Inside „Offshore Leaks“

Die Steueroasen-Enthüllungen sind eingeschlagen wie seinerzeit die Wikileaks-Botschaftsdepeschen: Als die Medienpartner des „International Consortium of Investigative Journalists“, kurz ICIJ (siehe Liste Seite 21), zum vereinbarten Zeitpunkt, am 4. April um 0.05 Uhr, mit der Veröffentlichung ihrer Offshore-Recherchen beginnen, verbreitet sich die Nachricht vom „größten Datenleck in der Geschichte“ (SZ), den „Offshore Leaks“, wie ein Lauffeuer. „Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass das Thema derart zündet“, sagt Julia Stein, die als Teamchefin Recherche des NDR-Fernsehens das Projekt beim NDR betreute: „Am 4. April klingelte morgens um 9.30 mein Telefon und stand für den Rest des Tages nicht mehr still.“ Auch das Internet ist voll mit „Offshore-Leaks“-Nachrichten, Agenturen, Fernseh- und Radiostationen weltweit berichten, sogar Finanzminister Schäuble und die Europäische Kommission sehen sich zu Stellungnahmen genötigt. Zitiert werden aber nicht der „Spiegel“, „El País“ oder die „New York Times“, sondern die „Süddeutsche Zeitung“, der Norddeutsche Rundfunk, die „Washington Post“, „Le Monde“, der „Guardian“, die BBC und hierzulande nahezu unbekannte Medien wie „Malaysia Kini“ (Malaysia), „Ta Nea“ (Griechenland) oder „Premium Times“ (Nigeria). Hinsichtlich des „Spiegel“ schießen sofort Spekulationen ins Kraut. Erst recht, als kurz darauf die beiden Chefredakteure von „Spiegel“ und „Spiegel Online“ (SpOn), Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron, abberufen werden. Bekam der „Spiegel“ die Story nicht angeboten? Wollte das Nachrichtenmagazin das Material exklusiv und hat deshalb den Zuschlag nicht erhalten? Hat Mascolo als eines von nur zwei deutschen ICIJ-Mitgliedern das Potenzial der Geschichte falsch eingeschätzt und vorschnell abgesagt?

Die Suche nach Partnern

Eine Nachfrage beim ICIJ in Washington ergibt, dass es zunächst eine allgemein gehaltene Anfrage an alle ICIJ-Mitglieder gab (s. a. Seite 21, 23 f.). Die Resonanz auf diese erste Anfrage aus den Ländern war verhalten. Deshalb wurde in einem zweiten Anlauf der ins Projekt involvierte Hamburger Datenjournalist Sebastian Mondial losgeschickt, um in Deutschland mögliche Medienpartner zu suchen. Wie verschiedene Projektbeteiligte berichten, soll Mondial mit der Festplatte unterm Arm verschiedene Redaktionen abgeklappert haben – darunter der „Spiegel“, die „Süddeutsche“ und die „Zeit“. SZ-Urgestein Hans Leyendecker habe als Erster Interesse bekundet und seiner Zeitung so nicht nur den Zuschlag, sondern auch die Projektleitung für Deutschland gesichert. Damit hatte er zu entscheiden, welche Medien an Bord genommen werden. Und Leyendecker entscheidet sich für den Norddeutschen Rundfunk. Der NDR, seinerzeit schon Kooperationspartner von Wikileaks, hat ebenfalls ein Recherche-erprobtes Team, zu dem über gemeinsame Freelancer und das Netzwerk Recherche (nr) überdies gute Beziehungen bestehen. Und er gehört als Radio- und TV-Sender nicht zur direkten Konkurrenz der „Süddeutschen“.

Als die „Süddeutsche“ Ende Oktober 2012 ins Projekt einsteigt, besteht das Investigativressort aus drei Festangestellten: Hans Leyendecker, Klaus Ott und Bastian Obermayer (35). Da mit dieser Besetzung die Recherche allein nicht zu stemmen ist, wird zunächst Frederik Obermaier (29) ins Projektteam geholt, der halb für die investigative Recherche, halb für die Außenpolitik arbeitet, und später auch noch Bastian Brinkmann (24), Planer und Print-Online-Koordinator für die Wirtschaftsberichterstattung im News-Team, sowie Christoph Giesen (29) vom Wirtschaftsressort. „Offshore Leaks“ avancierte somit gerade für die jungen Kollegen zur Bewährungsprobe und letztlich zum Prestigeprojekt. „Unser Ressort ist ja nicht so groß. Und Hans Leyendecker und Klaus Ott waren zu dieser Zeit stark aktuell eingebunden. Die beiden sind auch im Tagesbetrieb schwerer zu ersetzen“, sagt Bastian Obermayer. „Außerdem war klar, dass es bei dieser Datenrecherche viel um Computerkram gehen würde, dem wir ein wenig näher sind.“ Für die SZ-Rechercheure besteht die Herausforderung darin, die Struktur der Daten zu verstehen und mit der Forensik-Software NUIX umgehen zu lernen, ein Programm zur Suche in großvolumigen, unstrukturierten Daten wie den „Offshore Leaks“-Dateien.

Geschult werden die SZ-Journalisten genauso wie die NDR-Rechercheure – auch hier mit Mareike Fuchs (34) und Lena Gürtler (35) vielfach jüngere Kollegen – von Freelancer Sebastian Mondial, früher Datenredakteur und Trainer bei dpa bzw. Entwicklungsredakteur im newslab von dpa-infocom und mittlerweile als investigativer Datenjournalist und Trainer in Hamburg tätig.

Viel früher noch als alle anderen deutschen Kollegen, nämlich schon im Februar 2012, ist er beim ICIJ mit den geleakten Geheimdateien über die Offshore-Dienstleister in Steueroasen in Berührung gekommen. Sein Auftrag: sich mit dem Kernteam aus den USA gemeinsam zu überlegen, wie sich das Projekt weltweit bearbeiten und danach auch veröffentlichen lässt, und gemeinsam mit Duncan Campbell und Stefan Candea eine neue Version der ursprünglichen Festplatte für die Recherchen zu schaffen, die im August 2012 fertig ist. „NUIX war unser Hauptwerkzeug zur Recherche“, erklärt Mondial. „Ich habe aber noch einen Schlüsselbund weiterer Programme genutzt, um die Daten zu konvertieren und zu analysieren. Unter anderem kamen ein Archiv-Reparatur-Programm, ein forensisches Mail-Konvertierungs-Programm, ein Meta-Daten-Reiniger zum Einsatz. Teilweise haben wir auch kleinere Programme selbst geschrieben.“

Dass die 15-monatigen weltweiten Recherchen unentdeckt blieben, ist zunächst einmal der Verschwiegenheit der beteiligten Journalisten zu verdanken. „Aber es gab keine Geheimhaltungsklausel“, sagt Bastian Obermayer, „lediglich eine Vereinbarung mit dem ICIJ, dass wir die Daten nicht weitergeben oder vor dem gemeinsamen Erscheinungstag veröffentlichen“. Und auch diese Abmachung sei unproblematisch gewesen, „ohne Androhung einer Strafzahlung oder irgendwelcher Sanktionen“. Auch Sebastian Mondial hat Anteil daran, dass von dem Mammutprojekt nichts nach außen dringt, denn er hat nicht nur den sicheren Server für die weltweite Kommunikation eingerichtet und unterhalten, sondern auch den nationalen Recherche-Desk für SZ, NDR, „Le Matin Dimanche“ and „SonntagsZeitung“ aufgesetzt, über den z. B. gemeinsam an den Gunter-Sachs-Geschichten gearbeitet werden konnte.

Gemeinsamer Scoop

Normalerweise geht es bei investigativen Recherchen immer um den Scoop, darum, die Story vor allen anderen zu haben. Anders beim „Offshore Leaks“-Projekt. Hier sind Rechercheergebnisse und Manuskripte nicht nur zwischen deutschsprachigen Medien ausgetauscht worden, sondern sogar weltweit. Gemeinschaftlich wurde über Dokumenten gebrütet, Spuren nachgegangen und an Artikeln gearbeitet, was sich letztlich auch in gemeinsamen Autorenzeilen von z. B. „SonntagsZeitung“- und SZ-Autoren in der „Süddeutschen“ niedergeschlagen hat. Für den Austausch mit dem ICIJ wurde eine regelmäßige Telefonkonferenz mit den deutschen Partnern angesetzt (freitags, 14 Uhr), in der Rechercheergebnisse besprochen, Probleme diskutiert und mögliche Anknüpfungspunkte für Kollegen weltweit weitergegeben wurden, wie Frederik Obermaier erzählt: „Wenn ein Journalist aus Griechenland z. B. den Namen einer deutschen Bank in seinen Unterlagen gefunden hat, hat er uns informiert und nach unserer Einschätzung gefragt. Genauso haben wir es gehalten.“ Dieser multinationale Ansatz ist
es, der Bastian Obermayer in seinem Berufsleben bisher gefehlt hat und den er in Zukunft weiterverfolgen will: „Früher hätte ich bei einer Spur nach Nordbosnien z. B. sicher schneller aufgegeben. Jetzt weiß ich, wie gut grenzüberschreitende Zusammenarbeit funktionieren kann und welchen Mehrwert das bringt.“

Die Bedeutung erfolgreicher Teamarbeit hebt auch Julia Stein hervor. Gefragt, ob der Journalismus der Zukunft kooperativ, multinational und auf Daten basierend ist, antwortet sie: „Auch der Journalismus der Zukunft ist immer der Journalismus des guten, alten Handwerks. Es kommt auf sorgfältige Recherchen, gute Quellen und Präzision an! Es ist aber schwierig, selbst mit sehr guten Geschichten und Recherchen durchzudringen. Deshalb ist es hilfreich, mit Partnern zu kooperieren. Daten sind dabei eine Quelle von vielen, aber zunehmend eine sehr spannende, auch gut erschließbare Quelle. Und: Eine Recherche im Team bringt fast immer mehr als eine allein.“

Immer wieder rechtfertigen mussten sich die deutschen „Offshore Leaks“-Rechercheure für ihr striktes Bekenntnis zum Quellenschutz und gegen die Weitergabe der „Offshore Leaks“-Daten oder ihres Recherchematerials an die Steuerbehörden. Strafvereitelung war nur einer der Vorwürfe. „Wir sind nicht der verlängerte Arm der Strafvollzugsbehörden und wir geben grundsätzlich keine Rechercheergebnisse an Behörden weiter. Wenn wir bei unseren Recherchen auf einen Vorgang von öffentlichem Interesse stoßen, wird dieser den Weg in unser Blatt finden. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, über jeden noch so kleinen Verdacht auf Hinterziehung zu berichten“, sagt Bastian Obermayer und warnt vor zu hohen Erwartungen: „Es ist auch nicht so, dass die – ich sage jetzt eine Phantasiezahl, weil wir das nicht eingrenzen können und wollen – 300 deutschen Namen auch 300 verpasste Möglichkeiten für die deutschen Steuerbehörden sind. 300 Reiche, die irgendwo Millionen gebunkert haben.“ Und Frederik Obermaier ergänzt: „Es gibt vielleicht tatsächlich Gründe, eine Firma auf den Cook-inseln zu gründen. Und wer die den deutschen Behörden meldet, hat auch kein Problem.“ Vieles, was sich in den Daten finde, sei legal.

Die Schweiz prüft derzeit die von SZ, NDR, „Le Matin Dimanche“ und „SonntagsZeitung“ veröffentlichten Steuervorwürfe gegen den verstorbenen Industriellen-Erben Gunter Sachs, Luxemburg und Österreich wollen ihr Bankgeheimnis lockern, so dass auch der Druck auf die Schweiz steigt. Zu verdanken ist dies nicht Politikern, sondern den Enthüllungen in Sachen Steuerparadiese. „Wir waren mit unserer Recherche lange unzufrieden, weil uns die ganz großen Fälle gefehlt haben“, bilanziert Bastian Obermayer. „Dann haben wir erkannt, was die eigentliche Stärke des Materials ist. Nämlich dass man so detailliert wie noch nie zuvor aufschreiben kann, wie das Offshore-System, diese riesige Industrie, funktioniert.“ Zehn Tage (von 4. bis 10. April) hat die erste Veröffentlichungswelle in der „Süddeutschen“ gedauert. Und auch in Zukunft werden Offshore-Geschäfte im Blatt eine Rolle spielen – „nicht jeden Tag, nicht jede Woche, aber immer mal wieder“, betont Frederik Obermaier. „Wir rechnen damit, dass uns das mindestens noch ein Jahr begleitet.“

Katy Walther ist Redaktionsmitglied von „medium magazin“ und freie Journalistin.

redaktion@mediummagazin.de

Link:Tipps

Infos und Storys zu den „Offshore Leaks“:

www.icij.org/offshore

www.sueddeutsche.de/thema/offshoreleaks

www.ndr.de/home/offshoreleaks101.html

Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 18 bis 19 Autor/en: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.