Mit einem solchen Ansturm hatte nicht einmal Bill Buzenberg gerechnet. Dabei weiß der seit 2007 amtierende geschäftsführende Direktor des Center for Public Integrity (CPI) doch aus eigener Erfahrung, dass investigativer Journalismus auf großes Interesse stößt. Unter der Ägide Buzenbergs publizierte das CPI spektakuläre Berichte über derart unterschiedliche Themen wie die amerikanische Wahlkampffinanzierung und die Leerfischung der Weltmeere. Dies geschah jeweils ohne fremde Hilfe, wie Buzenberg sagt.
Doch bei den Enthüllungen über die Steuertricks reicher Weltenbürger – die „Offshore-Leaks“ – handle es sich um eine weit größere Kiste. „Es ist das umfassendste Projekt, das wir je angepackt haben. Uns war klar, dass wir uns gut vorbereiten mussten.“ Deshalb engagierte das CPI diesmal die Washingtoner PR-Firma Scott Circle Communications, die Interviewanfragen koordinierte. „Wir wurden schier begraben unter einer Flut von Journalistenwünschen“, sagt Buzenberg über die Tage nach den ersten weltweiten Veröffentlichungen.
Dem Center for Public Integrity kommt der Rummel indes äußerst gelegen. Offen gibt Buzenberg zu, dass das CPI die Medienaufmerksamkeit dazu nutzt, Geld von Gönnern zu sammeln. Unter bestehenden Geldgebern – Individuen und Stiftungen, aber keine Unternehmen oder Verbände – sei seit den ersten Berichten über die „Offshore-Leaks“ bereits ein Zuwachs der Spenden zu verzeichnen, sagt er. Dieses Geld kann der Platzhirsch unter den Recherchebüros Amerikas gut gebrauchen. Gemäß den letzten publik gemachten Zahlen aus dem Jahr 2011 befindet sich der Etat der Organisation nämlich in Schieflage. Einnahmen von 5,3 Millionen Dollar standen damals Ausgaben von über zehn Millionen Dollar gegenüber. Der CPI-Geschäftsführer will noch nicht verraten, wie die Bilanz 2012 konkret aussieht, deutet aber an, dass er den Rotstift ansetzen musste: Die jährlichen Ausgaben hätten sich nun bei sieben oder acht Millionen Dollar eingependelt.
Mitglied auf Einladung
Rund zwei Millionen Dollar kommen dabei dem „International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) zugute, der internationalen Abteilung des Center for Public Integrity. Buzenberg legt Wert auf die Feststellung, dass es sich beim ICIJ um einen integralen Teil seiner Organisation handle. „Ich habe Gerard Ryle angestellt, als dieser im September 2011 in Washington zum ICIJ-Chef bestellt wurde“, sagt er. „Und Ryle muss vom CPI-Direktorium grünes Licht erhalten, bevor er Projekte anpackt.“ Dennoch genießt das weltweit tätige Konsortium eine gewisse Narrenfreiheit. Dies hat in erster Linie mit seiner Struktur zu tun. Im Gegensatz zum CPI handelt es sich beim 1997 gegründeten ICIJ um eine globale Mitgliederorganisation: 160 Reporter in mehr als 60 Ländern gehören dem Konsortium an, darunter zwei Deutsche – Hans Leyendecker („Süddeutsche Zeitung“) und Georg Mascolo (ehemals „Der Spiegel“) – und zwei Schweizer: der freie Journalist Frank Garbely und Serena Tinari vom Fernsehen der italienischen Schweiz RSI. „In Washington befindet sich bloß das Herzstück“, sagt Buzenberg, „mit fünf oder sechs Angestellten.“ Nötigenfalls könne das Konsortium auf die rund 35 Mitarbeiter des CPI zurückgreifen.
Mitglied wird man „auf unsere Einladung hin“, erklärt wiederum die Vize-Chefin des ICIJ, Marina Walker Guevara. Die gebürtige Agentinierin, eine preisgekrönte Journalistin, arbeitet seit sieben Jahren am ICIJ. „Interessiert sind wir vor allem an jungen Journalisten, die sich in einem beruflichen Umfeld befinden, das grenzüberschreitende Kooperationen erlaubt. Was nutzt uns ein leitender Redakteur, der einst als Investigativjournalist brillierte, nun aber keine Zeit mehr hat für umfassende Recherchen?“
Die Partner für konkrete Projekte müssten allerdings nicht zwangsläufig ICIJ-Mitglieder sein, das zeige auch das deutsche Beispiel: „Das ICIJ-Mitglied Hans Leyendecker von der, Süddeutschen Zeitung‘ holte den NDR mit ins Boot. Mit solchen Partnerschaften sind wir einverstanden, solange sich alle Beteiligten an unsere Grundsätze halten. Andererseits gibt es ICIJ-Mitglieder, mit denen wir noch nie zusammengearbeitet haben.“ Dazu zählt sie übrigens auch Georg Mascolo vom „Spiegel“: „Er hat nie mit uns zusammengearbeitet. Wir nie mit ihm. Das geht in Ordnung. Wir haben mit vielen unserer Mitglieder noch nie zusammengearbeitet.“
Wie aber kam das ICIJ überhaupt an die Daten – ein Paket im Umfang von 260 Gigabyte? Über die genaue Herkunft dieses hochbrisanten Pakets geben weder das CPI noch das ICIJ Auskunft. Bekannt ist nur, dass es Gerard Ryle in einem Umschlag zugespielt wurde, als er sich in seiner Heimat als Aufdecker eines Finanzskandals einen Namen machte. Das Daten-Paket sei mit ein Grund dafür gewesen, wieso er kurz darauf im September 2011 beim ICIJ angeheuert habe. Schließlich gebe es weltweit nur wenige Organisationen, die derart große Datenmengen auswerten könnten, sagt seine Stellvertreterin. Der Aufbewahrungsort des Original-Datensatzes ist geheim. „Dazu sagen wir nichts“, so Marina Walker Guevara. Und auch wenn Behörden weltweit die Preisgabe der Daten fordern, weil sie strafrechtliche Ermittlungen wegen angeblicher Steuerhinterziehung einleiten wollen, komme eine Weitergabe des ausgewerteten Materials nicht in Frage, sagt Buzenberg in einem bestimmten Ton. Die Mitarbeiter seiner Organisation seien keine Hilfssheriffs.
Kritik an unethischen Methoden
Diese dezidierte Haltung wird dem Center for Public Integrity einmal mehr heftige Kritik bescheren. Buzenberg hat sich an solche Reaktionen gewöhnt. „Wir verfolgen Recherche-Projekte, die von Linken geliebt werden, und solche, die bei den Linken auf scharfen Widerstand stoßen.“ Gleiches lasse sich über die Reaktion konservativer Amerikaner sagen, behauptet der geschäftsführende Direktor. Der Realität entspreche aber, „dass unsere Organisation unparteiisch ist und kein politisches Programm verfolgt“, sagt er.
Marina Walker Guevara ergänzt mit Blick auf die „Offshore-Leaks“: „Wir haben von Beginn weg gesagt, dass sich dieses Projekt nicht zwingend um die Aufdeckung von Straftaten dreht. Vielmehr ermöglichen unsere Recherchen den Einblick in eine geheime Welt. Wir wollen aufzeigen, wie dieses Schattenreich funktioniert.“ Nicht alle Kritiker lassen sich aber mit solchen Aussagen besänftigen. Gerne verweisen sie darauf, dass der im konservativen Teil Amerikas verhasste Multi-Milliardär George Soros zu den treuen Geldgebern des CPI gehört. Auch beklagen sich Kritiker über angeblich unethische Arbeitsmethoden des ICIJ.
Tatsächlich sorgten im Herbst 2010 Nachforschungen des Recherchenetzes über den illegalen Handel mit Thunfisch intern für Aufruhr. Der damalige CPI-Chefredakteur John Solomon warf dem damaligen ICIJ-Direktor vor, sich unberechtigten Zugang in eine Datenbank einer zwischenstaatlichen Organisation verschafft zu haben. Zwei interne Untersuchungen ergaben in der Folge, dass die Hacker-Attacke wohl nicht gegen US-Gesetze verstoßen habe – es kam nie zu einer Anklage –, aber ethisch zumindest fragwürdig gewesen sei. Gerard Ryles Vorgänger warf deshalb Anfang 2011 den Bettel hin. Aber auch Chefredakteur Solomon hielt sich nicht lange: Er trat im Frühjahr 2011 zurück und hinterließ einen Scherbenhaufen. Der ehrgeizige Plan Solomons, die Internetplattform des CPI zu einer täglichen Anlaufstation von Enthüllungsgeschichten zu machen, wurde nach seinem Abgang still und heimlich begraben. Seither konzentriert sich das Recherche-Schlachtross wieder auf seine alte Stärke. Buzenberg sagt: „Wir füllen eine Lücke, die durch die Transformation im Mediensektor entstanden ist.“
Renzo Ruf ist Korrespondent deutschspr
achiger Zeitungen in Washington.
ruf@weltreporter.net
Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 22 bis 22 Autor/en: Renzo Ruf. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.