Die Zukunft ist weiblich. Grammatikalisch ist das verbürgt. Aber stimmt das auch für den Journalismus? Deutschland wird seit zwei Jahren von einer Frau regiert – sind Frauen in Führungspositionen heute salonfähig? Für mich als Nachwuchsjournalistin waren diese Fragen ein Grund, mich in meiner Diplomarbeit auf Spurensuche zu begeben. Nicht ganz uneigennützig habe ich das Thema „Karrierechancen und Karrierestrategien von Journalistinnen“ gewählt.
Mein erster Gedanke war, empirische Interviews mit Chefredakteurinnen zu führen. Doch schnell war klar, dass da kaum eine repräsentative Anzahl zustande kommen würde. „Außerdem ist es eine männliche Sichtweise, nur Chefredakteurinnen als Karrierefrauen zu betrachten“, warnte meine zuständige Professorin. Denn Männer und Frauen haben häufig ein voneinander abweichendes Karriereverständnis. Während für Männer die Erwerbsarbeit ein normaler Teil ihrer Biografie darstellt, ist Berufstätigkeit für Frauen häufig noch immer etwas, das neben einer Familienzeit stattfindet. Mit der entsprechenden Frage: Wie vereinbare ich Job und Kinder? Gerade im Journalismus sind die Anforderungen hoch: Überstunden, Wochenendarbeit, Kontaktpflege beanspruchen die zeitlichen, physischen und psychischen Kapazitäten enorm. Wer Kinder zu versorgen hat, gerät auf der Karriereleiter schnell ins Hintertreffen. Denn Karriere wird an festen Kriterien wie Position, Einkommen und Macht gemessen. Kriterien, die von der Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim als „typisch männlich“ bezeichnet werden. Frauen hingegen scheinen ihre Karriere viel häufiger an subjektiven Kriterien zu messen: Selbstverwirklichung, Erfüllung und Verantwortung.
Für mich kristallisierte sich heraus, dass die bestehenden Berufsfeldstudien unter Genderaspekten ausgewertet werden sollten, flankiert von Expertinneninterviews. Die Fachgespräche führte ich mit Johanna Schwenk, die 2006 ihre Dissertation über die Karrieren von Frauen und Männer im Journalismus veröffentlicht hat. Mit Maja Malik, Koautorin der aktuellen Berufsfeldstudie „Journalisten in Deutschland“ (JouriD-Studie). Und mit Marlies Hesse, Geschäftsführerin des Journalistinnenbundes (JB), der seit einigen Jahren ein erfolgreiches Mentoring-Projekt durchführt.
Männerdämmerung. Die erwähnte JouriD-Studie, veröffentlicht von Siegfried Weischenberg, Maja Malik und Armin Scholl, trägt den Titel: „Die Souffleure der Mediengesellschaft: Report über die Journalisten in Deutschland“. An ihrem Anfang steht ein Zitat des „FAZ“-Machers Frank Schirrmacher: „Frauen übernehmen die Bewusstseinsindustrie. Die Männerdämmerung hat begonnen.“ Das macht Lust zum Weiterlesen, aber dann, blättert man wenige Seiten weiter in der Studie, stößt man auf die Zahl „37 Prozent“. Das ist der von Weischenberg, Malik und Scholl ermittelte Frauenanteil unter den deutschen Journalisten. Ich finde, etwas mehr als ein Drittel Frauen im Journalismus macht noch keine Männerdämmerung. 37 Prozent ist genau genommen eine Minderheit.
Allerdings hatten die Forscher eine sehr klare Definition davon aufgestellt, wer für sie als Journalist zählt: Nur jemand, der für ein journalistisches Medium tätig ist und mindestens 50 Prozent seines Einkommens aus journalistischer Arbeit bezieht. Es wäre also möglich, dass vor allem freie Journalistinnen nicht in der JouriD-Studie auftauchen, weil sie diesen Bedingungen nicht genügen.
Aber es gibt ja noch anderes aktuelles Datenmaterial – zum Beispiel die Doktorarbeit von Johanna Schwenk. Die Münchner Wissenschaftlerin ermittelte für Deutschland einen Journalistinnenanteil von 47,2 Prozent. Das ist schon fast die Hälfte. Doch Schwenk stellt in ihrer Arbeit klar, dass eine Selbstselektion bei der Auswahl der von ihr befragten Journalisten stattgefunden hat und der von ihr ermittelte Frauenanteil mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht repräsentativ sei. Trotzdem stimmten mich diese Daten fröhlich. Haben die Frauen im Journalismus in den vergangenen Jahren wirklich so deutlich zugelegt?
Ausnahmeerscheinung Frau. Ein Blick in alte Berufsfeldstudien belegt diese Vermutung nur bedingt. Das Feld ist übersichtlich, der Journalismus wird erst seit den 1950ern verlässlich erforscht. Unter Genderaspekten gibt es wenig valide Daten, weil Journalistinnen erst in den 1970ern ins Blickfeld der Forscher rückten. Lange Zeit war gar nicht klar, dass Journalistinnen eine Ausnahmeerscheinung in einer Männerdomäne waren. „Mir ist das gar nicht aufgefallen“, erzählte Marlies Hesse im Expertinneninterview. Hesse war viele Jahre in der Intendanz des Deutschlandfunks tätig. Ihr Satz machte mich als junge Journalistin nachdenklich. Wieso war es ihr nicht aufgefallen? „Es war halt so. Ich war ja ohnehin für eine Frau eine Ausnahmeerscheinung: jung, ledig und berufstätig.“
Und so musste Mitte der 1970er erst einmal mit Grundlagenforschung begonnen werden. Heinrich Freise und Jochen Draht stellten in ihrer Doppeldissertation über die Berufssituation der Rundfunkjournalistinnen fest, dass Frauen in dieser Sparte unterrepräsentiert sind. Die Wissenschaftler zeigten auch, dass Rundfunkjournalistinnen in „männlichen“ Ressorts wie Politik oder Wirtschaft und in Führungspositionen fast gar nicht vertreten waren. 1978 führten Irene Neverla und Gerda Kanzleiter eine repräsentative Erhebung durch. Sie ermittelten einen Journalistinnenanteil von 17 Prozent für alle Mediengattungen. Neverla und Kanzleiter wiesen erstmals die vertikale und horizontale Segmentation des journalistischen Arbeitsmarktes auf zwei Ebenen nach: Der Frauenanteil bei den tagesaktuellen Medien lag deutlich unter dem bei Zeitschriften. Die Journalistinnen arbeiteten mehrheitlich in „typisch weiblichen“ Ressorts wie Familie, Soziales und Unterhaltung. Außerdem konnten die beiden Wissenschaftlerinnen belegen, dass Frauen in Führungspositionen und damit auch in den gehobenen Einkommensgruppen kaum vertreten waren. Damit war die Diskriminierung von Journalistinnen erstmals wissenschaftlich belegt.
Die Ergebnisse der 1970er wurden 1994 von der ersten JouriD-Studie bestätigt. Der Kommunikationsforscher Siegfried Weischenberg errechnete damals einen Frauenanteil von 31 Prozent unter den Journalisten. Die Studie belegte erneut, dass Frauen überwiegend in typisch „weiblichen“ Ressorts tätig waren. Weischenberg kam zu dem Ergebnis, „dass die durchschnittliche Journalistin ihren Aufstieg auf Grund ihres Geschlechts verpasst hat.“
Ausstieg mit 30. An den Startbedingungen kann das nicht liegen. Jedenfalls sprechen die Zahlen da eine andere Sprache. Seit Mitte der 1980er liegt der Frauenanteil unter den Volontären und Journalismusstudenten bei 50 Prozent, auch die Berufseinsteiger sind zur Hälfte weiblich. „Aber in der Altersgruppe ab 30 Jahren sinkt der Anteil auf einmal. Die Frauen verschwinden“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Malik. Der Berufsausstieg fällt mit dem Zeitpunkt der Familiengründungsphase zusammen. Während die Frauen aus dem Beruf aussteigen oder auf den hinteren Positionen zurückbleiben, erklimmen die Männer die Karriereleiter. Und somit ist nicht verwunderlich, dass die Journalistinnen weniger Einkommen haben als ihre männlichen Kollegen – im Mittel verdienen sie zwischen 2000 und 3000 Euro brutto. Grund: Sie arbeiten häufiger bei den prestigeärmeren Medien, in den unteren Positionen und in Teilzeit.
Die These für meine Arbeit war damit klar: Frauen werden qua Geschlecht im Journalismus benachteiligt. Sie kommen einfach nicht in die Führungspositionen. Und das, obwohl sie im Durchschnitt meist eine mehrgleisige Ausbildung absolviert haben – und damit formal höher gebildet sind als ihr durchschnittlicher männlicher Kollege – und über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung verfügen. Was also machen wir Frauen falsch?
Die andere Karriere. Die Antwort ist komplex. Zum einen definieren Journalistinnen Karriere anders. Viele halten das Aufstreben in eine hierarchische Position für nicht erstrebenswert. Zum anderen waren und sind Kinder oft genug ein
e Karrierebremse. Für das Gros der Frauen gilt das Gesetz der Unvereinbarkeit des journalistischen Berufes mit der Mutterschaft. Teilzeitstellen sind noch immer rar, Quoten gibt es (fast) nur beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Betriebskindergärten sind eine Ausnahmeerscheinung.
Aber die Studien zeigen auch, dass zwei Drittel aller Journalistinnen gar keine Mütter sind. Und die meisten der Kinderlosen machen eben auch keine Karriere. „Weil sie Karriere nach einem weiblichen Verständnis definieren“, meint Schwenk. Für Frauen wird Karriere eher da möglich, wo es „weibliche Spielwiesen“ gibt, wie Malik es umschreibt. Beispielhaft dafür sind Frauenzeitschriften und der private Rundfunk, wo der Frauenanteil seit jeher höher war als bei den politischen Magazinen. Wo dagegen männliche Arbeits- und Umgangsformen herrschen – Ellenbogenmentalität, offener Konkurrenzkampf und Kumpanei –, bleiben die Frauen fern.
Die Konferenz als Bühne für den Hahnenkampf: Viele Frauen wollen sich das schlichtweg nicht antun – und deuten Karriere dann für sich um. Die stereotyp männlichen Verhaltensweisen sind ihnen auf Grund ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation fremd. Und eine Frau, die sich nicht konform ihrer vorgesehenen weiblichen Geschlechterrolle verhält, befürchtet Repressalien.
Eine Journalistin, die hart nachfragt, gilt als „eiskalt“, ein Journalist hingegen als „harter Hund“ oder gar „eloquent“.
Zickenkrieg. Das habe ich selbst im Studium wahrgenommen. Eigentlich waren wir ein Frauenstudiengang. Von 30 Studierenden waren zwei Drittel Frauen. Aber im Interviewtraining kritisierten sowohl die Jungen als auch die Mädchen jene Mitstudentinnen, die kritisch nachfragten. Sie galten als „zickig“. Die kritischen Jungs wurden dagegen bewundert. Als wir unser Studiengangsmagazin erstellten, wählten wir Mädchen uns die einzigen beiden Jungs im Kurs als Chefredakteure – und zickten uns untereinander an.
„Die Frauen müssen wahrnehmen, dass es geschlechtsspezifische Benachteiligung überhaupt gibt“, schilderte Schwenk eine Erkenntnis ihrer Doktorarbeit. Viele befürchten Diffamierung, wenn sie ihre Rechte einfordern. Anderen wiederum fällt die Benachteiligung gar nicht erst auf. Diese Journalistinnen halten ihr Zurückbleiben auf den unteren Positionen für persönliches Scheitern und schämen sich dafür. Eine dritte Gruppe betont, dass ein Zurückbleiben für sie eine bewusste Entscheidung sei. Die Fernsehjournalistin Wibke Bruns hat es für sich so erklärt: “ Ich habe Freunde, ich habe Familie, ich koche gern – alles Dinge, für die du nie Zeit hast, wenn du in einer Führungsposition bist.“
Es handelt sich also um zwei Modelle einer weiblichen Karriere. Viele Journalistinnen haben durchaus ein Karrierebewusstsein und Ambitionen. Aber sie stoßen an die „gläserne Decke“. Die anderen betrachten den Karriereverzicht als kluge Entscheidung, weil sie mehr Zeit für ihr Privatleben haben.
Mut zum Netzwerk. Und was ist mit denen, die nicht aufgeben wollen? „Die müssen netzwerken!“ fordert Hesse. Denn Netzwerke – gleichgeschlechtliche und gemischtgeschlechtliche – erweisen sich als Karriereschmieden. Die Frauen holen hier auf. Den Old Boys‘ Networks stehen Frauennetzwerke gegenüber und Mentorinnenmodelle. Außerdem haben Frauen meist einen Vorteil in Sachen Soft Skills. Die Kommunikationswissenschaftlerin Ulrike Weish spricht hier vom Augenaufschlag-Journalismus, den vor allem junge und attraktive Journalistinnen für sich nutzen können. Aber hier ist Vorsicht geboten – denn nur allzu leicht gerät eine Journalistin unter den Verdacht, ihren beruflichen Aufstieg sexuellen Avancen zu verdanken.
Und was habe ich selbst mit den Ergebnissen meiner Diplomarbeit angefangen? Ich hatte Glück und bin schon zu Beginn meines Studiums einem leitenden Redakteur bei den Bremer Tageszeitungen aufgefallen. Er wurde mein Mentor und hat dafür gesorgt, dass ich ein Volontariat bekommen habe. „Der erste Mentor ist immer der wichtigste“, hat mir ein erfahrener Kollege einmal gesagt. Das stimmt – aber man kann einfach nicht genug haben. Und darum sind neben meinem ersten noch einige Mentoren dazugekommen. Außerdem erweist es sich hin und wieder als nützlich, nett zu lächeln und auf die weiblichen Vorzüge zu vertrauen. Wenn die Männer darauf reinfallen, ist das wirklich nicht unser Problem.
Ob es am Ende reichen wird, eine Führungsposition zu ergattern – oder ob ich auf halben Weg feststellen werde, dass es das gar nicht wert und mir Familie doch viel wichtiger ist, wird sich zeigen. Doch so wie ich machen sich viele Nachwuchsjournalistinnen auf in den Beruf. Die Wege, die wir gehen, sind längst keine unwegsamen mehr. Wir gehen sie in Stöckelschuhen, Flip-Flops oder Stiefeln – und mit der guten Gewissheit, dass die Zukunft weiblich ist. Denn das ist grammatikalisch verbürgt. Und Frank Schirrmacher wird sich wohl daran gewöhnen müssen.
Lesetipps:
Susanne Keil (2000): „Einsame Spitze? Frauen in Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, Lit Verlag, Münster/Hamburg/London
Julia Koch (2006): „Frauen im Journalismus“, Libri-Verlag, Hamburg
Ute Schulz (2000): „Journalistinnen im Schulterschluss? Motivation und Entscheiden für oder gegen kollektives Frauenhandeln“, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden
Johanna Schwenk (2006): „Berufsfeld Journalismus: Aktuelle Befunde zur beruflichen Situation und Karriere von Frauen undMännern im Journalismus“, Verlag Reinhard Fischer, München
Siegfried Weischenberg / Maja Malik / Armin Scholl (2006): „Die Souffleure der Mediengesellschaft: Report über die Journalisten in Deutschland“, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz
Erschienen in Ausgabe 9/2007 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 12 bis 15 Autor/en: Tina Groll. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.