Warum der ZDF-Staatsvertrag geändert werden muss

Der Mainzer Verfassungsrechtler Dieter Dörr hält den bestehenden ZDF-Staatsvertrag  für verfassungswidrig, weil die Gremien nach seiner Bewertung zu staatsnah besetzt sind. Die Klageschrift für ein Normenkontrollverfahren  hat er bereits geschrieben (mehr Hintergrund s. mediummagazin 3/2010). Wo sieht er Handlungsbedarf – und Chancen?

Interview: AXEL BUCHHOLZ

Herr Prof. Dörr, fühlen Sie sich als ungebundener Wissenschaftler eigentlich wohl in der politischen Gesellschaft nur von Grünen und Linken?

Dieter Dörr: Mir geht es darum, einen so weit wie möglich staatsfreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verteidigen. Notfalls mit einem Normenkontrollverfahren, wie ich das jetzt beim ZDF für erforderlich halte. Daher sind mir Abgeordnete aus allen Fraktionen sehr willkommen, die dieses Ziel unterstützen.

Ohne sie käme eine Überprüfung des ZDF-Staatsvertrages durch das Verfassungsgericht ja auch nicht zustande…

Wir Bürger tragen gemeinsam Verantwortung für „unseren“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die gewählten Volksvertreter aller Parteien voran.

Aus anderen Lagern kommt aber bislang mehr Widerstand als Unterstützung. Wolfgang Börnsen, kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht die Rundfunkfreiheit beim ZDF nicht in Gefahr und bei Ihnen erkennt er „mehr Ideologie als Sachverstand“  am Werk.

Es gibt es auch andere Stimmen bei der CDU. Die langjährige CDU-Medienexpertin im Europaparlament, Ruth Hieronymi, würde eine rechtliche Überprüfung „klar begrüßen“. Frau Hieronymi ist immerhin die Vorsitzende des WDR-Rundfunkrates. Im Übrigen: Wenn Herr Börnsen sich da so sicher ist, sollte er eine Entscheidung des  Verfassungsgerichts nicht scheuen – schon um seine Partei vom Vorwurf des politischen Machtmissbrauchs zu befreien.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), auch Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates  und der Rundfunkkommission der Länder, sieht aber ebenfalls „keinen Grund wegen Fehlentscheidungen Einzelner den Fehler zu begehen, das ganze System plattzumachen“.

Beck schließt dennoch den Gang zum Verfassungsgericht nicht aus. Korrekturen hält er ebenfalls für erforderlich. Dafür bevorzugt er aber eine einvernehmliche Änderung des ZDF-Staatsvertrages durch alle Bundesländer. Dafür hat er Vorschläge gemacht.

…die Sie für nur „kosmetische Korrekturen“ halten…

Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, auf den Vertreter des Bundes im Verwaltungsrat zu verzichten und die gesellschaftlich relevanten Organisationen, ihre Vertreter im Fernsehrat selbst bestimmen zu lassen. Aber das reicht nicht aus, die gebotene Staatsferne der ZDF-Gremien zu erreichen. Ich habe aber Zweifel, ob ein so veränderter Staatsvertrag einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhielte.

Was fehlt ihnen?

Der Vorschlag hält daran fest, dass alle Länder je einen von der jeweiligen Landesregierung ausgewählten Vertreter in den Fernsehrat entsenden. Zudem sollen die Ministerpräsidenten wie bisher weitere sechzehn Vertreter aus bestimmten Bereichen, wie Kunst, Kultur Kinderschutz usw. berufen, also frei auswählen dürfen. Genau dies müsste aber nach meiner Auffassung geändert werden, um dem Grundsatz der Staatsferne zu genügen.

Grüne und Linke haben in den ZDF-Gremien kaum Einfluss. Sie können deshalb nichts verlieren. Eine eventuelle Korrektur der Zusammensetzung der Gremien durch das Bundesverfassungsgericht würde also vor allem die beiden Großen treffen. Verweigern die sich deshalb bislang?

Politische Mehrheiten können sich ändern. Aber lassen Sie mich die Frage als Verfassungsrechtler beantworten: Die Gremien unserer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen plural besetzt sein. Keine einzelne Gruppe unserer Gesellschaft darf sie dominieren. Schon gar nicht der Staat und auch nicht die politischen Parteien. Der einzige aber, der dies in unserer Demokratie durch entsprechende Rundfunkgesetze oder Staatsverträge sicherstellen kann, ist nun einmal der Staat selbst. Der Staat und die politischen Parteien müssen sich also selbst in ihrer Macht beschränken.

Und wer am meisten davon hat, dem fällt’s am schwersten…

Ja, das ist im Grundsatz ein nicht auflösbarer Konflikt. Aber wir haben eben als unabhängige Instanz noch das Bundesverfassungsgericht.

Das könnte doch aber auch diesen Grundkonflikt nicht aufheben und auch nicht verhindern, dass Politiker in den Gremien Freundeskreise und damit  Einfluss organisieren, oder?

Nein, aber es könnte die Hürden dafür viel höher machen, etwa von den Regierungen entsandte Vertreter weitgehend oder ganz ausschließen, Inkompatibilitätsregelungen dergestalt aufstellen, dass Mitglieder der gesetzgebenden und beschließenden Organe der europäischen Union, des Bundes und der Länder dem Fernseh- und Verwaltungsrat nicht angehören können und die Zahl der von den politischen Parteien entsandten Vertreter reduzieren.

Was würde das Ihres Erachtens für den ZDF-Verwaltungsrat  mindestens bedeuten?

Ich kann und will einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise vorgreifen. Aus meiner Sicht wäre allerdings der Staatsferne des Verwaltungsrats gedient, wenn diesem Gremium außer den vom Fernsehrat gewählten Mitgliedern allenfalls ein vom jeweils aufsichtsführenden Land entsandter Vertreter angehört.

und für den Fernsehrat?

Dessen Zusammensetzung müsste aus meiner Sicht grundlegend geändert werden. Ihm sollten überwiegend von den gesellschaftlich relevanten Verbänden und Organisationen entsandte Vertreter angehören, die von diesen ohne staatliche Mitwirkung oder Mitentscheidung ausgewählt werden. Auf Vertreter von Regierungen oder von Regierungen ausgewählte Mitglieder sollte im Interesse der Staatsferne gänzlich verzichtet werden.

Auch auf Vertreter der politischen Parteien?

Nein. Die politischen Parteien gehören ohne Zweifel zu den gesellschaftlich relevanten Organisationen. Sie sollten Vertreter entsenden dürfen, allerdings in einem sehr begrenzten Umfang.

Kurt Beck warnte davor, dass die Politik nach solch einer Entscheidung „über Umwege viel intensiver präsent (wäre) als je zuvor“. Und „in einem solchen Spiel niemand mehr identifizierbar (wäre) …und die Verantwortung übernehmen (würde)“.

Das glaube ich nicht. Das Gewicht der sog. Grauen, also der parteipolitisch Ungebundenen, würde gestärkt. Ihre Chancen würden steigen, sich in unser aller Interesse als politische Spielverderber zu betätigen.

Auch der frühere Intendant des Deutschlandradios, Ernst Elitz, warnt: „Werden die Verbindungen zur Politik gekappt,  jubeln die Privaten“.

Es ist richtig, der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht  die Unterstützung der Politik in vielerlei Hinsicht: etwa bei der Verteidigung seiner Position gegenüber der privaten Konkurrenz in Deutschland und gegen Vorbehalte der EU in Brüssel, bei Gebührenerhöhungen und der Sicherung  der Werbeeinnahmen. Gerade deshalb muss aber verhindert werden, dass auch noch die Gremienbesetzung als Einfallstor für politische Einflussnahme offen bleibt.    Also: Verbindungen ja natürlich, aber keine „Inbesitznahme“.

Die Grundsätze einer Entscheidung des Verfassungsgerichts würden ja ebenfalls für die ARD gelten.  Müssten dann viele Landesgesetze oder Staatsverträge geändert werden?

Also gewiss nicht beim NDR. Den Staatsvertrag für diese Vier-Länderanstalt hat die Politik selbst bereits vor Jahren annähernd vorbildlich ausgestaltet. Aber auch bei den anderen ARD-Anstalten ist jedenfalls kein sehr großer Nachbesserungsbedarf zu erwarten. Eine Ausnahme ist vielleicht der MDR, wo die Zahl der staatlichen bzw. dem Staat zuzurechnenden Vertreter ziemlich hoch ist. All dies hängt natürlich davon ab, wie streng die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sein werden.

Bei allen öffentlich-rechtlichen Sendern werden ja die Intendanten von Gremien gewählt. Der Machtpoker der Politik wird dabei immer wieder einmal öffentlich. Ist es denn rechtens, dass die Intendanten dann zur Berufung ihrer leitenden Mitarbeiter  noch einmal die Zustimmung der Gremien brauchen?

Die Anstalten werden arbeitsteilig geführt. Deswegen ist bis zu einer gewissen Ebene (Direktoren und Hauptabteilungsleiter) dagegen nichts zu sagen. Voraussetzung bleibt aber, dass die Gremien wirklich die Gesamtgesellschaft (also uns alle) in ihrer Zusammensetzung widerspiegeln und nicht einseitig von Staat und/oder Parteien gelenkt oder gar dominiert werden.

Welche Chancen geben Sie den 17 deutschen Journalisten und Verlagsvertretern, die im Fall Brender einen Verstoß gegen die europäische Pressefreiheits-Charta sehen und sich deshalb an die Europäische Kommission und den Europarat gewendet  haben?

Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat sich auf der Grundlage dieser Initiative bereits kritisch zu der aus ihrer Sicht fehlenden Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland geäußert. Allerdings können weder der Europarat noch die Europäische Kommission den ZDF-Staatsvertrag ändern. Vielmehr bleibt es die Aufgabe Deutschlands, also der Länder, den ZDF-Staatsvertrag so zu gestalten, dass er dem Gebot der Staatsferne entspricht. Dies wird ohne die Hilfe des Bundesverfassungsgerichts nach meiner Einschätzung nicht gelingen.

Der bekannte Bonner Rechtsanwalt und Medienrechtsexperte Gernot Lehr ist da anderer Meinung: Die „Keule des Verfassungsgerichts“  brauche es nicht. Der Fernsehrat hätte im Fall Brender das Verwaltungsgericht gegen die Entscheidung des Verwaltungsrats wegen fehlender Zuständigkeit anrufen können.

Das Grundübel ist doch, dass beide Räte zu staatsnah besetzt sind. Warum sollte dann der eine das Gericht gegen die Entscheidung des anderen bemühen? Wie will man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? In einer gemeinsamen Erklärung haben 35 deutsche Verfassungsrechtler hier den „Verfassungsfall“ gegeben gesehen. Ich gehöre dazu, weil ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für ein hohes gesamt-gesellschaftliches Gut halte. Um seiner Glaubwürdigkeit willen sollten wir alle gemeinsam seine Unabhängigkeit verteidigen und dort wiederherzustellen suchen, wo sie Schaden genommen hat.

Über den Gesprächspartner

Dieter Dörr, Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Medienrecht an der Universität Mainz, ist außerdem Direktor des Mainzer Medieninstituts und war fünf Jahre Justiziar des Saarländischen Rundfunks. Der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) gehört er seit 2000 an.