„Die richtige Legende“

Die Sicht eines Detektivs: Medard Fuchsgruber über Grenzbereiche und Medien-Kooperationen. (s.a. Special „Medien & Moral in medium magazin 3-2010)

Interview: DANIEL BOUHS

Herr Fuchsgruber, haben Sie eine Idee, warum einige Medien überhaupt externe Rechercheure zurückgreifen und damit ihren investigativen Journalismus outsourcen statt ihr Kerngeschäft selbst zu betreiben?

Das ist doch heute gar nicht anders machbar. Ich sehe das auch in meinem Umfeld, der Wirtschafts- und Finanzberichterstattung: Überall wird gespart. In den Redaktionen fehlt inzwischen oft jegliche Manpower, wenn es darum geht, komplexe Themen anzugehen. Redaktionen kommen deswegen oft gar nicht mehr umhin, auf Dienstleister zurückzugreifen, wenn es um Schnelligkeit und Qualität geht.

Vom Boulevard ist das bekannt – Stichwort Paparazzi oder nun auch CMK. Wie sieht das bei Titeln wie „Financial Times“, „Wirtschaftswoche“, „Handelsblatt“ oder auch ausländischen Wirtschafts-Medien aus, die sich mit Ihren Themen beschäftigen, dem Anlagebetrug?

Auch die kommen daran nicht mehr vorbei. Alle Redaktionen sind soweit zusammengeschrumpft, dass auf die übriggebliebenen Mitarbeiter ein enormer Leistungsdruck entstanden ist. Hinzu kommt, dass die Qualität der einzelnen Fälle zugenommen hat. Da kommt es schon mal vor, dass allein für die Beurteilung einer Pressemitteilung externer Sachverstand angefragt wird. Und wenn es um die Tiefe geht, taucht auch schnell die Frage nach der Manpower auf. Nehmen wir unsere Themen: Beim Kapitalanlage-Betrug müssen riesige Netzwerke durchleuchtet werden. Da greifen auch Justiziare von Sendern und Verlagen, die Recherchen auf ihre Plausibilität und Rechtssicherheit hin überprüfen, auf Dritte zu – etwa für die Feststellung von Adressen oder Vermögenswerten der Protagonisten.

Arbeiten Sie selbst auch für Wirtschaftsredaktionen?

Bei uns laufen regelmäßig Anfragen auf. Ich besitze ja das Archiv des „Gerlach Reports“, der über den Grauen Kapitalmarkt berichtete und vor unseriösen Anbietern warnte. Das ist ein Fundus, der in der Republik höchstwahrscheinlich kein zweites Mal vorhanden sein wird und für viele Recherchen von Interesse ist.

Es rufen also immer wieder Journalisten an?

Ja, das sehen wir aber nicht direkt als Aufträge. Wir tauschen uns vielmehr aus – im Regelfall ohne Honorar. Für uns ist es selbstverständlich sehr attraktiv, mit Journalisten zu kooperieren. Wir haben ein Netzwerk durch die gesamte Republik, in dem wir wissen, dass Absprachen eingehalten werden. Dabei geht es auch darum, dass wir erst viel später mit einer Geschichte rauskommen wollen als die Medien – um das Vermögen unserer Kunden zu sichern und Behörden den Zugriff zu ermöglichen.

Wenn Journalisten keine Kunden sind, warum tauschen Sie sich dann aus?

Weil wir jede Unterstützung brauchen, wenn wir zwischen die Fronten geraten. Im Zweifel auch die journalistische. Außerdem ist der Kontakt mit Medien meist ein Geben und Nehmen: Oft geben wir nicht nur den Journalisten neue Informationen, sondern Ihre Kollegen auch uns. Das hilft allen und dient dem Anlegerschutz.

Was unterscheidet Sie von Recherche-Agenturen wie der CMK, die gerade unter Beschuss steht?

Unsere Auftraggeber sind die Opfer, die Betrogenen von Wirtschaftsdelikten, die gerne ihr Erspartes zurückhaben wollen. Bei uns geht es nicht um Unterhaltung wie bei der Promi-Fotografie und den Lebenswelten von Spitzenpolitikern, sondern um ernste Dinge, um wirtschaftliche Existenzen.

Dann unterscheiden sich zwar die Fälle in ihrer Qualität, aber doch nicht wirklich die Methoden ihrer Ermittler. Auch Sie versuchen doch, Beziehungen zu erkennen, Vermögenswerte festzustellen und offenzulegen, wenn jemand Dreck am Stecken hat.

Klar, aber ich würde von mir und meinen Kollegen schon behaupten, dass wir uns von dem unterscheiden, was derzeit in der Affäre „CMK und Bunte“ diskutiert wird. Hier sollen Dinge passiert sein, die einfach nicht gehen.

Warum nicht?

Wie gesagt arbeiten wir für die Opfer eines Betruges. Bei unseren Recherchen arbeiten wir deshalb sehr eng mit den Behörden zusammen. Haben wir einen konkreten Verdacht und entsprechende Beweise gesichert, übernehmen Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungsbehörden greifen zu, nicht wir. Und sollte Gefahr im Verzug sein, muss ein Eingriff unsererseits mindestens telefonisch mit den Behörden abgesprochen sein, allein aus Haftungsgründen geht das schon nicht anders.

Was darf eigentlich ein Detektiv, was ein Journalist nicht darf?

Höchstens mit Fehlern schreiben. Nein, im Ernst: Wir haben die gleichen Rechte, nämlich die, die alle Bürger haben. Straftaten, der Eingriff etwa in Persönlichkeitsrechte, sind bei uns allen Tabu. Will ein Recherche-Dienstleister Mitglied beim Bund deutscher Detektive sein, muss er ein Führungszeugnis vorlegen. Es wäre also ein Trugschluss anzunehmen, beauftragte Detektive dürften weiter gehen als die Auftrag gebende Redaktion selbst. Was er aber kann, ist mit seiner Erfahrung in der Recherche vor Ort zu punkten, die Journalisten in dieser Intensität meist fehlt. Mit der richtigen Legende kommt er weiter. Und er kennt sich mit öffentlich zugänglichen Datenbanken aus. Stichwort: Schnelligkeit.

Mit der richtigen Legende? Heißt das, Sie spielen falsche Tatsachen vor?

So würde ich das nicht nennen. Man wird eher als Testkunde auftreten oder so ähnlich, also das tun, was investigative Journalisten ja auch gelegentlich mit versteckter Kamera machen. Der Unterschied ist, dass das für Journalisten etwas Besonderes ist, für uns aber Routine.

Jetzt wurde auch diskutiert, ob es in Ordnung ist, Briefkästen und Fußmatten zu manipulieren, um festzustellen, ob eine Zielperson überhaupt vor Ort ist.

Das hat Tendenzen von Stalking. Sobald ich auf das Privatgelände gehe oder in die Privatsphäre eingreife, ist das ein No-Go. Auch Kameras über Tage dauerhaft auf Wohnungen zu richten, geht einfach nicht. Bewegt sich die Zielperson aber im öffentlichen Raum, ist das etwas ganz anderes.

Aber wo fängt die Spionage an, was geht rechtlich und was nicht?

Schwierig wird es, sobald ich in den Privatbereich eingreife. Laufe ich jemandem aber in der Öffentlichkeit hinterher und behindere oder belästige ich ihn nicht, sehe ich kein Problem.

Es heißt, Rechercheure hätten sich in der Bahn direkt hinter eine Zielperson gesetzt und Gespräche mitgehört. Okay?

Das ist ein Grenzbereich.

Aber die Bahn ist doch so öffentlich wie eine Einkaufszone, oder?

Klar, hier ging es aber darum, Informationen aus Gesprächen zu ziehen – eigentlich Privatsphäre.

Eigentlich?

Wie gesagt: ein Grenzbereich. Gut, dass das jetzt diskutiert wird.

Es heißt, Sie wühlen im Müll Ihrer Zielpersonen.

Aber nur, wenn der Abfall auf dem Gehsteig, also außerhalb der Wohnung steht.

Was kostet das eigentlich, also der Einsatz von Privatermittlern?

Detekteien nehmen meist 50 bis 100 Euro die Stunde. Dazu kommen Auslagen und etwa 50 Cent bis 1 Euro pro gefahrenen Kilometer.

Wenn trägt die Verantwortung, wenn etwas schiefgeht?

Der Auftragnehmer, also der Detektiv. Der Kunde gibt ihm meist nur das Ziel vor, nicht die Mittel.

Nicht der Auftraggeber?

Nein. Was soll das auch? Die Leute sind erwachsen. Wer sich da draußen bewegt, der muss seine Spielregeln kennen. Eine andere Frage ist, ob der Auftraggeber den Rechercheur zu einer Straftat angestiftet hat. Dann wäre das auch sein Problem. In den diskutierten Fällen gehe ich aber davon aus, dass der Leistungsdruck eine Realitätsverschiebung mit sich gebracht hat.

Aber ist der Erfolgsdruck nicht bei allen Recherche-Dienstleistern extrem hoch?

Im klassischen Bereich geht das, denn Detekteien arbeiten meist auf Zeit- statt auf Erfolgshonoraren. Ganz anders ist das etwa in den USA. Dort wird nach Treffern bezahlt. Möglicherweise ist das auch bei den Promi-Rechercheuren der Fall. Das würde zumindest etwaige Grenzübertretungen erklären, wäre zudem Charmant für die Redaktionen, aber äußerst gefährlich für die Branche. Der Detektiv-Verband rät jedenfalls von Erfolgsprämien entschieden ab – zu Recht!

Es ist also ein Problem, wenn Redaktionen ihre Recherchen outsourcen?

Solange die Spielregeln eingehalten werden, sehe ich das nicht so. Im Gegenteil: Die Themen werden immer verflochtener. Da macht es durchaus Sinn, gezielt Externe mit Recherchen zu beauftragen. Wenn es aber dazu führt, dass nur die Drecksarbeit nach draußen verlagert wird und irgendwelche Tagelöhner beschäftigt werden, weil man bei gewissen Methoden selbst ein schlechtes Gewissen hat, dann muss man sich natürlich schon fragen, ob man seinen Job noch ernst nimmt.

Haben Sie eigentlich Mitleid mit denen, die jetzt unter Verruf geraten sind?

Nein, das waren Profis, die wussten, was sie tun. Wer Grenzen überschreitet, muss auch dazu stehen. Aber es ist auch so, dass in der Diskussion vieles in einen Topf geschmissen wurde. Die Summe der angewendeten Methoden war das Problem, nicht jede einzelne. Ein Prominenter, der seinem Bäcker etwas erzählt oder sich öffentlich zur Schau stellt, muss auch etwas verkraften können – nur eben nicht alles. Wer im öffentlichen Leben steht, muss auch damit rechnen, dass sich die Öffentlichkeit für einen interessiert.

Finden Sie es eigentlich fair, wenn Verlage den Eindruck erwecken, die Verantwortung auf die von ihnen beauftragten Recherche-Dienstleister abzuschieben?

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen…

Über den Gesprächspartner:

Medard Fuchsgruber, 45, ist einer der bekanntesten Wirtschaftsdetektive in Deutschland. Seine 1987 gegründete Detektei in Ottweiler (Saarland) ist vor allem Betrügern am Kapitalmarkt auf der Spur. Fuchsgruber arbeitet für Opfer und recherchiert Firmenstrukturen, Verflechtungen und Zahlungsströme. Sein vielleicht bekanntester Fall sind die einstigen Machenschaften der Badenia Bausparkasse.