) schon länger angebahnt. Zwar hatte sie erst 2020 die Leitung des „Welt“-Ressorts Investigation und Reportage übernommen, von Februar 2022 an koordinierte sie zusätzlich die globalen Recherchen mit „Politico“ und „Business Insider“. Doch letztlich habe sie in der Chefredaktion „eine Vision für das Investigative“ vermisst, sagt die renommierte Investigativjournalistin nach ihrem bekanntgewordenen Wechsel zu Correctiv gegenüber „medium magazin“. Es gebe keinen „Sparringspartner“ mehr, um Rechercheziele zu bestimmen, seit WamS-Chef Johannes Boie im Oktober 2021 das Blatt in Richtung „Bild“ verließ.
Was sich als deutliche Ohrfeige für „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt liest, geht darüber hinaus. Weitere Konfliktherde mit der Chefredaktion führt Dowideit an: So sei ihr Team im Unterschied zu Wettbewerbern nicht nur dauernd für die tagesaktuelle Berichterstattung herangezogen worden. Sie habe sich auch vergeblich dagegengestemmt, das Investigative den dominierenden Klick- und Verlaufslogiken unterzuordnen. Beides ist indes laut einer „Welt“-Sprecherin „selbstverständlich“.
Bei „Medieninsider“ war auch von einem internen Machtkampf die Rede. Auslöser soll die Ende März vollzogene und aus Dowideits Sicht „nicht richtige“ Zusammenlegung mit dem Ressort Schwerpunktrecherche von Tim Röhn gewesen sein. Dass sie wegen Röhn gegangen sei, sei „Quatsch“, so Dowideit, mit ihm habe sie nie ein Problem gehabt. Doch eine Zusammenarbeit in dieser Konstellation war für sie nicht mehr denkbar.
„Correctiv passt besser zu mir“, sagt Dowideit. „Da arbeiten Leute, die das Investigative leben so wie ich und von denen ich noch lernen kann.“ Am 1. Juni startet sie beim Recherchezentrum als stellvertretende Chefredakteurin.
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