Herr Nöll, eine kurze Ist-Analyse: Ist Deutschland ein Start-up-freundliches Land?
Florian Nöll: Nein, aber es hat die Chance, eines zu werden – zumindest in bestimmten Regionen wie Berlin und München. Vor 100 Jahren war Berlin eine Gründerstadt, nach dem zweiten Weltkrieg ebenso. Danach haben wir leider verlernt, Unternehmerland zu sein. Von den zehn reichsten Deutschen sind acht Erben – das sieht in den USA ganz anders aus. Wir sind gut im Verwalten geworden, aber nicht darin, neue Dinge zu kreieren und disruptiv zu sein.
Aber zumindest Berlin ist doch heute schon eine Start-up-Stadt?
Die Berliner Start-up-Szene ist ein zartes Pflänzchen, aber noch lange nicht über den Berg. Wir sind auf einem guten Weg; nun gilt es, die richtigen Weichen zu stellen. Eine falsche Weiche ist zum Beispiel die aktuelle Insolvenzordnung: Sie ist für Gründer wie Stabhochsprung ohne Matratze. Auch die deutsche Willkommens-Kultur ist noch verbesserungswürdig. Wenn man in Deutschland gründen will und die Sprache nicht gut spricht, hat man es schwer. Es gibt in Berlin keine englischsprachige Verwaltung oder Anlaufstelle für internationale Gründer und Fachkräfte.
Welche Bedeutung haben Start-ups überhaupt für unsere Gesellschaft?
Start-ups schaffen die Jobs, die in zehn und 20 Jahren die Beschäftigung in Deutschland sichern. Die Jobs dieses Jahrhunderts entstehen in der digitalen Gesellschaft. Dementsprechend fragen wir uns und damit die Politik, was wir tun müssen, damit Deutschland in diesem Bereich nicht nur Mittelständler hervorbringt, sondern auch international mitspielen kann?
Und was macht Ihr Verband in den Bereichen PR und Netzwerkarbeit?
Wir werden zum Beispiel im Mai eine German Valley Week ausrichten, die parallel zu Philipp Röslers Besuch im Silicon Valley stattfindet. 20 deutsche Gründer werden dabei sein und dort auf sich aufmerksam machen. Außerdem erstellen wir aktuell den Start-up-Monitor, der die erste bundesweite, umfassende Studie zu deutschen Start-ups ist: Wie viele gibt es, wie viel Umsatz machen sie?
Im Bereich Netzwerk wollen wir branchenübergreifend für mehr Transparenz sorgen und beispielsweise die New Economy mit der Old Economy zusammenbringen.
Wie verändert die Start-up-Kultur die Medienbranche?
Start-ups haben die Medienlandschaft gehörig in Schwung gebracht und durcheinandergewirbelt – man betrachte nur einmal die Art, wie wir heute miteinander kommunizieren oder auch die Diskussion um das Leistungsschutzrecht. Letzteres ist ein Beispiel dafür, wie in Deutschland regelmäßig versucht wird, heutige Jobs zu sichern – auf Kosten der Jobs, die in Zukunft entstehen müssen. Aber es ist ein Trugschluss, dass man eine solche Entwicklung verhindern könnte. Im Zweifel kommt das böse Erwachen später oder betroffene Start-ups werden im Ausland gegründet.
Das klingt sehr negativ. Gibt es auch Erfolgsgeschichten von Medien, die sich rechtzeitig mit der digitalen Gesellschaft und der Start-up-Kultur auseinandergesetzt haben?
Ja, die gibt es. Axel Springer ist sehr aktiv und schon jetzt ein digitaler Konzern, dessen Umsätze im letzten Jahr zu 37 Prozent aus dem Online-Geschäft entsprungen sind. Während bislang das meiste über Zukäufe und Beteiligungen und weniger aus dem Unternehmen selbst heraus entstanden ist, setzt man ab sofort mit dem Axel Springer Plug and Play Accelerator viel früher an. Das kann auch für andere Medien ein gutes Konzept sein.
Was kann die Medienbranche von Start-ups lernen?
Die Medienbranche hat in den letzten Jahren sicher schon viel gelernt, denken wir an digitale Geschäftsmodelle und Online-Vermarktung. Aktuell wünschen wir uns eher, dass die deutschen Medien mehr über Start-ups lernen und in Zukunft besser zwischen Managern und Unternehmern unterscheiden. In Deutschland werden beide gerne in einen Sack gesteckt und pauschal darauf eingeprügelt. Unternehmer haben in Deutschland zu Unrecht ein schlechtes Ansehen in der Gesellschaft. Sogar in Schulbüchern werden sie noch als Großgrundbesitzer mit Zigarre im Mund dargestellt. An der Veränderung dieses Bildes können die Medien aktiv mitwirken.
Was wir uns darüber hinaus von der Start-up-Kultur im Silicon Valley abschauen können, ist eine Kultur der zweiten Chance: In Deutschland gibt es die Tendenz des Nachtretens, viele ergötzen sich am Misserfolg anderer. In den USA und Großbritannien hingegen gehört Scheitern zum Ausbildungsprozess dazu. Gründer, die behaupten nie gescheitert zu sein, sind für Investoren verdächtig und tatsächlich haben die wenigsten der prominenten Gründer im ersten Anlauf ihre Erfolgsgeschichte geschrieben.
INFO
Florian Nöll, selbst mehrfacher Gründer (u. a. Workalog, spendino), ist im Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Start-ups e.V. (BDS) für den Bereich Gründungspolitik tätig. Der BDS hat sich drei wesentliche Ziele gesetzt: 1. die politische Interessenvertretung für Start-ups, 2. PR für die gesamte Branche, 3. Bildung starker Netzwerke. Der Schwerpunkt liegt auf der politischen Arbeit, für die ein Zehn-Punkte-Plan erarbeitet wurde, für verschiedenste Themen – von der Vermittlung von Gründungsmotivation an Schulen über die Kultur der zweiten Chance bis zur Frage der Finanzierung.
www.bds.de
Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Special“ auf Seite 59 bis 59. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.