Bild Dir eine Mission: Die An-Wandlungen des Kai Diekmann
Zurück aus Palo Alto mischt Kai Diekmann „Bild“ jetzt als Nerd auf. Und alle Welt fragt sich: Ist die Anwandlung des mächtigsten Springer-Journalisten echt oder inszeniert? Interview: Annette Milz, Fotos: Daniel Biskup
Aus dem Inhalt des Gesprächs:
Wird „Bild“ jetzt zum Fahnenträger der digitalen Revolution?
Bei „Bild“ sind Fehler jetzt verpflichtend?
Bei wem haben Sie sich schon mal entschuldigt für eine Berichterstattung in „Bild“?
Fünf Satzergänzungen: Ich schätze an Stefan Niggemeier …
Was soll eigentlich die Diekmann’sche LPG-Inszenierung auf Facebook?
Nach der Rückkehr aus dem Silicon Valley setzt der „Bild“-Chef mit Hoody und Turnschuhen neue Stil-Maßstäbe im Haus. Soll „Bild“ jetzt zum Hipster-Medium werden?
Kai Diekmann: Nein. Das ist sichtbarer Ausdruck meines Widerstandes gegen die Zwangs-Resozialisierung in einem Großkonzern. Im Ernst: Natürlich muss sich bei „Bild“ einiges verändern – von manchem, was uns lieb und teuer ist, müssen wir uns verabschieden, um Raum für Neues zu schaffen.
Soll heißen: Das Ende der gedruckten „Bild“ naht?
Nein, natürlich nicht. Aber inzwischen wachsen auch in Deutschland die Bäume für Printprodukte nicht mehr in den Himmel. An der Musikbranche sehen wir, wie sich die digitale Revolution auswirken kann: Heute wissen Kinder mit einer Schallplatte nichts mehr anzufangen. Sie hören aber immer noch Musik. In etwa so wird es langfristig auch der gedruckten Zeitung ergehen: Der Inhalt bleibt, das Trägermedium ändert sich. Diese Transformation für „Bild“ zu schaffen ist das Projekt, dem ich mich verschrieben habe.
Klingt, als sei der Aufenthalt im Silicon Valley ein Erweckungserlebnis gewesen.
Ich bin ja auch vor meiner Reise nach Palo Alto nicht davon ausgegangen, dass die Erde eine Scheibe ist. Aber nach diesem Aufenthalt sieht meine Landkarte heute anders aus. Im Silicon Valley ist unsere Zukunft schon Gegenwart. Man kann dort in Echtzeit erleben, wie die digitale Revolution unser gesamtes Leben und insbesondere die Medien nachhaltiger, dramatischer und viel schneller verändert, als ich mir das hätte vorstellen können.
Was heißt das für „Bild“?
Die gute Nachricht, die ich auch meinen Kollegen einbimse: Das, was wir können, nämlich Journalismus, hängt nicht am Papier. Denn was will ein Journalist? Geschichten erzählen, sich mitteilen. Die neuen digitalen Plattformen geben uns dafür ganz neue Möglichkeiten: Wir können plötzlich bewegte Bilder, Töne, Interaktionen in unsere Geschichten integrieren, mit dem User unmittelbar kommunizieren. All das geht auf dem Papier nicht.
Sie sehen also doch das Ende der Zeitung in Sicht?
Wir sind seit mehr als 60 Jahren auf Papier sehr erfolgreich. Eine starke Marke wie „Bild“ wird auch in 15 Jahren ganz sicher noch die größte Zeitung Europas sein. Auf Papier ist „Bild“ nach wie vor kerngesund und ich will, dass wir auch auf dieser Oberfläche innovativ, kreativ und so profitabel bleiben. Aber wir werden dort nicht mehr wachsen – von Einzel-Aktionen wie unserer 41-Millionen-Wahlausgabe abgesehen. Das klassische Zeitungspublikum schrumpft. Junge Menschen werden heute ganz anders medial sozialisiert. Eben nicht mehr mit der Lokalzeitung am Morgen und den TV-Nachrichten am Abend. Unser Publikum von morgen wird in sozialen Netzwerken wie Facebook sozialisiert, wo gilt, dass eine Nachricht den User finden muss. Und wenn sie dies nicht tut, ist sie aus seiner Sicht nicht wichtig für ihn. Wir holen unser künftiges Publikum nicht am Kiosk, sondern in den neuen Ökosystemen des Internets ab. Wenn wir als Marke dort nicht präsent sind, haben wir auch kein Publikum mehr. Und dann gilt, was Stefan Plöchinger so schön formuliert hat: ohne Publikum kein Geld, ohne Geld kein Journalismus.
Das ist ja nicht wirklich neu, Onliner predigen das schon seit Jahren.
Richtig, „Bild“ hat ja auch schon frühzeitig auf das Internet gesetzt: Allerdings konnten wir erst 2008, nach dem Rückkauf der Anteile am Joint-Venture, Bild.T-Online voll durchstarten. Danach haben wir dem „Spiegel“ innerhalb von zwei Jahren die Online-Marktführerschaft abgenommen.
Klar, Sex sells.
Da machen Sie es sich zwar sehr einfach, aber bitte: Schauen Sie sich mal bei Spiegel Online die fünf meistgeklickten Geschichten an, da werden Sie staunen. Wir haben übrigens am Wahltag und dem Tag danach mit unserer Online-Berichterstattung den absoluten Monatsrekord erzielt. Mit Politik – nicht mit Sex.
Früher verstand sich „Bild“ als Anwalt des „kleinen Mannes“. Wird „Bild“ jetzt zum Fahnenträger der digitalen Revolution?
Das schließt sich ja überhaupt nicht aus. „Bild“ soll sich als Marke nicht verändern. Wir erweitern nur unser Spektrum an journalistischen Möglichkeiten. „Bild“ ist mehr als eine Medienmarke, „Bild“ ist ein Versprechen. „Bild“ steht für hervorragenden Journalismus, das ist unsere Kernkompetenz: die Recherche, die exklusiven Informationen, die klare Haltung, die Unterhaltung, die Visualisierung. Mit „Bild“ langweilst du dich niemals. Dieses Markenversprechen werden wir auf allen Plattformen umsetzen.
… Nach dem Motto: „Boulevard ist die Kunst, permanent eine hysterische Erregung zu erzeugen“?
Nein, das sehe ich anders. Natürlich geht es um ein emotionales Herangehen an Themen. Viele Zeitungen sind in ihrer Agentursprache austauschbar. Natürlich müssen wir exklusive Nachrichten liefern, aber das alleine reicht nicht mehr aus. Die blanke Nachricht ist ein Rohstoff geworden, dessen Basiswert gegen null tendiert. Binnen Sekunden ist sie überall verfügbar. Es muss uns also gelingen, etwas Unverwechselbares daraus zu machen. Und dafür bringen wir viele Voraussetzungen mit: „Bild“ ist schon optisch nicht vergleichbar mit anderen Zeitungen in Deutschland. Übrigens erinnerte schon die erste Ausgabe von „Bild“ an einen Fotostream im Internet.
EXKURS
Blattkritik „Bild“ vom 4. Oktober 2013
„Hätte man etwas dichter machen können“
– siehe „medium magazin“ Print Nr. 10-11/2013 –
Warum läuft die Kolumne von Alfred Draxler online nicht unter „Bild Plus“, also als Anreiz für zu bezahlenden Content, sondern bei Facebook, wo jeder frei drauf zugreifen kann?
Wir probieren einfach vieles aus. Und es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, dass auch die Kolumne von Alfred Draxler zukünftig mal kostenpflichtig ist. Wir wollen unser Publikum und dessen Interessen und Gewohnheiten jeden Tag besser kennenlernen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, auch einmal alle Geschichten im Zugang über die sozialen Netzwerke frei anzubieten – wie es auch die „New York Times“ tut. Wie gesagt, wir müssen experimentieren.
„Bild plus“ wird in der gedruckten Zeitung mit einem Tagespass beworben – der ein Anmeldeprozedere ohne Abo bedingt. Warum so kompliziert?
Der Tagespass bedeutet für den Zeitungsleser einen Mehrwert, denn damit kann er auch alle Online-Inhalte nutzen. Außerdem handelt es sich bei der neuen Inkjet-Drucktechnik, mit der er umgesetzt wird, um eine echte Innovation: Jede „Bild“-Seite 3 mit Tagespass ist eine individuelle Seite. Theoretisch könnten wir künftig sogar jede einzelne Ausgabe individualisiert drucken. Wir suchen jetzt weitere Anwendungs-Möglichkeiten dafür.
Welche könnten das sein?
Wir nutzen das jetzt schon für Gewinnspiele. Mit dem Tagespass können wir außerdem sehen, wie Printleser das Online-Angebot nutzen und dann möglicherweise in „Bild plus“-Abonnenten konvertiert werden.
Also alles auch eine experimentelle Spielwiese.
Ja klar, was auf den ersten Blick etwas kompliziert erscheint, gibt uns ganz viele Möglichkeiten. So können wir auch Themen ganz unterschiedlich „verplussen“, also zu Bezahlinhalten machen, und die Reaktionen der User damit testen. Wir könnten zum Beispiel festlegen, dass die ersten 500 User-Klicks frei sind und der Artikel erst danach kostenpflichtig wird, oder wir geben Abonnenten zuerst einen exklusiven Zugang und schalten den Artikel erst später für alle frei. Wir müssen experimentieren, denn es gibt für „Bild“ kein Vorbild. Aber ich bin von unserem Weg überzeugt, auch wenn es manchmal nicht einfach ist.
Was verhagelt die Freude?
Sparen macht an sich nicht viel Spaß, aber dort, wo wir kein Wachstum mehr erwarten, müssen wir das tun. Es hat mir keine Freude gemacht, das „Bild“-Büro in Rom zu schließen. Aber wenn ich sehe, was für Reichweiten das Experiment „Bild in L.A.“ nachts einfährt, weiß ich, dass das die richtige Entscheidung war.
Vor allem aber müssen wir mehr digitale Kompetenz in die Redaktionen bringen und Arbeitsstrukturen verändern. Im Netz können wir zum Beispiel nicht auf die Kraft der großen Schlagzeile setzen, weil unsere Print-Schlagzeilengröße nicht einfach eins zu eins transferiert werden kann. Also müssen wir dort Geschichten ganz anders erzählen. Deswegen brauche ich für jede Oberfläche Spezialisten. Ich erwarte nicht, dass alle alles können. Deshalb bauen wir im Moment auch die Redaktion um und geben Verantwortung in die Ressorts ab. Die Ressortleiter für Politik, Nachrichten, Unterhaltung, Sport und Leben & Wissen werden zukünftig für alle Inhalte auf sämtlichen Oberflächen verantwortlich sein. Es gibt also keine Trennung mehr zwischen Print und Online.
Wie soll das funktionieren, wenn die Mitarbeiter nach wie vor in zwei verschiedenen Gesellschaften angestellt sind: der alten Springer AG und der neuen KG, die aus Bild digital hervorgegangen ist?
Das haben wir arbeitsrechtlich geklärt.
Und wie wurde das geklärt?
Unter anderem mit einem individuellen Weisungsrecht für Ressortleiter. Wir geben damit ganz viel Entscheidungskompetenz an sie ab. Das ist ein ganz wichtiger Schritt in Richtung einer Konvergenz, wie ich sie mir vorstelle. Solch eine Struktur hat unbestreitbare Vorteile: Es gibt keine Auseinandersetzungen mehr zwischen Online und Print um Inhalte. Aber es geht nicht nur darum, viel wichtiger ist, dass wir uns vom Takt verabschieden, den die Tageszeitung mit ihrem Redaktionsschluss vorgibt. Wir planen heute wie ein Fernsehsender für 24-Stunden-Zeiträume. Für diese neue Planungsstruktur bauen wir gerade die Redaktion um.
Wie soll der neue „Bild“-Newsroom funktionieren?
Vom Produktions-„Balken“ aus wurde bisher das Blatt zentral geführt. Jede Bildunterschrift wurde dort redigiert. Nun ist es aber so, dass man als Chefredakteur zwar eine Zeitung mit 16 Seiten, aber nicht 500, 600 oder 700 Online-Artikel oder Postings in Echtzeit kontrollieren kann. Ich kann mir ja auch keine Tweets vorlegen lassen. Zukünftig muss ich noch mehr darauf vertrauen können, dass meine Redaktion weiß, wie sie mit Inhalten umzugehen hat. Deshalb geben wir, wie gesagt, jetzt noch mehr Verantwortung in die Ressorts.
Wie wollen Sie denn den Überblick behalten?
Die Ressorts und alle wichtigen Funktionen sind räumlich gebündelt. Beispiel Nachrichten: Offline- und Online-Redakteure sitzen zusammen mit ihren eigenen Layoutern, Fotoredakteuren, Social-Media-Kollegen. Die Chefredaktion bespricht mit den Ressorts nur noch die markenrelevanten Schwerpunkte – also z. B. mit Politikchef Bela Anda den Aufmacher auf Seite 2. Der Rest muss von ihm kommen. Wir testen das bereits seit ein paar Monaten: Die Teams von Tanit Koch (stellv. Chefredakteurin und Leiterin der Unterhaltungsredaktion) und Doris Hart (stellv. Chefredakteurin für das Ressort Nachrichten Inland und Ausland, und die „Bild“-Regionalausgaben) layouten ihre Seiten selbstständig und führen ihre Online-Auftritte. Damit gehen wir von dem ehernen „Bild“-Prinzip ab, das früher besagte: Die „Bild“-Mischung muss von oben, als Top-down-Prozess aus einer Hand, gestaltet werden.
Das heißt alle Macht den Ressortleitern? Wo bleibt da zum Beispiel bild.de Chef Manfred Hart?
An der Gesamtverantwortung von Manfred Hart als Online-Chefredakteur und von mir als übergreifend verantwortlichem Chefredakteur ändert sich nichts. Wir ändern nur die Produktionsstrukturen. Entscheidend ist: Es gibt nicht mehr nebeneinander Print und Online, sondern nur noch eine Redaktion.
Dafür entsteht aber ein Nebeneinander von alten AG-Verträgen und neuen, tariflosen KG-Angestellten – also eine Zweiklassengesellschaft.
Das Problem war eher, den AG-Kollegen zu erklären, warum sie, anders als die KG-Kollegen, kein freies Mittagessen bekommen.
Das freie Mittagessen als Äquivalent für die Tariffreiheit soll Bewerber ködern?
Auch innerhalb der AG unterscheiden sich die Verträge, das ist doch ganz normal. Die Frage nach Tarif oder nicht Tarif steht übrigens für eine Perspektive der alten Welt. Digital Natives stellen in den seltensten Fällen diese Frage. Ich habe im Übrigen nicht den Eindruck, dass wir mit Bewerberproblemen zu kämpfen haben. Die Guten können sich heute den Arbeitgeber aussuchen, der ihnen am besten gefällt oder der die besten Konditionen bietet – und oft entscheiden sie sich für „Bild“.
Die Produktionsverantwortung im Newsroom wird dezentralisiert, im Regionalen aber zentralisiert. Wie passt das zusammen?
Zunächst einmal müssen wir auch im Regionalen Kosten und Strukturen anpassen. Wir haben mehr als 30 unterschiedliche Ausgaben von „Bild“, weil wir auch noch in Aachen und Ostwestfalen regionales Anzeigengeschäft abbilden. Allerdings kann nicht jede Regionalausgabe immer Inhalte liefern, die der Mischung von „Bild“ zuträglich sind. Oder, um es anders auszudrücken, die Essenz von „Bild“ muss ein bisschen so sein wie Coca-Cola – eine Mischung aus Koffein und Zucker, die am Ende süchtig macht.
… und die Gesundheit gefährdet?
Alle, die Inhalte erstellen, wollen doch, dass ihr Produkt süchtig macht, dass man die nächste Ausgabe kaum erwarten kann. Das neue Regionalkonzept stellt uns noch klarer für die digitale Zukunft auf. Wir brauchen auch an den Standorten mehr Reporter mit Digital- und Social-Media-Kompetenz. Dafür müssen wir Kapazitäten auf der einen Seite aufbauen und an anderer Stelle abbauen. Das ist auch nichts Neues. Viele Funktionen aus der analogen Zeit – wie zum Beispiel Fotolabore an den Druckstandorten – sind durch die neuen Produktions-technologien nicht mehr notwendig. Künftig gibt es 21 Reporterstandorte, die von fünf zentralen Hauptstandorten in Hamburg (Nord), Essen (NRW), Frankfurt (Südwest), München (Süd) und Leipzig (Ost) geführt werden. Damit können wir auch in der Produktion Synergien schaffen – und haben Luft, um endlich auch in den Lokalausgaben zu digitalisieren und zu experimentieren.
Womit zum Beispiel?
Wir testen bereits seit Längerem „Bild“ auch im Tabloid-Format – das zentral in Berlin produziert wird. Im Hamburger Markt kommt das Format hervorragend an, im Westen sammeln wir noch Erfahrungen. Ich kann mir vorstellen, dass wir das Angebot auch noch in anderen Metropolen starten. Wir müssen auch in Print innovativ bleiben, und das ist nur ein Weg von vielen.
Trotz aller Veränderungserklärungen gilt Axel Springer AG immer noch als behäbiger Tanker mit unendlich zähen
bürokratischen Abläufen. Muss sich auch die Unternehmenskultur ändern?
Das empfinde ich schon lange nicht mehr so. Aber richtig ist auch: Wir müssen uns als Großkonzern verändern, wenn wir die Transformation in die digitale Zukunft bestehen wollen. Wir müssen schneller werden, viel schneller, experimentier- und risikofreudiger. Wie lief das bisher? Wir entwickeln erst mal lange ein Produkt, schicken es durch viele Instanzen, bis es perfekt erscheint. Wir brauchen aber ein neues Herangehen. Auch das ist eine Lehre aus dem Silicon Valley: Einfach mal etwas ausprobieren, es dann auf die Straße stellen und sehen, was funktioniert.
Aktuell zum Beispiel mit Travelbook als Line Extension von bild.de – ähnlich wie Stylebook. Oder unsere neue 1414-App. Ich habe mich ja selbst gefragt, warum ich eigentlich erst im Silicon Valley draufgekommen bin, dass wir aus unserer Leserreporter-Aktion 1414 unbedingt eine App machen müssen. Und beim Start dieser App war es uns wichtiger, dass die User schnell Fotos hochladen können, als dass zum Beispiel der Algorithmus für die Bewertungen schon perfekt funktioniert. Das hat sich ausgezahlt, ich hätte nie mit einem solchen Ansturm gerechnet.
Über Twitter fragte zum Start der 1414-App jemand: „Ihr zahlt 10.000, 3.000, 5.000 Euro für das Foto, was zahlt ihr eigentlich ,Bild‘-Fotografen?“ Und?
Es steht ja jedem professionellen Fotografen frei, sich an uns zu wenden, wenn er der Meinung ist, dass er ein Foto hat, das 10.000 Euro wert ist. Im Übrigen sind das Mitmachaktionen, wie Gewinnspiele in der Zeitung, bei denen wir auch hohe Summen ausloben.
Ist die 1414-App auch eine Reaktion auf den Deutschlandstart der „Huffington Post“?
Nein, die Leserreporter-Aktion 1414 gibt es bereits seit 2006, wir haben sie jetzt nur weiterentwickelt. Die App ist vielmehr ein Beispiel für unseren neuen Weg des Experimentierens und für eine von vielen tollen Möglichkeiten, unsere User zu binden.
Ich verstehe ohnehin die gesamte larmoyante Diskussion in unserer Branche nicht, diese absurden Debatten Print versus Online … Wenn wir uns nur mit der gleichen Energie in das digitale Abenteuer stürzen und uns darum kümmern würden, welche Tools uns journalistisch weiterbringen können … (lacht)
Welche Tools könnten das für „Bild“ sein?
Die digitalen Informationstechnologien bieten uns zum Beispiel Möglichkeiten der Visualisierung, die wir bisher nicht kannten – siehe das berühmte Beispiel „Snowfall“. Natürlich müssen heute Geschichten mehr sein als nur eine Überschrift, ein Foto und ein Text. Es gilt jetzt alle Möglichkeiten der Darstellung von Inhalten zu nutzen: Social Media, Tweets, Facebook-Posts einzubinden, Daten zu visualisieren und natürlich Videos oder Bewegtbilder einzusetzen. Und Bewegtbild auf bild.de muss dabei mehr sein als ein Abklatsch vom Fernsehen.
Das war schon der Anspruch beim Launch von Bild HD vor etwa zwei Jahren. Die bisherige Abo-Bilanz sieht aber eher bescheiden aus. Und viele spielerische Elemente sind dort schnell wieder abgespeckt worden. Woran haperte es?
Manche Funktionalitäten waren zu kompliziert. Außerdem waren und sind die Übertragungskapazitäten bisher nicht ausreichend, um all die Spielereien und Möglichkeiten richtig nutzen zu können. Aber die Erfahrungen aus Bild HD fließen jetzt in die neue Digital-Strategie ein. Dabei probieren wir ständig neue Elemente aus. Ein Beispiel: Am Weltkatzentag haben wir eine Katze über das Logo laufen lassen, die beim Seitenklick miaute, Ähnliches gab es am 10. Oktober am Welthundetag – eine nette digitale Spielerei, die den Usern rasend gut gefallen hat. Ich habe übrigens gerade eine ganze Liste mit solchen „Tagen des …“ an meine Redaktion geschickt: Jeder soll sich einen Tag aussuchen, den er online vorbereitet, mit allen Features und Spielmöglichkeiten, die es dazu gibt.
Wie reagiert die Redaktion auf die Devise: Probieren geht über Studieren?
Ich habe immer gesagt: Ich komme nicht mit einem Masterplan aus Palo Alto zurück, sondern wir versuchen etwas gemeinsam zu entwickeln – auf allen Mitarbeiter-Ebenen. Deshalb haben wir schon im Silicon Valley begonnen, ein Planungs-Team für den Veränderungsprozess zu bilden. Dazu gehören Michael Paustian von unserer strategischen Produktentwicklung AS IDEAS, Daniel Böcking, stellvertretender Chefredakteur bild.de, Marion Horn, jetzt Chefredakteurin „Bild am Sonntag“, und Peter Huth, Chefredakteur der „BZ“. Fast ein halbes Jahr vor meiner Rückkehr kamen Mitarbeiter im Pendelverkehr für je drei, vier Tage nach Palo Alto.
Ich bin froh, dass aus Palo Alto eine ständige Mission für die Mitarbeiter geworden ist. Denn die kritische Masse derer, die die Notwendigkeit einer digitalen Transformation sehen, nimmt mit jedem zu, der dort unten ist. Das gilt übrigens genauso für das Team von „Bild“ in L.A., das jetzt nachts unsere Website komplett bespielt. Der Aufenthalt in Los Angeles ist auch ein Incentive, begrenzt auf 153 Tage. Schon das erste Team dort entwickelt einen beeindruckenden Ehrgeiz – darunter sind auch zwei Reporter, die bisher nur für Print gearbeitet haben. Der Erfolg: Jeden Tag ist „Bild L.A.“ in den Top Ten der Clickcharts.
Ein Erfolg jagt also den nächsten. Dabei predigen Sie doch seit Jahren, dass man aus Fehlern lernen soll. Wo passieren die denn?
Natürlich prallen in diesem Prozess auch Kulturen aufeinander. Ein Beispiel: Ein Start-up, das wir mit einem Entwicklungsprojekt beauftragt hatten, erhielt erst mal von unserer Rechtsabteilung einen 145-seitigen Werkvertrag – mit dem die Jungs natürlich völlig überfordert waren. Dann mieteten sie sich Server-Kapazitäten bei Amazon – was die Konzern-IT erst nach drei Monaten erfuhr und dann aus Sicherheitsgründen gestoppt hat. Die Entwicklungsarbeit von zwölf Wochen war für die Katz. Dieser Fall ist eine wertvolle Fallstudie dafür, was auf beiden Seiten katastrophal laufen kann. Wir müssen lernen, dass wir auch mit einem Start-up praktizieren, was wir an Experimentierfreude einfordern.
Das muss dann anders laufen als bisher bei uns: Wenn irgendwo etwas schiefläuft, wird erst mal ein Schuldiger gesucht, den man zur Verantwortung ziehen kann. Wir müssen nicht nur erlauben, Fehler zu machen, sondern unsere Leute sogar dazu verpflichten. Nur so kann eine Kultur des Experimentierens entstehen.
Bei „Bild“ sind Fehler jetzt verpflichtend?
Es geht ums Ausprobieren der neuen Werkzeuge, die sich uns bieten. Da muss es auch möglich sein, dass ein Mitarbeiter mal einen nicht idealen Facebook-Post hinterlässt, ohne dass er dafür gleich zusammengestaucht wird. Es war übrigens das Erste, was ich im Silicon Valley gelernt habe: Find a new way to fuck up.
Gibt es Guidelines für das Social-Media-Verhalten bei „Bild“?
Es gibt zwar Richtlinien – im Kern aber nur ein Gebot: „Benutze dein Hirn.“
Und das funktioniert mit 500 verschiedenen Hirnen?
Natürlich wird da auch mal Unsinn publiziert. Aber das passiert auch Stefan Niggemeier. Und danach entschuldigt er sich dafür. Ich finde, das ist in Ordnung. Mir passieren auch Unfälle. Ich habe mir deshalb auferlegt, nach 22 Uhr nicht mehr zu twittern. Egal, wie fröhlich ich bin, denn da habe ich auch schon Dinge gemacht, die besser nicht passiert wären.
Was zum Beispiel?
Oh Gott, da rutscht dir halt auch mal ein schiefer Kommentar raus.
Welche eigenen Fehler bereuen Sie?
Ehrlich, da gibt es ganz viele. Was manchmal ja positiv mit Entscheidungsfreude bei mir beschrieben wird, ist negativ gesehen Ungeduld bis zum Jähzorn. Ich habe die Zäsur in Palo Alto auch dazu genutzt, um darüber nachzudenken. Ich hoffe, dass ich gelassener geworden bin.
Auch mit Mitarbeitern im eigenen Haus?
Ich gebe mir zumindest Mühe. Allerdings war ich neulich erschrocken, als ich vor Wut gegen eine Säule im Produktionsraum getreten habe. Positiv gedacht: Es hat immerhin vier Monate gedauert, bis ich mal wieder explodiert bin.
<h2Fünf SATZERGÄNZUNGEN von Kai Diekmann:
Ich nutze Haargel …
… nie und habe es auch noch nie benutzt – sondern immer nur Haarschaum.
Ich schätze an Stefan Niggemeier, dass …
… er auch keine Probleme damit hat, sich für Fehler zu entschuldigen.
Ich trage Bart, weil …
… sich alle drüber aufregen.
Ich war zum letzten Mal beichten als …
… (überlegt lange) als ich wieder mal ein Kunstwerk gekauft habe, obwohl meine Frau zu Hause keine freien Wände mehr hat.
Mein Vorbild heute ist …
Ich habe kein Vorbild. Wirklich nicht. Aber es gab immer Leute, die mich zutiefst beeindruckt haben.
Welches Ventil nutzen Sie, um Druck abzulassen – mal abgesehen vom Säulentreten?
Äpfel, Honig, fünf Karnickel und 17 Hühner. Ich denke gerade darüber nach, was Milch produziert, ohne allzu sehr zu stinken, und beschäftige mich deswegen intensiv mit Alpakas.
Wer füttert die Hühner?
Meine Kinder. Die haben einen Hühner- und Kaninchendienst. Die übrigens auch geerntet werden.
… Die Karnickel werden geerntet?
In einer LPG gibt es keine Deko-Kaninchen.
Bei wem haben Sie sich schon mal entschuldigt für eine Berichterstattung in „Bild“?
Nicht nur einmal. Des Öfteren. Ich habe mich beispielsweise im Kreise meiner Redaktion bei einem offiziellen Abendessen mit Spitzenpolitikern – was wir regelmäßig machen – für Schlagzeilen zur Agenda-Politik entschuldigt. Zum Beispiel: „Jetzt gehen sie auch noch an die Sparschweine unserer Kinder“. Das war polemisch und falsch. Gerhard Schröder hatte recht, wir unrecht.
… und bei Sibel Kekilli?
Mit Sibel Kekilli hab ich mich schon vor zwei Jahren ausgesprochen und ausgesöhnt. Die Ursprungsberichterstattung war in Ordnung, aber die darauffolgende hätten wir deutlich abkürzen können.
… bei Charlotte Roche?
Dazu kann ich nur immer wieder sagen: Man sollte sich mal die Berichterstattung in „Bild“ angucken. Über die Familientragödie von Charlotte Roche hatte „Bild“ einen Schwarz-Weiß-Bericht auf Seite 4, und zwei kleinere Geschichten, ausgelöst von dpa und RTL. Ihre Mutter hatte RTL ein Interview gegeben, das wir dann publiziert haben. Unsere Berichterstattung hat sich in keiner Weise von dem unterschieden, was dazu in anderen Tageszeitungen, inklusive SZ und FAZ, gelaufen ist. Nur dass bei uns die Buchstaben etwas größer waren – auf Seite 4, nicht auf Seite 1.
… bei einem Griechen?
Nein, aber im vergangenen Jahr war ich im Urlaub auf einer griechischen Insel und habe dort mit einem Wirt gemeinsame Fotos gemacht, die wir auf Facebook gepostet haben. Diese Fotos sind vom griechischen Ministerpräsidenten signiert und dem Wirt zugeschickt worden.
Als Wiedergutmachung für „Bild“-Schlagzeilen über „faule“ Griechen?
Diese „faulen Griechen“ hat es in dieser Form vielleicht im „Spiegel“ gegeben, aber an unserer Griechenland-Berichterstattung habe ich nichts zurückzunehmen, insbesondere wenn ich sehe, dass wir mit unserer Kritik an der Euro-Rettungspolitik der Regierung von Anfang an recht gehabt haben. Ich finde es im Übrigen völlig in Ordnung, dass man Sachverhalte zuspitzt. Zuspitzung gehört zum Markenkern von „Bild“, und in der Sache war es mehr als treffend. Der „Spiegel“, die „Wirtschaftswoche“ oder die „Zeit“ haben das in etlichen Titelbildern zur Griechenlandkrise nicht anders gemacht. Wir haben damals geschrieben, dass wir den Griechen einen Rettungsring aus Blei zuwerfen. Das hat sich leider als richtig erwiesen. Inzwischen diskutieren wir über ein drittes Rettungspaket! Die extrem schwierige Situation in Griechenland heute – mit fast 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit – ist verschuldet durch die Rettungspolitik, die „Bild“ immer für falsch gehalten hat. Wir waren nur die Ersten, die das ausgesprochen haben.
Tut Ihnen heute Christian Wulff eigentlich leid? Gibt es etwas, das Sie bereuen?
Mitleid wäre das falsche Wort. Ich habe natürlich ein Mitgefühl für den Menschen Christian Wulff. Aber an unserer korrekten journalistischen Berichterstattung gibt es nichts zu bereuen – dafür haben wir ja sogar den Nannen-Preis erhalten.
Worin verstehen Sie keinen Spaß?
Wenn Leute Dinge nicht selbst in die Hand nehmen, um einen Auftrag zu erledigen, und das stattdessen an andere weitergeben. Ich hasse Schluderei im Kleinen. Ich mag es nicht, wenn Leute nicht auf Details versessen sind. Ich verstehe keinen Spaß, wenn Herr Steinbrück bei uns auf Seite 1 plötzlich „69“ ist.
Ist Bild besser geworden durch „Bildblog“?
Für die Weiterentwicklung von „Bild“ haben wir Bildblog nicht gebraucht. Es war aber insofern hilfreich, als dass die Kollegen hier keine Lust hatten, da zu erscheinen. Insofern gab es vielleicht einen pädagogischen Effekt. Aber „Bildblog“ war immer zu klein-klein, und es hat sich auch nicht weiterentwickelt.
Wie sind Sie eigentlich zum Twitterer geworden?
Vor meinem ersten Besuch bei Twitter-Strategiechefin Katie Stanton am 20. September 2012 habe ich mir einen Twitter-Account eingerichtet – weil ich dort nicht ohne auflaufen wollte. Twitter habe ich zunächst fast nur professionell genutzt – wie Lesezeichen. Das mache ich – abgesehen von den Tweets aus Spaß – heute noch so: Wenn ich etwas Interessantes sehe, das ich später noch mal in Ruhe lesen möchte, dann tweete ich den Link und schaffe mir so mein eigenes Archiv.
Mit Facebook mache ich völlig unterschiedliche Erfahrungen – bis hin zum Shitstorm. Aber auch das gehört ja dazu. Ebenso, dass der Account offensichtlich gehackt wurde. Zum Beispiel habe ich angeblich gleich mehrfach Bildblog geliked.
Ziehen Sie Grenzen zum Privaten in Twitter und Facebook?
Fällt das nicht auf? Ich veröffentliche niemals Bilder meiner Kinder. Und von meinem Garten sieht man nur die Früchte.
Ihre Frau Katja Kessler hingegen hat in ihrem Buch „Frag mich Schatz, ich weiß es besser“ Ihr Familien- und Privatleben öffentlich zelebriert.
Aber in ihren Büchern steht auch: Alles ist wahr, außer, was frei erfunden ist. Insofern wird da keine Grenze überschritten. Ich finde ansonsten, dass ich sehr offen auf Twitter und Facebook bin. Auch was Redaktionsinterna angeht.
Was soll eigentlich die Diekmann’sche LPG-Inszenierung auf Facebook?
Das ist mein persönliches Social-Media-Experiment, um Reaktionen zu testen. Für mich ist es immer wieder überraschend zu sehen: Wenn ich einen Super-Text von Stefan Plöchinger zur Zukunft von Journalismus im digitalen Zeitalter einstelle, erntet das 13 Likes auf Facebook. Aber wenn ich meinen Honig zeige, sind es gleich 125.
Und davon stammen etwa 100 von „Bild“-Redakteuren …
Das habe ich noch nie überprüft … glaube ich auch nicht. Irritiert war ich allerdings, als neulich auch Manuela Schaffrath meine Äpfel geliked hat.
Wie halten Sie es mit Ihren Followern?
Mein Facebook-Account ist frei zugänglich. Aber ich beantworte keine Freundschaftsanfragen mehr. Ich habe meine Kontakte dort im Wesentlichen auf persönliche Beziehungen reduziert. Twitter ist für mich aber eigentlich das spannendere von beiden Netzwerken, weil es professioneller ist. Ich kann darüber unkompliziert mit meinen Kollegen kommunizieren, mich informieren und auch Social-Media-Talente entdecken – wie Patrick Markowski. Der Chef vom Dienst bei „Bild“ formuliert so großartig Social-Media-Posts, dass er jetzt für die Newsroom-Postings verantwortlich ist. So etwas macht wahnsinnig viel Spaß.
In Palo Alto haben Sie mal gesagt, Twitter sei Ihnen auch wichtig, weil Ihnen so viele Kollegen dort folgen. Warum sind die Ihnen so wichtig?
Das ist mir persönlich nicht wichtig. Aber wir können diesen Kanal für Feedback nutzen, Themen testen und Themenkarrieren beobachten. Und nicht zuletzt darüber auch Botschaften absetzen über relevante Vorgänge bei uns, ohne dass das gleich über die offizielle Konzernpressestelle kommuniziert werden muss. Ich kann als Chefredakteur über diesen Weg informeller kommunizieren als in einem offiziellen Presse-Kommuniqué, das einen Vorgang gleich wahnsinnig wichtig macht. Wir schaffen damit neue Ebenen der Kommunikation – manchmal für sympathische Botschaften, manchmal auch, um zu sagen, wir haben Mist gebaut.
Nun arbeitet die Springer-Kommunikation seit langer Zeit hart an einer One Voice Policy im Haus – und trotzdem nutzt der „Bild“-Chef wieder inoffizielle Mitteilungswege?!
Das widerspricht sich gar nicht. Auch hier kommt es auf die Inhalte und Botschaften an, und nicht auf den Kanal. Es war übrigens ein offizieller Beschluss bei einer Chefredakteurs-Konferenz, dass die Springer-Chefredakteure alle auch auf den sozialen Netzwerken präsent sein müssen. Ein Beispiel: Wenn ich eine „Spiegel“-Meldung über „Bild“ in der Zeitung kommentieren würde, wäre das blöd. Über Twitter hat es eine weniger gewichtige Bedeutung. Und es macht einfach Spaß. Ich kommuniziere auch mit dem Kollegen Niggemeier auf Twitter. Den Wunsch hatte er ja früher. Jetzt tue ich es – und er ist verschreckt und antwortet nicht mehr. Für mich ist das auch eine Möglichkeit, mit Kritikern unverkrampft umgehen zu können.
… und Politiker zu reizen – so wie vor der Hessenwahl Torsten Schäfer-Gümbel -, als es auf Twitter hieß: „Bild-Chef droht SPD“?
Das war doch geradezu perfekt: Als ich dessen Kommentar auf unser „Bild“-Gespräch mit den FDP-Altvorderen sah – „oh Gott, die FDP-Postille Bild“, postete ich ihm: „Warten Sie mal morgen ab, da werden Sie sich noch wundern“. Prompt klingelte die SPD bei „Bild“-Frankfurt Sturm, keine Ahnung, was die befürchtet hatten. Ich hatte mit meinem Tweet auf die SPD-Festspiele mit Gerhard Schröder, Helmut Schmidt und Peer Steinbrück am nächsten Tag angespielt. Ich wäre doch bekloppt gewesen, wenn ich die Chance für eine solche mediale Aufmerksamkeit nicht genutzt hätte.
Sie sind geboren in Ravensburg – die Stadt der Spieler. Sind Sie ein Spieler?
(überlegt – eine Minute Schweigen …) Ich probiere gerne Dinge aus. Ich experimentiere gerne, bin gerne spielerisch unterwegs, so verstanden, ja. Spieler im Sinne von verantwortungslos Dinge riskieren, nein.
Was hat Sie eigentlich an „Bild“ als Arbeitgeber gereizt als junger Journalist mit Anfang 20?
Ich war jung und brauchte das Geld … Im Ernst: Weil mich die Marke gereizt hat. „Bild“ bot mir zudem als lernendem Journalisten ungewöhnliche Möglichkeiten. Welche Zeitung war und ist schon in der Lage, auch sehr junge Kollegen in die ganze Welt zu schicken? Und vielleicht auch, weil der „Spiegel“ mir als 21-Jährigem damals kein Angebot für ein Volontariat gemacht hat.
Arbeiten Sie sich deswegen heute noch so am „Spiegel“ ab?
Bitte? Nein, um Gottes willen. Ich bin mit dem „Spiegel“ groß geworden. Mit 13 habe ich – anders als viele Kollegen – nicht den „Kicker“, sondern den „Spiegel“ gelesen. Deshalb habe ich übrigens auch bis heute von Sport wenig Ahnung. Ich bin stattdessen sehr früh politisiert worden.
Wie hat Sie das politisiert?
Ich war auch als Schüler politisch konservativ, weil mich der linke Mainstream – Verzeihung – angekotzt hat und weil ich da nicht mitschwimmen wollte. Ich habe damals auch eine Schülerzeitung herausgegeben, die mit einer hohen Auflage dem linken Zeitgeist total entgegenstand. Mich hat die Geschichte von „Bild“ immer interessiert, auch weil ich sehr früh Wallraff gelesen habe. Vor allem aber hat mich die Haltung von Axel Springer insbesondere in der Wiedervereinigungsfrage und zu Israel tief beeindruckt. Das ist kein Scherz. Ich fand es großartig, dass es einen Verlag gab, der seine Journalisten auf bestimmte Haltungen verpflichtet hat. Es war ja auch kein Zufall, dass ich mich schon 1982 bei der Bundeswehr beworben habe, um Zeitsoldat zu werden.
Was hat Sie in den USA am meisten beeindruckt?
Der unternehmerische Spirit.
Hat es Sie da nie gereizt, auch selbst unternehmerisch tätig zu werden?
Ich fühle mich hier im Hause sauwohl, weil man auch hier unternehmerisch tätig sein kann. Das Unternehmen honoriert Kreativität und gibt dir dafür die notwendigen Freiheiten. Ich bin Axel Springer auch dankbar für die Möglichkeit der zehn Monate in Kalifornien. Ich hoffe, dass ich jetzt davon auch etwas zurückgeben kann. Man kann nicht so lange im Silicon Valley sein, ohne sich zu verändern.
Was haben Sie persönlich verändert?
Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass ich wirklich gelassener geworden bin. Und dass ich mich freimachen kann von bestimmten Zwängen und Mitgliedschaften, die die Aufgabe als „Bild“-Chef mit sich bringen, die aber bei nüchterner Betrachtung aus 9.000 Kilometern Entfernung nicht zu meinen Kernaufgaben gehören.
Welche Mitgliedschaften sind Ihnen so wichtig, dass Sie sie beibehalten?
Meine Mitgliedschaft in der Atlantikbrücke seit elf Jahren und in der Stiftung Kunst und Kultur in Bonn, die mir am Herzen liegt, weil wir dort auch mit „Bild“ verschiedene Aktionen machen. Mein Engagement bei „Hürriyet“ und „Times“ ist eher beruflich bedingt, aber von hohem Nutzen: Wir lernen viel voneinander, weil wir alle als Marktführer in unseren jeweiligen Märkten die gleichen Probleme haben und uns darüber austauschen können. Die „Times“ zum Beispiel hat seit drei Jahren eine Paid-Content-Strategie, von deren Erfahrungen wir profitieren können.
Welches Ziel hat Kai Diekmann zu seinem 50. Geburtstag im nächsten Jahr – Twitter-König von Deutschland werden?
Nein. Ganz im Ernst: Es gibt für mich eine neue große Herausforderung: Ich will die Marke „Bild“ in der neuen digitalen Welt journalistisch so erfolgreich machen, wie sie das in der alten Welt mehr als 60 Jahre gewesen ist. Wir gehen jetzt auch als Marktführer und als erster Massentitel den schwierigen Schritt in Richtung Bezahlinhalte. Es ist mir wirklich ernst, zu beweisen, dass wir diese Herausforderung bewältigen. Und wenn sich das als Irrweg erweisen sollte, werden wir eben neue Geschäftsmodelle erfinden, die sich mit der weiteren Entwicklung von Technologien und Anwendungen erst noch eröffnen werden. Ich glaube fest daran, dass Journalismus in dieser digitalen Welt eine große Chance hat – wenn wir nicht wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen. Wir sollten endlich begreifen, dass sich dort großartige neue Möglichkeiten eröffnen, Geschichten zu erzählen und unser Publikum zu erreichen.