Immer mal wieder müssen wir Zeitungs-, Online- und Fernsehleute uns fragen, welche Bilder wir zeigen dürfen. Insbesondere im Zusammenhang mit Opfern von Unfällen und Straftaten wie Amokläufen taucht die Frage auf. Das Gesetz ebenso wie der Pressekodex regelt das relativ eindeutig. Sie, werte Leser, sind Profis, Sie kennen die Regeln, ich will Sie nicht langweilen.
Spannend wird es, wenn ein Medium sich mit seinen Veröffentlichungen an der Außenkante des Rahmens, den das Erlaubte bildet, bewegt. Die „Bild“-Zeitung ist eine Meisterin dieser Gratwanderung. Eindrucksvoll hat sie ihre Kunstfertigkeit bewiesen, als sie im März letzten Jahres auf der Titelseite die Fotos der 28 in der Schweiz mit einem Reisebus tödlich verunglückten Kinder zeigte. Die Fotos waren, entgegen erster Vermutungen, auf legalem Wege beschafft worden. So gesehen war die Abbildung rechtens. Dennoch war die Empörung in Deutschland groß, aber auch in der Schweiz und Belgien, wo die Kinder ebenfalls gezeigt wurden.
Rechtlich nicht in Ordnung war die Abbildung im Falle des Kindes von Jan Kralitschka, aktuell „Bachelor“ bei RTL, dessen Foto mit Name im Springer-Blatt gezeigt wurde. Die Fotografie stamme aus dem Katalog einer Hotelkette, so die Argumentation der „Bild“. Allerdings tauchte sie dort ohne Namen, also ohne Enthüllung der Person auf, führte das Gericht an, womit dem Verlag die Veröffentlichung untersagt wurde.
Zurück zu den Opfern des Busunfalls und der Frage, die ich als Ihre Moralberaterin heute behandeln möchte: Warum meinen wir, immer alles zeigen zu müssen? Warum muss jeder Winkel des Elends und der Trauer ausgeleuchtet werden? Was haben wir davon, wenn wir den toten Kindern, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Gesicht geben? Außer dem wohlig-voyeuristischen Grusel beim Anschauen? Fahren wir dann vorsichtiger?
Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass ich mitunter sehr strenge Maßstäbe anlege, und so wird es Sie eventuell auch nicht überraschen, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich ein schlechtes Gefühl hatte, als ich im Zusammenhang mit dem Attentat von Newtown ein Foto des Vaters des Täters im deutschen Fernsehen sah. Da flimmerte der Vater des jungen Mannes, der gerade 26 Menschen erschossen hatte, bildschirmfüllend. Und ich habe mich gefragt: Warum? Was soll das? Was bringt es, einen Menschen zu zeigen, der mit diesem Sohn, der noch dazu selbst gestorben ist, schon gestraft genug ist? Auf dass ihn alle erkennen. Auf dass alle wissen: Das ist der Vater des Mörders, eines der schlimmsten Verbrecher der Jetztzeit. Was soll es, dass der Mann nirgends mehr hingehen kann, ohne geächtet zu werden? Dass er nirgends mehr wohnen kann, einkaufen, arbeiten?
Ich verstehe das nicht. Ich weiß nicht, was es soll. Es macht die Welt nicht besser. Es ist einfach nur die reflexhafte Gier von uns Medienleuten, alles, was erwischbar ist, zu zeigen. Irgendein Sender hatte die Möglichkeit, die Rechte an dem Bild zu kaufen? Geil!
Es ist der Vater von dem Jungen? Geil! Der hat nur indirekt mit der Tat zu tun? Egal!
Ja, vielleicht ist das ein Maßstab, den wir öfter anlegen sollen: Die Frage, ob unser Handeln die Welt besser macht. Kinder zeigen, die zu Tode gekommen sind, Prominentennachwuchs, der bislang unerkannt leben konnte, Angehörige von Tätern, die in vielen Fällen nichts oder nur bedingt etwas für die Taten können.
Mein Problem ist, dass dieses Denken so furchtbar altmodisch ist. Vor allem die Zyniker unter Ihnen, verehrte Leser, werden jetzt den Eindruck völliger Naivität haben oder denken, dass die Alte ’ne Schraube locker hat und sich mal nicht so anstellen soll. Zumal das ja unser Geschäft sei.
Und dennoch möchte ich Sie zu dieser Haltung animieren. Weil es die Welt besser macht. Weil es uns besser macht. Abgesehen davon, dass wir genau mit dieser Art von „Geschäft“ oft genug die eigene Glaubwürdigkeit beschädigen. Die „Hamburger Morgenpost“ zum Beispiel. Ein Boulevardblatt, das sich anders als die „Bild“ deutlich strenger an die Maßgaben des Presserechts, aber auch an die des Pressekodexes hält und sensibler mit persönlichen Daten wie Namen umgeht. Auch sie lässt nichts aus, dass sich nach Drama und Schicksal anhört. Allerdings, vor allem, wenn Kinder zu sehen sind, verpixelt sie die Gesichter. Das führt häufig zu der Situation, dass sie Bilder zeigt, auf denen vielleicht Textilien und ein Sofa zu erkennen sind, aber keine Personen. Völlig absurd. Sie bildet das Foto auf der Beweisebene ab, macht aber die Menschen unkenntlich, so dass irgendetwas übrig bleibt, nur eben keine Abbildung der Person, um die es geht. Das Einzige, was übrig bleibt, ist die unterschwellige Nachricht: Wir sind toll. Denn wir haben das Foto zur Story. Leider dürfen wir das nicht zeigen. Aber haben tun wir es. Das ist ähnlich eindrucksvoll, wie ein Schwachmat, dessen Kampfhund einen Maulkorb trägt. Es ist einfach nur albern.
Dass Bilder die Glaubwürdigkeit demontieren können, illustriert der „Stern“, der sich zuletzt als Kämpfer für den guten Umgang mit Frauen zu positionieren versuchte: Zwei Wochen nach den beiden Sexismus-Covern ist der Aufmacher bei stern.de für die Rubrik „Sport“ ein Foto barbusiger Frauen. Worum es geht? Um Sportlerinnen, die sich für den „Playboy“ ausgezogen haben.
Silke Burmester schreibt an dieser Stelle als Kolumnistin.
Die freie Journalistin und Dozentin hat zuletzt ein Pamphlet gegen die Medienhysterie veröffentlicht: „Beruhigt Euch!“ (Kiwi 2012)
E-Mail: siburmester@aol.com
Erschienen in Ausgabe 04/202013 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 89 bis 89. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.