„Es braucht Chronisten und Augenzeugen“
Fotos: Wolfgang Borrs & Dietmar Gust
Protokoll: Frederik von Castell
Jetzt durften sie sich endlich feiern lassen. Ob für mutige Kriegsberichterstattung, hartnäckige Recherchen, eine unvergleichliche Schreibe, kritischen Sportjournalismus oder gar das gesamte Lebenswerk: Die im Dezember im „medium magazin“ veröffentlichten „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“ kamen am 10. Juni zu ihrer von Annette Milz moderierten Ehrung im Hotel Oderberger Berlin zusammen.
Doch auch der feierliche Rahmen vermochte es nicht, die vielen Eindrücke, unter denen die Journalistinnen und Journalisten im vergangenen Jahr standen und heute stehen, auszublenden. Zu präsent waren die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahlen des Vortages. Zu allgegenwärtig die Gräueltaten Russlands, des Staates, aus dem Journalistin des Jahres Ina Ruck berichtet. Zu erschreckend die Erinnerungen an das Massaker der Hamas. Viele Rednerinnen und Redner trieb die Frage um, was Journalismus in diesen Zeiten leisten kann, was er leisten muss, um die Demokratie vor Schaden zu bewahren. Ausgerechnet Ina Ruck war es, die zum Schluss ihrer Rede den Optimismus überwiegen ließ: „Wir kriegen das schon irgendwie hin.“ Hoffentlich behält sie Recht.
Ina Ruck
WDR, Journalistin des Jahres
„Wir fragen uns fast täglich: Macht es noch Sinn, ist es noch zu verantworten, dass wir in Russland sind?
Das hat viele Gründe: Der eine ist natürlich unsere Sicherheit, die der Teams, aber auch die der Protagonistinnen oder Gesprächspartner, die wir gefährden durch unsere Arbeit.
Es hat aber auch noch einen anderen Grund: (…) Jede Nachricht, die wir über Putin verbreiten, egal wie kommentiert oder nicht kommentierend, wie schlecht oder gut sie ist, ist immer auch eine gute Nachricht für Putin. (…)
Aus heutiger Sicht, am 10. Juni 2024, scheint es mir aber absolut sinnvoll, noch in Russland zu bleiben. (…) Weil es Chronisten und Chronistinnen braucht, weil es Augenzeugen braucht.“
Philipp Peyman Engel
„Jüdische Allgemeine“, 1. Platz „Chefredaktion national“
„Auf der einen Seite bin ich wirklich sehr beruhigt, dass so viele Journalisten beim Thema Rechtsextremismus eine hervorragend vorbildliche Arbeit leisten. (…)
Ich würde die Kollegen aber auch ermutigen und auch noch mal dazu appellieren, dasselbe Engagement, dieselbe Überzeugung und auch so dasselbe Verantwortungsgefühl zu zeigen bei zwei anderen menschenfeindlichen Erscheinungsformen.
Und das ist das Thema Judenhass von links und das ist das Thema Judenhass aus der muslimischen Community.“
Sarah Brasack
1. Platz „Chefredaktion regional“ gemeinsam mit Carsten Fiedler, jetzt BurdaForward
„Mir macht Hoffnung, dass immer mehr Menschen auch nach den herausragenden Correctiv-Enthüllungen verstehen: Journalismus und Demokratie gehören zusammen, Lokaljournalismus und Demokratie gehören zusammen. (…)
Ich möchte mich vor allen Kolleginnen und Kollegen verneigen, die in politisch super unstabilen Dörfern, Gemeinden und Städten Deutschlands wegen ihrer Arbeit beleidigt, bedroht und teilweise sogar angegriffen werden.
Wir sind eins mit euch.“
Vassili Golod
ARD, 1. Platz „Reporter national“
„Gerade in Deutschland, mit der eigenen Geschichte, sollte uns allen bewusst sein, welche Gefahr von Propaganda ausgehen kann.
Diese Gefahr wurde von einigen nicht verstanden, wurde von anderen ignoriert. Und spätestens seit dem 24. Februar 2022 [Anm. d. Red.: Angriff Russlands auf die Ukraine] ist zumindest Letzteres nicht mehr möglich.
Am Beispiel der russischen Propaganda wird deutlich, dass es zu wenig ist, zu sagen, der eine sagt das, der andere sagt das. Guter Journalismus berichtet, was ist. Und dazu gehört kompetente Einordnung und niemals False Balance.“
Claus Kleber
Preisträger „Lebenswerk“ (mit Laudator Stefan Lamby, r.)
„Ich bin zwei, drei Jahre raus aus der Routine und wäre manchmal gerne wieder drin. Nicht auf dem Bildschirm, aber im täglichen Ringen in und mit der Redaktion um das, was wir senden oder nicht, weil ich feststelle: Da hat sich was geändert in den letzten zwei Jahren.
Diese Zeitenwende fordert von uns allen, von jedem Journalisten, jeder Journalistin, von den Apparaten, von der Chefetage, den Kern des Ganzen. Reporterinnen und Reporter, die wissen, was ihre Aufgabe ist. Und ich spüre, wie ein kalter Wind weht in Redaktionen, den sie bisher nicht kannten. Es steht plötzlich so verdammt viel auf dem Spiel.
In der Ukraine, in Europa, in unserer Demokratie und dem Heiligen Land, das mir besonders am Herzen liegt. Der Druck steigt auf uns und unsere Arbeit. Ihm muss widerstanden werden, gerade, wenn es knirscht. Wir haben zu berichten, was ist, und nicht, was uns passt. Wir müssen aufdecken, wie die Stränge und die Strippen verlaufen, und uns konzentrieren auf das, was die relevanten Fakten sind. Unbeeinflusst.
Über allem muss stehen das Wort von Ingeborg Bachmann: ‚Die Wahrheit ist dem Menschen immer zumutbar.'“
Die Möglichmacher!
Unser besonderer Dank gilt DAIMLER TRUCK, TOTAL ENERGIES und der OTTO GROUP für ihre Unterstützung der Veranstaltung – sowie unseren Kooperationspartnern Katjes, Canon, VDP. Die Prädikatsweingüter, Lamy, Hotel Oderberger sowie Kanaan.
Weitere Impressionen des Abends im Berliner Hotel Oderberger finden Sie hier in der #jdjmm-Fotogalerie (Fotos: Wolfgang Borrs & Dietmar Gust, made with Canon) und im aktuellen „medium magazin“ 03/24.