Wenn Gabor Steingart an die Kultur in Finanz- und Wirtschaftszeitungen denkt, dann sieht er Ähnlichkeiten mit einem Western Country Club: „Es riecht nach T-Bone-Steak, Country-Music und Herrenwitz.“
Der Hautgout hat sich ein wenig verflüchtigt. Ein aus Frauensicht goldener Herbst ist ausgebrochen. Mit Nicole Bastian beschäftigt das von Steingart geleitete „Handelsblatt“ seit 1. Oktober erstmals eine Frau auf dem wichtigen Ressortleiterposten Finanzen & Börse. Die erst 32-jährige Tanja Kewes ist zudem die erste Chefreporterin in der 65-jährigen „Handelsblatt“-Geschichte. Und von der Isar kommt die Meldung, dass der „Focus“ seine leitende Angestellte Carin Pawlak zur stellvertretenden Chefredakteurin befördert hat. So was gab es in fast 20 Markwort-Jahren nicht.
„Eppur si muove“ – und es bewegt sich also doch etwas im Journalismus. Frauen können auf den oberen Redaktionsetagen Karriere machen. Sie sollen es, das ist gesellschaftlicher Konsens. Noch zu wenige wollen es, das ist auch klar, spätestens seit die frühere „taz“-Chefin Bascha Mika die Feigheit der Frauen in ihrem gleichnamigen Buch beklagte. Doch ob Frauen Karriere machen sollen mittels der von Familienministerin Kristina Schröder auf die Agenda gebrachten freiwilligen Quote, ist mindestens genauso umstritten wie der von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen angedrohte gesetzliche 30-Prozent-Schlüssel, wonach weder Männer noch Frauen zu einem geringeren Anteil in Aufsichtsräten und Vorständen vertreten sein dürfen.
Quote hin oder her:
Es geht irgendwie aufwärts. Dem Statistischen Bundesamt zufolge gibt es heute so viele Chefinnen wie nie zuvor im Land. Allerdings seien weibliche Spitzenkräfte in den Führungsetagen von Unternehmen mit 50 und mehr Beschäftigten mit nur 17 Prozent nach wie vor unterrepräsentiert.
Auf dem Höhepunkt der Quoten-Debatte outete sich Chefredakteur und Steak-Feinschmecker Steingart als Befürworter. Er werde den Chefinnenanteil im „Handelsblatt“ binnen fünf Jahren von 14 auf 30 Prozent steigern, kündigte er im Februar an. Et voilà, im Oktober ist eine Quote von 22 Prozent erreicht. „Frauen in Führungspositionen tun der Wirtschaft gut, und dem ‚Handelsblatt‘ selbstverständlich auch“, sagt Steingarts Stellvertreter Peter Brors. Natürlich habe man sich gefreut, durch die Beförderung von Nicole Bastian und Tanja Kewes der eigenen Frauenquote ein Stück entgegenzukommen. „Aber die Quote ist kein Selbstzweck.“ Die beiden Damen seien unter allen Kandidaten die mit der besten Qualifikation und den besten Fähigkeiten gewesen.
Angst vor Frauenansturm
Die Bildungsrevolution der Frauen hat in den vergangenen 30 Jahren tatsächlich dazu geführt, dass im Journalismus mehr qualifizierte Frauen als Männer arbeiten. Sie drängen mit aller Macht in den Beruf. Beim Allgäuer Unternehmen Schwäbisch Media („Schwäbische Zeitung“) zum Beispiel sind derzeit 15 weibliche und neun männliche Volontäre in der crossmedialen Ausbildung. Noch krasser ist das Verhältnis beim WDR, wo im Vorjahr 81 Frauen und nur 37 Männer ein Volontariat oder Traineeprogramm ergatterten.
Die Kölner befolgen, ähnlich den anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, einen internen sowie einen per Gesetz verordneten Gleichstellungsplan. Doch die Lage war zwischenzeitlich so dramatisch umgekippt, dass WDR-Redakteure darum gebeten haben sollen, den Frauenansturm zu drosseln, den Männern zuliebe. Am anderen Ende der Gehaltsskala kann von Sturm freilich keine Rede sein. Im oberen Vergütungsdrittel stieg der Frauenanteil um 0,9 Prozentpunkte auf jetzt 36,9 Prozent. Andrea Ernst, die Vorsitzende des Journalistinnenbundes, schließt aus solchen Zahlen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis Frauen auch in den Führungsetagen der Medien sichtbarer werden: „Der Druck von unten ist deutlich spürbar.“
Flurverbot für Frauen
Im „Spiegel“, wo einst Kulturjournalist Matthias Matussek einer Kollegin ein gar nicht kultiviertes „Frauen haben hier Flurverbot“ entgegenpolterte, war der Druck von unten Ende Januar auf elf Titel-Seiten lesbar. Zwei Redakteurinnen diskutierten über die Frauenquote (in einem der am schlechtesten verkauften Hefte seit Beginn der IVW-Zählung) und kamen zum Schluss: „Der Spiegel braucht die Quote. Das Land auch. Nun macht mal.“
Wirtschaftschef Thomas Tuma machte, und zwar eine Replik: Eine staatlich verordnete Frauenquote wäre nicht nur albern und dirigistisch, sondern kontraproduktiv. Chefredaktion und Geschäftsführung des Nachrichtenmagazins beschlossen, Frauen zumindest auf Ressortleiterebene nicht zu quotieren, aber generell zu fördern, etwa durch Mentoring-Programme. Darüber soll es Knatsch gegeben haben im „Spiegel“-internen Arbeitskreis Gleichstellung. Der Blick ins aktuelle Impressum ernüchtert: rund 28 Prozent schreibende Frauen (2000: 21,5 Prozent), davon aber nur drei stellvertretende Ressortleiterinnen, eine stellvertretende Chefin vom Dienst. Der Verlag lässt mitteilen, man habe „eine breite Basis geschaffen, um in den kommenden Jahren zunehmend auch Redakteurinnen in Führungspositionen zu berufen“.
Die Konkurrenz in München ist den Hamburgern dagegen schon ein gutes Stück voraus. Von den 70 Frauen, die mit 103 Männern für die „Focus“-Redaktion arbeiten (Frauen-Quote: 40 Prozent), ist eine, nämlich Carin Pawlak, stellvertretende Chefredakteurin, eine CvD, vier sind Ressort- bzw. Bereichsleiterin, eine Vize-Wirtschaftschefin. Vor ihrem „Stelli-Job“ leitete Carin Pawlak das „Focus“-Ressort Menschen; von Christine Eichel übernahm sie jetzt die Kultur-Leitung. Eine Frauen-Quote lehnt sie ab: Frauen seien keine bedrohte oder behinderte Minderheit, schon gar nicht im Journalismus. Wer dort Erfolg haben wolle, müsse selbstbewusst und kommunikativ sein. Sprich: Hascherln nützt die schönste Quote nichts.
Ohne die Konzern-Kita „Burda Bande“ hätte sie ihren Job nicht geschafft, sagt die Mutter eines siebenjährigen Sohnes. Für sie fängt die Förderung von Führungsfrauen an dem Punkt an, wo Unternehmen es Müttern ermöglichen, trotz Kind zu arbeiten. Von anderen Fördermaßnahmen als Betriebskindergärten hält Carin Pawlak nichts: Frauen-AG? Coaching-Programme für Frauen? Stillkurse für Ressortleiterinnen? Erfülltes Wickeln für Managerinnen? Das sei doch alles grauenhaft. „So etwas machen wir bei ‚Focus‘ nicht und so etwas brauchen wir nicht.“
Auch der Axel-Springer-Verlag hält Betreuungsangebote an seinen Standorten Hamburg und Berlin bereit, verfolgt aber darüber hinaus das im vorigen Sommer gestartete Projekt „Chancengleich“: Unter anderem übernehmen Führungskräfte der ersten Ebene Aufgaben als Mentoren für je einen weiblichen und männlichen Mentee.
Der Wille allein reicht nicht
Die Mühe scheint sich zu lohnen. Waren bei Springer im Vorjahr 16 Prozent Frauen in leitenden Positionen, sind es jetzt gut 20 Prozent, speziell in den Redaktionen 23 Prozent. Wer in welche Position nach oben gerutscht ist, wird nicht veröffentlicht, ebenso, ob Posten schlicht umbenannt wurden. Ob „Bild“, „Welt“ oder „Bild der Frau“ – jeder Bereich, heißt es, setze sich individuelle Zielmarken. Das Gesamtziel seien verlagsübergreifend 32 Prozent Führungsfrauen bis 2018. Die Hertie-Stiftung zeichnete Springer im Mai sogar mit dem Zertifikat „berufundfamilie“ aus.
Auf regionaler Zeitungsebene sieht es frauenquotenmäßig mager aus. Entweder wird die Beförderung nach festem Reglement abgelehnt oder es wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit experimentiert wie bei einer großen Zeitung im Südwesten. Das „Darmstädter Echo“ hat dagegen gute Erfahrungen mit der Quote gemacht. Chefredakteur Jörg Riebartsch ist begeistert von seinen fünf Füh
rungsfrauen. Sie hätten das bessere organisatorische Geschick, wären teamfähiger, loyaler und markierten nicht den dicken Max wie die Männer. Gerne hätte er mehr davon, aber: „Wir haben keine Fluktuation. Die fühlen sich hier alle wohl bei uns. Ich kann ja keinen Mann rausschmeißen, nur um eine Frau einzustellen.“ Frauen hätten generell „einen hohen Stellenwert“ in seinem Haus, was auch an der Haltung der Verleger liege.
Dass Alfred Neven DuMont vor einigen Monaten seine Tochter Isabella in den Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg entsandte, um ihn bei der Arbeit im, wie er im „Spiegel“ formulierte, „Moloch“ mit 4.200 Beschäftigten zu unterstützen, hat wohl kaum etwas mit Quote zu tun – sie ist schlicht die einzige, die nach dem Rausschmiss von Sohn Konstantin vor einem Jahr noch übrig ist, die Familiendynastie fortzuführen. Immerhin eine Chefredakteurin gibt es bei DuMont: Brigitte Fehrle leitet seit 2010 die neu geschaffene DuMont-Redaktionsgemeinschaft (acht Frauen, 19 Männer). Davor war sie Vize-Chefin der „Berliner Zeitung“, wo Frauen traditionell mehr Möglichkeiten haben als bei anderen DuMont-Blättern. Fehrle sagt, das habe mit der Ost-Vergangenheit zu tun. „In der DDR war es selbstverständlicher, dass Frauen arbeiten und auch führen. Mein erster Chefredakteur hat mich gefördert und mir Platz und Raum gegeben.“ Früher schrieb Fehrle Leitartikel gegen die Frauenquote, weil sie die Intelligenz der Frau beleidige. Momentan denkt sie: Es geht nicht ohne. Der gute Wille allein reiche nicht aus. Sie fordert eine systematische Führungskräfteentwicklung, für Frauen wie Männer. Regelmäßige Workshops, Rhetorik-Seminare, Schulungen, wie leite ich eine Gruppe, eine Konferenz – eben all das, was man aus dem modernen Management kennt, aber bei Zeitungen nicht gängig ist. Insbesondere Frauen unterschätzten, dass man in Leitungspositionen Härte entwickeln und Einsamkeit aushalten können müsse.
Vielleicht ist es aber auch so, dass von Frauen zu viel erwartet wird. Dass sie immer brillant sein müssen. Journalistinnenbund-Vorsitzende Andrea Ernst glaubt, wir wären in der Geschlechterdemokratie entscheidend weiter, „wenn Frauen im Management genau das gleiche Recht auf Mittelmäßigkeit und Durchschnittlichkeit hätten wie Männer“. Nicht zuletzt die Finanzkrise habe gezeigt, dass wir von Wirtschaftslenkern umgeben sind, die nicht „ausschließlich kreativ, voll Esprit und verantwortungsbewusst die Geschicke des Landes steuern“.
Bis Frauen in den unternehmerischen Führungsriegen eine Selbstverständlichkeit sind, werden in Deutschland noch etwa 30 Jahre vergehen, schätzte der Trendforscher Matthias Horx in einer „Welt“-Beilage Ende September. Und sogar Dieter Stolte, Vorstandsmitglied der Axel-Springer-Stiftung, rief an selber Stelle das „Jahrhundert der Frauen“ aus. Nicht die übelsten Aussichten.
DIE AUTORIN:
Senta Krasser ist freie Journalistin und lebt in Köln.
www.krasserjournalismus.de
Erschienen in Ausgabe Journalistin 2011 in der Rubrik „Medien“. Autor/en: Senta Krasser | Foto: Dschütz/Pixelio. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.