„Durchstechereien, Dilettantismus, schrille Forderungen, wild rudernde Geschäftsführer, reiche Erben, Chaos zum Kopfschütteln. Von niemandem, nicht einmal von Richard Nixon, wurde die wirklich hohe Kunst der selbstbeschädigenden Intrige so perfekt ausgeübt wie von Redaktion und Verlag des ‚Spiegel‘.“ So stand es in einem Streiflicht der „Süddeutschen“, das von Kurt Kister stammen soll. Der „Spiegel“ selbst zitierte daraus im Rückspiegel am 15. April – eine Woche nach der Demission der Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias von Blumencron; als die einzige Verlautbarung im Blatt, die sich die Redaktion zum Desaster im eigenen Haus abrang. Wo blieben all die selbstbewußten „Spiegel“-Ressortfürsten (s. a. Seite 22) bei diesem Krisenmanagement zum Fremdschämen? Nur eine Pressemitteilung erklärte am 9. April: „Der Spiegel-Verlag hat die beiden Chefredakteure des Spiegel, Georg Mascolo (48) und Mathias Müller von Blumencron (52) wegen unterschiedlicher Auffassungen zur strategischen Ausrichtung mit sofortiger Wirkung abberufen und beurlaubt.“ Noch ein paar warme Worte von Geschäftsführer Ove Saffe über die Verdienste der beiden in den mehr als 20 Jahren ihrer „Spiegel“-Zugehörigkeit. Kurz darauf sind sie auch aus dem Impressum getilgt. Aus. Vorbei. Und jetzt?
Dem Nachfolger steht eine Herkulesarbeit bevor. Gleich drei dicke Brocken gilt es zu stemmen:
1. Die komplizierte, investitionsbremsende Eigentümergemengelage aus Mitarbeitern, Medienkonzern (G+J) und Augstein-Erben muss befriedet werden.
2. Der gedruckte „Spiegel“ leidet mittlerweile unübersehbar unter dem Image als konservierendes Männerblatt mit Hang zum Zynismus und Negativismus. Hier ist dringender Korrekturbedarf – sowohl was die Tonalität der Geschichten betrifft als auch das interne frauen- und modernisierungsfeindliche Konkurrenz-Denken.
3. Vor allem: Der Grabenkrieg um eine gewinnbringende Strategie, wie Print und Online besser verzahnt und vermarktet werden können, muss beendet werden.
Nur wie? Auf die Lösung dieser Schlüsselfrage ist die ganze Branche gespannt. Allerdings ist „Spiegel Online“ (SpOn) in einer ziemlich singulären Position als reichweitenstärkestes Nachrichtenportal. Übertroffen wird es nur durch „bild.de“, das trotz paywall-Offensive des Springer Verlages kostenfrei zugänglich ist – wie SpOn. Die Werbeerlöse dank enormer Reichweite spülen – anders als bei den meisten Onlineportalen – nennenswertes Geld in die Verlagskasse: „Spiegel Online“ trägt immerhin rund 10 Prozent zum Gesamterlös bei (von deren Gewinnausschüttungen übrigens nur die Print-Redakteure profitieren). Eine Paywall würde mit Sicherheit Reichweite und Werbeeinnahmen kosten – wie Mathias von Bumencron zu Recht stets argumentierte. Ob Abogebühren oder metered Modelle wie bei der „New York Times“ das wett machen könnten ist fraglich. Aber wer es nicht in irgendeiner Form ausprobiert, wird sich auf Dauer schwertun mit Gegenargumenten. Es braucht dringend eine gemeinsame Strategie, die das allzu brach liegende Potenzial des „Spiegel“ auf allen Kanälen ausspielt – auch auf den rasant wachsenden mobilen Plattformen.
Rüdiger Ditz, der Chefredakteur von „Spiegel Online“, meinte kürzlich in einer „medium magazin“-Umfrage zu integrierten Print-Online-Konzepten: „Grundsätzlich gilt: Ohne ein ausgereiftes Nachrichtenmanagement über verschiedene Kanäle hinweg und mithin redaktionelle Kooperation wird man als Medienmarke nicht bestehen können. In Abhängigkeit vom Erscheinungsrhythmus und redaktioneller Ausrichtung der Printausgabe muss allerdings jedes Medium seinen effizienten Weg finden.“ (s. a. Linktipp). Dieser Weg wird bei aller Individualität an einer Zusammenarbeit von Print und Online nicht mehr vorbeiführen. Mal geträumt, die beiden gingen in Hamburg Hand in Hand in der Umsetzung kluger Konzepte: Was wäre das für ein Potenzial für wegweisenden multimedialen Journalismus! Solche Leuchtfeuer braucht die Branche, weil sie Maßstäbe bilden können. Man möchte nach Hamburg rufen: Verdammt noch mal: Reißt Euch endlich zusammen! Leistet Euch wieder Pioniergeist. Zum Ausruhen auf früheren Lorbeeren bleibt keine Zeit.
Annette Milz ist Chefredakteurin von „medium magazin“.
Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.