Brief an deutsche Freunde
„Danke dafür, dass ihr so solidarisch seid.“
Pedro Matías Arrazola
Die Palm-Stiftung e.V. verleiht im Jahr 2010 den internationalen Johann-Philipp-Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit an den mexikanischen Journalisten Pedro Matías Arrazola und die iranische Frauenrechtlerin Mahboubeh Abbasgholizadeh. Mit dem Preis werden Personen und Institutionen ausgezeichnet, die sich in herausragender Weise für Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen.
Pedro Matías Arrazola stammt aus Oaxaca/Mexiko – einer der ärmsten Bundesstaaten Mexikos. Seit 1986 berichtet der Journalist über die sozialen Missstände und Korruption in Oaxaca. 2008 wurde er von Unbekanten entführt und gefoltert. Mexiko gehört nach Einschätzung von Reporter ohne Grenzen zu den gefährlichsten Ländern für Journalisten in Lateinamerika. Pedro Matias arbeitete in Oaxaca u.a. für die Zeitung „Noticias de Oaxaca“ und die Nachrichtenagentur NOTIMEX (Noticias Mexicanas). Er war Korrespondent der unabhängigen politischen Zeitschrift „Proceso“ und des Nachrichtenprogramms „CNI“ des Fernsehsenders „Canal 40″.
Bis zum Juni 2010 weilte Pedro Matìas Arrazola auf Einladung der „Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte“ in Jahr in Hamburg. Am Ende seines Aufenthaltes in Deutschland verfaßte Pedro Matìas Arrazola einen bewegenden „Abschiedsbrief an seine deutschen Freunde“ aus dem nachfolgend in Auszügen zitiert werden soll.
Carl Wilhelm Macke, ‚Journalisten helfen Journalisten’ (JHJ), München
Meine Freunde,
Wie ein Sprichwort so richtig sagt: Es gibt keinen Zeitpunkt, der nicht irgendeinmal eintritt und für mich ist das jetzt. Der Zeitpunkt meiner Abreise, der Rückkehr in meine Realität ist da.
Ich muss Euch gestehen, meine Gefühle sind widersprüchlich: Ich habe ein Herz, das sehr schnell schlägt, weil ich weiß, dass ich heimkehre, zu den Meinigen, zu meiner Familie, meinen Freunden, meinen Leuten. Andererseits spüre ich aber auch große Trauer in meinem Herz, denn ich verlasse ein großartiges Land mit außergewöhnlichen Menschen von großer menschlicher Wärme und einer wunderbaren Gastfreundschaft….
Es gibt Momente, in denen ich beim Schreiben dieser Zeilen die Tränen nicht zurückhalten kann, weil ich mich an die großartigen Augenblicke erinnere, die Ihr mir so großzügig geschenkt habt.Sobald ich daran denke, dass ich Euch verlassen werde, fühle ich eine schmerzende Leere in meiner Seele. Ich erinnere mich an den Augenblick in meiner Kindheit, als ich meine liebe Großmutter und meine Tanten zurücklassen musste, weil meine Eltern auf der Suche nach einer besseren Zukunft von Oaxaca nach Mexiko-Stadt gehen mussten. Als der Zug losfuhr, fühlte ich, wie sich meine Seele von meinem Körper löste, als ich den Schmerz meiner Großmutter sich in ihrem Weinen widerspiegeln sah. Heute fühle ich dasselbe. Es ist als ob ein Teil meines Herzens sich von meiner Seele abtrennte…
Man sagt, jeder Abschied schmerzt und so ist es auch bei mir; der einzige Trost ist, dass wir dank der modernen Technik die Kommunikation aufrechterhalten können. Ich habe mir vorgenommen, Deutsch zu lernen; ich weiß nicht, wie lange ich dafür brauchen werde, aber ich möchte es lernen, um mit Euch zu kommunizieren…
Ich kam mit einem gebrochenen Herzen und einem schmerzenden Körper wegen des Todes meines Bruders Rafael und wegen der Entführung, die ich durchgemacht hatte. Die Wunden werden nie verschwinden, aber Ihr wart ein Balsam, der die Vernarbung ermöglicht hat. Ich kehre also mit noch größerer Motivation in mein Land zurück, um als Journalist etwas für mein Volk zu tun, denn zu helfen, erhöht das menschliche Wesen und bereichert den Geist und das ist, was ihr tut und mir gelehrt habt.
So wie ich hier behandelt worden bin, bin ich in meinem Land nie behandelt worden: Rabatte, freier Eintritt in Museen und keine Probleme mit der Ausländerbehörde. Danke dafür, dass ihr so solidarisch seid. Was mich an Euch am meisten beeindruckt hat, ist Eure Fähigkeit zur Organisation und Eure Großzügigkeit. Ich muss gestehen, dass das etwas ist, was wir in Mexiko nicht haben; wir müssen uns erst noch vereinen, um uns gegen eine Regierung zu verteidigen, die die Straflosigkeit fördert.
Ich sage nur, wenn Gott, das Leben oder das Schicksal, woran auch immer Ihr glaubt, mich jetzt abberufen würde, würde ich froh aus diesem Leben scheiden wegen der Familie, die ich habe, weil ich in Oaxaca geboren bin und Armut am eigenen Leibe erfahren habe, was ich mit der Mehrheit der Mexikaner gemein habe und weswegen ich ihre Bedürfnisse verstehe.
Außerdem ginge ich zufrieden mit dem, was ich bisher erreicht habe, auch wenn es nicht ausreichend ist, aber meine Zufriedenheit beruht darauf, dass ich viele Menschen kennenlernen und die Zahl meiner Freunde vervielfachen durfte. …Körperlich gehe ich, aber ein Teil von mir bleibt hier in Deutschland, wo ich einen Traum leben durfte, wie ich ihn mir nie vorgestellt hatte.
Euer Freund Pedro Matías