Frau Czerny, Sie gehören zu den Pionierinnen der Digitalbranche und sind als Geschäftsführerin doch ein seltenes Exemplar hierzulande. Anders als in Amerika,wo Frauen auch in Toppositionen bei Firmen wie Firefox, „New York Times“ oder Facebook arbeiten.Warum tun wir uns hier so schwer?
Steffi Czerny: Vielleicht weil wir mehr an Regeln hängen. Ehrlich gesagt, vergessen Sie doch die Rahmenbedingungen. Es geht auch anders. Sheryl Sandberg beispielsweise, Chief Operation Officer bei Facebook und Mutter dreier Kinder, arbeitet bis 15 Uhr und ist dann erst wieder ab 21 Uhr erreichbar. Ähnlich handhaben es Frauen wie Mitchell Baker (Mozilla Firefox) oder Arianna Huffington. Auch für die Männer in ihrem Umfeld ist es selbstverständlich, dass Frauen einen anderen Arbeitsrhythmus haben. Natürlich ist das gelegentlich anstrengend, aber wir Frauen hierzulande haben viel zu wenig Mut, neue Wege zu gehen. Rahmenbedingungen sind doch dazu da, dass man sie ausreizt. (lacht)
Sie sind ja selbst Mutter von vier Kindern – und seit Jahren Führungskraft im Hause Burda. Wie haben Sie das gemacht?
Genau so. Ich habe versucht, vormittags möglichst viel im Büro abzuarbeiten, bin nachmittags früher als manche Kollegen nach Haus gegangen, war mit den Kindern und niemand durfte mich da stören. Abends habe ich dann noch von zu Hause aus gearbeitet.
Hatten Sie einen besonders verständnisvollen Arbeitgeber?
Als ich 1995 hier anfing, war ich sicherlich Vorreiterin. Als eine der ersten Frauen im Hause Burda beschäftigte ich mich mit dem Internet. Und ich hatte genügend Selbstbewusstsein, Bedingungen zu stellen: zum Beispiel, dass ich, wann immer ich wollte und es notwendig war, mit meinen Kindern telefonieren konnte. Sonst hätte ich gar nicht erst angefangen.
Was aber, wenn das Ausreizen auf Granit stößt, weil der Chef keine Heimarbeits-Modelle akzeptiert, gerade in Medienhäusern? Viele Chefredakteure in Deutschland wollen das nicht.
Das sind alte, überholte Modelle. Gute Arbeit geht auch von zu Hause aus, denn es befreit von diesem ständig schlechten Gewissen, das Kind irgendwo alleine oder von anderen betreuen zu lassen. Je mehr Modelle und Akzeptanz es für eine flexiblere Arbeitseinteilung gibt, desto mehr Frauen werden wir auch in Führungspositionen sehen.
Zugegeben, bei uns spielt sicher auch eine Rolle, dass die Generation der Frauen zwischen dreißig und vierzig noch geprägt ist vom schlechten Gewissen der Nachkriegsmütter, die nach der Rückkehr ihrer Männer aus dem Krieg wieder in die alten Muster zurückgefallen sind, zurückfallen mussten, und das an ihre Töchter weitergegeben haben. Für mich selbst war Berufstätigkeit und Familie immer völlig selbstverständlich, weil meine Mutter gearbeitet hat. Auch deshalb halte ich mehr Role-Models für ganz wichtig – ein wesentlicher Grund übrigens, warum wir in diesem Jahr die Konferenz DLD Women ins Leben gerufen haben.
Vorbilder, also Role-Models, scheinen aber vielen nicht mehr zu genügen. Nicht nur in der CSU, sondern auch in Medienhäusern wie Axel Springer wird nun eine Frauenquote propagiert. Was halten Sie davon?
Das ist eine schwere Frage. Eine Quote provoziert sofort Widerstand. Ich glaube, wir Frauen müssen Wege finden, wie wir um die Quote herumkommen und uns gegenseitig fördern.
Selbst Bertelsmann-Chefin Liz Mohn hat aber kürzlich im „Handelsblatt“ für eine Quote plädiert: „Eine Quote auf Zeit könnte den Boden bereiten, damit mehr Frauen in Führungspositionen hineinwachsen.“
Auch wenn ich mich damit im Widerspruch zu vielen Frauen befinde: Ich glaube, dass diese Frauenquoten-Forderung nicht viel bringt – selbst wenn sie von Liz Mohn kommt. (lacht) Ich bewundere Liz Mohn wirklich sehr, aber ich halte mehr von guten Role-Models als von einer Quote. Man muss gar nicht in den Chefetagen damit beginnen, sondern schon junge Mädchen davon überzeugen, dass sie einfach alles schaffen können – wenn sie denn nur wollen. Aber auch Männer müssen wir bei der Hand nehmen. Viele von ihnen sind es nicht gewohnt, mit Frauen in Führungspositionen zu arbeiten. Sie müssen lernen, was sie davon haben, dass sie gemeinsam bessere Ergebnisse und Boni erzielen. Das halte ich für ganz wichtig.
Wie würden Sie einen Mann coachen?
Ich würde ihm raten, dass er einer Frau zuhören soll. Ich stelle immer wieder fest, dass Frauen und Männer eine andere Sprache sprechen. Männer hören weg ‚wenn’s nicht sofort um Zahlen, um lineares Denken geht. Aber lineares Denken wird nach und nach durch Computer ersetzt. Heute kommt es darauf an, dass man komplex, vielfältig, auf verschiedenen Ebenen, räumlich denken kann. Das können Frauen erwiesenermaßen besser.
Offenbar hat sich diese Erkenntnis aber selbst in Ihrem eigenen Haus noch nicht ganz durchgesetzt. Auch die Gastgeberin des DLD Women, Maria Furtwängler, hat leidenschaftlich für eine Quote und mehr Frauen in Führungspositionen plädiert – und öffentlich an den eigenen Mann, Hubert Burda, appelliert, Frauen in den Vorstand zu holen.
Der Appell ist auch angekommen. Ich arbeite gerade im Auftrag des Vorstandsvorsitzenden Dr. Paul-Bernhard Kallen an Vorschlägen, was man in unserem Haus tun kann, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – in meinen Augen die höchste Karrierehürde – zu verbessern. Das ist übrigens nicht nur eine Frage für junge Frauen. Es wird auch immer wichtiger, Pflege und Betreuung von alten Familienangehörigen mit dem Beruf zu vereinbaren. Das wird viel zu wenig thematisiert. Da muss man aber jetzt schon die Weichen stellen. Auch darüber wollen wir übrigens beim nächsten DLD Women sprechen.
Welche Vorschläge werden Sie dem Burda-Chef denn machen?
Wir beginnen zunächst mit dem Naheliegenden: Eine der konkreten Ideen, die wir gerade prüfen, ist die Einrichtung eines Betriebs-Horts in Kooperation mit anderen Unternehmen in der Nähe. Denn warum soll es nur Betriebs-Kindergärten geben, wie wir sie mit unserer „Burda-Bande“ ja bereits haben. Ich glaube, man muss ungewöhnliche Wege gehen und neue Beziehungen mit Nachbarunternehmen und privaten Nachbarn entwickeln.
… also Netzwerke knüpfen. Was macht denn in Ihren Augen erfolgreiches Netzwerken aus?
Mmmh. Ich bin kein Freund des Begriffs „Netzwerk“.
Warum?
Das ist so ein Modebegriff geworden. Und die meisten sind zu unspezifisch. Ich glaube, Netzwerke sollten themenbezogen sein, um wirklich effektiv sein zu können. Wenn es ein Problem gibt, muss man schauen, wer helfen kann, dieses Problem zu lösen. Dabei darf man sich nicht scheuen, auf Menschen, mit denen man noch nie gesprochen hat, zuzugehen. Dagegen ist mir ein bisschen unheimlich, wie sehr Karrierehilfe, also Coaching, mittlerweile zu einem ganzen Geschäftszweig geworden ist. Das hat so etwas von Kunstberatung. Das mag ich nicht (lacht). Wenn man Netzwerke so betrachtet, dann halte ich sie für völlig überbewertet.
Wie würden Sie denn nennen, was den Kongress DLD Women ausmacht?
Gemeinsame Muster zu finden, die Menschen miteinander verbinden. Das ist natürlich auch Netzwerken. Aber ein sinnvolles Netzwerk sollte immer ein konkretes Ziel haben. DLD verfolgt immer das Motto „Connect the Unexpected“. Die meisten Netzwerke verbinden immer Erwartbares und drehen sich so oft im Kreis. Wir wollen Frauen, Themen und Dinge, die noch nicht verbunden waren, vernetzen – und positive Role-Models vorstellen. Mein Anliegen ist es, starke Frauen zusammenzubringen, die etwas zu sagen haben, die es geschafft haben und auch mal gescheitert sind – aber aus ihren Misserfolgen gelernt haben und das weitergeben können. Ich finde, Frauen sollten endlich die Opferrolle ablegen.Viele Frauen verstecken sich hinter dieser Quotenforderung nach dem Motto „Ich schaff’s nicht, weil Männer mich nicht fördern“. Das ist eine destruktive Haltung. Es geht doch nicht darum, sich gegen Männer durchzusetzen, sondern darum, einen eigenen Weg zu finden – und denn dann auch zu gehen. Dieser Impuls von DLD Women hatte übrigens ein enormes Echo. Mich haben vie
le Mails und Zurufe erreicht von Menschen, deren Lebenseinstellung sich mit der Konferenz grundlegend geändert hat. Das freut mich natürlich. Und es bestätigt meine Haltung: Wer wirklich Frauen fördern will, muss das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter stärken, damit sie sich trauen, auch mal anzuecken. Das lässt sich nicht durch eine Quote erreichen.
Welche Chancen sehen Sie denn in den sozialen Medien als Netzwerke?
Da rate ich, besonders pragmatisch zu sein. Organisieren Sie das, was Ihnen nutzt, über soziale Netzwerke. Von so banalen Nachrichten wie „esse gerade eine Banane“ oder „gehe gleich in eine Bar“ halte ich gar nichts. Ich würde diese Netzwerke nutzen, um Botschaften oder Tipps zu verkaufen. Oder mich selbst zu vermarkten, wenn ich irgendwas Interessantes zu sagen habe. Da gibt es doch wunderbare Blogs – beispielsweise von Frauen, die über Mode schreiben, LesMads. Das finde ich toll.
Ein Thema beim DLD Women war auch „The Erotic Capital“…
… Ja, ist doch herrlich. Das ist ein extrem wichtiges Thema.
Finden Sie, dass Frauen ihr erotisches Kapital beruflich nicht genügend einsetzen?
Absolut …
… Nun passiert das ja gerade in der Medienbranche oft genug, aber nicht so, wie seriöse, klassische Journalistinnen es gerne sehen.
Ach was. Männer haben doch genauso „Erotic Capital“ und setzen es auch ein. Es kommt nur darauf an, was man darunter versteht: Catherine Hakim von der London School of Economics hat bei ihrem Vortrag über „Erotic Capital“ sehr klar gemacht, dass das weniger mit Schönheit zu tun hat als vielmehr mit Selbstvertrauen und dem Wohlgefühl in der eigenen Haut. Dazu zu ermutigen, finde ich wichtig. Frauen sollten nicht so prüde sein, sondern sich ihrer selbst und ihrer Stärken in jeder Hinsicht bewusst werden.
Was raten Sie denn jungen Journalistinnen: Wo sollten sie mit „Connecting the Unexpected“ anfangen?
Frech zu sein, eigene Ideen zu haben, sich zu trauen, etwas Neues zu machen. Viele junge Frauen, die ich kennenlerne, sagen Dinge, die ich schon hundertmal gehört habe. Die trauen oft ihrer eigenen Kreativität gar nicht mehr. Sie sollten in sich hören und sich fragen: „Was will ich eigentlich, warum bin ich Journalistin geworden, was treibt mich?“ Dieses „Was“ müssen sie sich als Allererstes kritisch beantworten und ihre Motivation gut formulieren können. Und klären: „Was ist mein Alleinstellungsmerkmal? Was kann ich, was macht mich besonders?“ Viele sind viel zu sehr angepasst.
Und wenn frau das geklärt hat, wie verschafft sie sich dann Gehör bei den Männern – die, wie Sie vorhin sagten – ja nicht zuhören können?
Direkt, ja, ganz direkt zu sein, nicht locker zu lassen. Hartnäckig zu sein. Nach der fünften Abfuhr geht’s ja erst los. Mut zu haben, sich zu trauen, überzeugt von sich selbst zu sein. Das ist ganz wichtig: Man muss vor allem an die eigene Idee glauben und über alle möglichen Minderwertigkeitskomplexe hinweg sagen können: „Das will ich machen. Und ich bin diejenige, die das durchsetzt.“
Das ist eine wunderbare Vision. Und wie wird sie Realität?
Ich bin ein großer Freund kleiner Schritte. Ich empfehle: „Versuch den Big Boss zu erreichen. Wenn du ihn nicht erreichst, versuche Mitstreiter zu gewinnen. Versuche, Leute, die dich gut finden, zu finden. Versuche, deinen Schreibtischnachbarn zu überzeugen. Nimm die nächste Person, die vor dir steht, als Testperson. Kleine Schritte. Üben, üben, üben.“ Viele haben eine große Vision, aber keine Ahnung, was es bedeutet, sie umzusetzen. Man muss für seine Idee brennen und daran glauben. Aber im Kleinen das Überzeugen zu üben, Schritt für Schritt, und den Mut zu haben, Fehler zu machen, das ist ganz wichtig. Dann erledigt sich auch die Frage, ob Frau oder Mann.
Erschienen in Ausgabe Journalistin 2010/20Journalistin 2010 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 12 bis 12 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.