Mächtige Männer hindern Frauen an der Karriere – das kommt vor. Als Erklärung für den geringen Frauenanteil in journalistischen Spitzenjobs finde ich das zu simpel. Mächtige Männer hindern jeden an der Karriere, auch Männer. Das sichert ihnen die Macht. Aber mir ist auch keine Frau bekannt, die gezielt andere Frauen einlüde, an ihrer Macht teilzuhaben. Die Mächtigen bringen oft die Falschen in die Spitzenjobs: Das ist die Analyse, auf die wir uns vielleicht einigen können.
Im Journalismus ist das nicht anders. Frauen sind häufig die besseren Journalisten. Sie arbeiten mit mehr Hingabe und Präzision, präsentieren Themen anschaulicher und näher am Leser, sind selbstkritischer und stellen sich konstruktiver auf professionelle Kritik ein, suchen nicht den einfachen Weg. Jedenfalls ist das so in dem Ausschnitt der Welt, der sich mir bislang geboten hat. Ausnahmen beiderlei Geschlechts trüben nicht das Gesamtbild. Gerade unter Nachwuchskräften gibt es mehr Frauen als Männer mit großem Potenzial. Da seit einigen Jahren mehr Frauen als Männer in den Journalismus einsteigen, herrscht also an guten Frauen kein Mangel. Aber schon unter stellvertretenden Ressortleitern gibt es mehr Männer.
Stellvertretender Ressortleiter wird man nicht durch Schaulaufen in großen Konferenzen oder durch Vernetzung. Auf diesem Karriereniveau bleibt Frauen wie Männern nur, sich dem Chef als einer unter vielen durch gute Arbeit zu empfehlen – aber irgendwann, wenn der Kollege Dings in Rente geht, sich vor den Vorgesetzten zu stellen und zu sagen: „Die Zeit ist gekommen, mir den Aufstieg zu eröffnen.“ Schon unter jenen, die hier die Initiative ergreifen, ist der Frauenanteil relativ gering.
Beobachten wir also den jungen Mann vom Lokaldesk links, wie er ins Chefbüro eintritt. Den Jungen würgt der Hemdkragen, so nervös ist er. Aber dann ist er drin und setzt sich auf den Besucherstuhl.
Eben war er linkisch. Jetzt passt die Haltung. Schließlich steckt in dem Kerl, der da sein Anliegen vorträgt, noch immer der Sechsjährige, der bei seinem Eintritt in den Fußballverein zwar noch keinen geraden Ball aufs Tor spielen konnte, aber auf den Rasen zu spucken schon so weltmeisterlich beherrschte wie den Torjubel mit Oberkörperstrip. Ich will mit den Großen spielen, signalisiert er dem Chef. Der riecht natürlich den Angstschweiß. Doch er sieht die Ambition, kennt die Leistung, und so gibt er dem Aufstrebenden die bessere Position, das höhere Gehalt oder wenigstens die Aussicht darauf.
Seine Desknachbarin rechts arbeitet genauso gut wie ihr Kollege, wenn nicht besser. Sie schwitzt genauso wie er auf dem Weg zum Chef. Dann trägt sie ihr Anliegen vor: Ihre Hände fliegen und ihre Augenlider flattern, ihre Stimme steigt um zwei Oktaven und sie ist den Tränen nahe.
Wenn es bei einem Mann hart auf hart kommt, hat er gelernt, auf locker zu schalten; ein paar Sprüche, posieren, Raum nehmen, Beine breiter, Arme offen, ein wenig Lautsprechen da und Blenden dort. Vor dem Leitwolf nie in Vorlage, sondern leicht defensiv … Dies hilft, mit vorgesetzten Männern leicht eine Einigung zu finden. Bei Chefinnen möglicherweise auch: Es ist ein Ritual, älter als das moderne Arbeitsleben.
Frauen argumentieren in solchen Gesprächen differenzierter, als es je einer könnte, der in seiner Jugend viel Zeit darauf verwendet hat, lässig Spucken zu lernen. Zugleich wirken sie aber oft verschüchtert, gerade die jungen. Die Stimme! Die Haltung! Schleicht rein, als wolle sie sich für etwas entschuldigen, klammert sich an die Stuhlkante undredetundredetundredet. Bemerkt nicht, dass sie das Unterwölfchen gibt, das allerbescheidenst auch ein wenig teilhaben möchte, wenn’s nicht gerade stört. Geht dann als Verliererin hinaus.
Mädchen finden die Spuckerei albern und den Torjubel angeberisch: Präpotenz auf Egotrip. Jungen üben, Statusdefizite und Unsicherheit zu überspielen. Es kommt nicht von ungefähr, dass Identitätskrisen ein eher männliches Phänomen sind. Bitter, wenn der Vorschuss des Gehabes auf die Realität mit Mitte dreißig aufgebraucht ist. Aber erst mal wirkt es. Zugunsten von Männern trifft mancher Chef sicher manche Entscheidung, die er nachher bereut.
Fair ist das nicht und auch nicht gut fürs Unternehmen. Vielleicht sollte schon wegen der Mehrheitsverhältnisse an der Personalentscheidung eines Chefs immer eine Frau teilnehmen. Eine, die sich von den Kerlen nicht leicht blenden lässt und sich in die Frauen einfühlen kann.
Die sind womöglich besser als der Mann am nächsten Bildschirm. Oder wenigstens auf eine sehr fähige Art anders. Sie stellen in Interviews Fragen so einfühlsam und glashart, wie sie kommentieren. Wahren ohne Posen Haltung, wenn sie für etwas oder jemanden eintreten. Bis der Moment kommt, da sie für sich selbst eintreten müssten. Das haben sie nie geübt und nicht gelernt. Beim Boss kommt das so an: Das Mädel wird nie Führung übernehmen können, unter Druck macht sie schlapp.
Kolleginnen, verliert nicht in eigener Sache immer wieder die Fassung. Es gibt in den Redaktionen gerade jetzt, da der Wandel sensibles Storytelling und soziale Intelligenz erfordert, weit mehr Raum für gute Frauen neben und über den vermeintlich so tollen Jungs. Erobert ihn.
Aber bitte nicht spucken.
Joachim Widmann,
ehemaliger Chefredakteur der Nachrichtenagentur ddp und der Bamberger Mediengruppe Oberfranken, ist Geschäftsführer der BJS Berliner Journalisten-Schule, die seit kurzem ein Coaching-Seminar für Journalistinnen anbietet. www.berliner-journalisten-schule.de
Erschienen in Ausgabe 10+11/2012 Journalistin in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 0 bis 0. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.