Die KI-Reifeprüfung

Die KI-Reifeprüfung

Der Einsatz generativer KI sorgt in vielen Medienhäusern für Unruhe. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust steht dem Wunsch nach Produktivitätsgewinn gegenüber. Warum es dennoch ratsam ist, KI als Chance zu begreifen. Dieser Beitrag ist in Gänze im „medium magazin“ 01/2025  erschienen.

Text: Stephan Weichert


Am 27. Januar ereignete sich etwas Ungewöhnliches, das die Tech-Szene als „KI-Erdbeben“ bezeichnete: Das chinesische Unternehmen DeepSeek überholte im App Store den populären KI-Assistenten ChatGPT. Das Überholmanöver sorgte für nicht nur reichlich Gesprächsstoff an den Börsen, die Meldung schaffte es auch auf Platz eins in die 20-Uhr-„Tagesschau“. Auf die Frage, wie sich DeepSeek auf den Journalismus auswirkt, sagte die KI-Forscherin Karen Hao anderntags gegenüber dem Reuters Institute, sie würde Journalisten „generell nicht dazu raten, generative KI einzusetzen, es sei denn, es gibt einen gut durchdachten Anwendungsfall“.

Die US-Journalistin, die lange als Korrespondentin für das „Wall Street Journal“ über KI und China aus Hongkong berichtete, störe sich daran, „dass die Leute einem chinesischen Unternehmen gegenüber besonders skeptisch sind“, da alles, was US-Unternehmen wie OpenAI sagen, „ebenfalls mit äußerster Vorsicht behandelt werden“ solle, da sie keine Beweise für ihre Ansprüche lieferten. Die Behauptungen von DeepSeek seien aufgrund bestimmter struktureller Faktoren sogar „eher überprüfbar“.

Die Aufregung um das Vertrauen in die KI wird auch in deutschen Redaktionen nicht weniger: Während die einen in Künstlicher Intelligenz (KI) den großen Beschleuniger für produktiveres Arbeiten sehen, erkennen andere in ihr einen Rivalen und fürchten um ihre berufliche Integrität. Noch im Herbst 2024 verkündete der „Reifegrad-Report“ des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) euphorisch, dass generative KI bei deutschen Medien bereits grundsätzlich verankert sei. Allerdings seien „noch längst nicht alle Potenziale mit den relevanten Content-Arten ausgeschöpft“. Und weiter: „Die generelle Haltung gegenüber KI-getriebenen Veränderungen wird überwiegend positiv bewertet.“

Denkanstöße und Alltagshilfe

Doch die Ergebnisse der KI-Reifeprüfung werfen ein Branchendilemma auf: „Kollege KI“ verspricht zwar Effizienzgewinne, verwässert aber zugleich das journalistische Kerngeschäft. Mit den synthetisch erzeugten Inhalten wiederholt sich für Verlage das gleiche Spiel wie in der Social-Media-Ära – nur dynamischer. Redaktionen, die sich darauf einlassen, indem sie KI-Systeme implementieren, laufen zugleich Gefahr, dass das landläufig verbreitete Optimierungsversprechen allmählich auserzählt ist. Dem Vernehmen nach werde schon jetzt „alles, was nicht zu den kernjournalistischen Aufgaben gehört, durch KI ersetzt“, sagt ein Redakteur eines großen deutschen Verlagshauses, der namentlich nicht genannt werden will.

Er meint: Layout, Korrektur, Fotoerstellung und selbstverständlich das Texten von Überschriften, Teasern und Social Media Posts. „Technische Weiterentwicklungen werden in ihrer Gesamtheit mittel- und langfristig zur Verschiebung von Aufgaben führen“, sagt Anja Guse, Leiterin für Digitale Transformation und Innovation der „Volksstimme“ in Magdeburg. „Neue Berufsfelder können entstehen, auch in Redaktionen. KI wird dabei einen berechtigten Anteil haben.“ Guse glaubt, dass KI die Produktivität steigern könne, allerdings sei „der Impact in den Redaktionen derzeit bei Weitem nicht so stark, wie von manchen gehofft oder befürchtet“. Die Reporter der Zeitung recherchierten und bewerteten Informationen „weiterhin selbst, bereiten diese auf und kommentieren die Geschehnisse auf Basis persönlicher Erfahrung“.

Auch Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) gibt sich gelassen. Er glaubt, dass ordentlicher Journalismus jenseits von KI möglich ist, die Entwicklung aber nicht verschlafen werden dürfe: „Es geht ja nicht darum, das Denken abzustellen“, sagt der Chefredakteur. KI-Anwendungen seien vielmehr „eine sinnvolle Alltagshilfe bei Recherchen oder Themenfindungen“. Wer das kleine Einmaleins von KI beherrsche, könne wertvolle Denkanstöße erhalten.

[…] Diesen Beitrag zum Thema KI können Sie in Gänze im neuen „medium magazin“ 01/25 lesen.


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