Keine Sentimentalitäten

Amerikaner sind für ihren Optimismus bekannt. Ihren Zeitungsverlegern fällt jedoch immer schwerer, diesen zu bewahren. Inflationsbereinigt ist ihr Anzeigenumsatz auf den Stand von 1950 gesunken, hat Mark Perry, Professor für Ökonomie an der Universität von Michigan, berechnet.

Seit 2000 fällt der Print-Anzeigenumsatz unaufhörlich. Damals, kurz vor dem Ende der Dot.com-Blase, die auch Zeitungen einen Anzeigenboom bescherte, erreichte er den Rekordwert von 48,6 Milliarden Dollar. Dann unterminierten Internet-Größen wie Google, Yahoo, Microsoft, Facebook, Craigslist und eine Armada von Online-Jobseiten das Geschäft mit gedruckter Werbung. Im vergangenen Jahr setzten US-Zeitungen nur noch knapp 20 Milliarden Dollar mit Print-Werbung um. Zum Vergleich: Google erzielte 2012 rund 50 Milliarden Dollar Umsatz. Noch hat der Schwenk auf mehr digitale Angebote die Erosion nicht gestoppt. Ganz im Gegenteil: Jedem digital verdienten Dollar standen laut einer Umfrage des US-Think-Tanks Pew Research Center Ende 2012 Verluste von 16 Dollar im Print-Anzeigengeschäft gegenüber.

Dabei hat das Gerangel ums lokale Anzeigengeschäft erst begonnen. Angeführt von Silicon-Valley-Größen wie Google und Facebook, die ihren Kunden verstärkt Angebote lokaler Händler direkt aufs Handy potenzieller Käufer spielen wollen, angepasst an deren aktuellen Standort.

Safeway, eine der größten Supermarktketten der USA, bietet beispielsweise Coupons via Smartphone an. Noch läuft der neue Verbreitungsweg parallel zu den Beilegern in den Tageszeitungen. Doch Ziel ist, möglichst viel von ihnen zu digitalisieren. Was nichts Gutes für den Umsatz der Tageszeitungen verheißt.

Wo andere verzweifeln, sieht Warren Buffett eine große Chance. Der drittreichste Mann der Welt kauft seit Ende 2011 gezielt US-Zeitungen auf. 28 Tageszeitungen hat er seitdem für die Mediensparte seines Berkshire-Hathaway-Konzerns erworben, vornehmlich Regionalzeitungen ohne Wettbewerber. Und diese zum Schnäppchenpreis: 344 Millionen Dollar hat die Einkaufstour gekostet, also etwa zwölf Millionen Dollar pro Tageszeitung.

Der Mischkonzern Berkshire, der im vergangenen Jahr 162 Milliarden Dollar umsetzte, hat schon immer in Tageszeitungen investiert, wie beispielsweise die „Buffalo News“ und die „Washington Post“. Rund sechzig Zeitungen gehören ihm mittlerweile. Doch Buffetts Interesse, das seine Einkaufstour auslöste, wurde durch die Akquise seiner Heimatzeitung „The Omaha World Herald Company“ neu angefacht, die der Investor 2011 übernahm.

Zeitungen mit Zukunft

„Ich glaube, dass Zeitungen in gedruckter Form in den meisten Städten und Gemeinden, wo sie heute präsent sind, auch in zehn oder zwanzig Jahren noch existieren werden“, verriet er der „New York Times“.

Buffett ist überzeugt, dass sich die Zeitungen der Herausforderung durchs Internet stellen werden. „Lokale Zeitungen, die vertrauenswürdige Informationen liefern und in ihren Kommunen verankert sind sowie eine überlegte Internet-Strategie haben, werden überleben“, präzisierte der Multimilliardär in seinem alljährlichen Schreiben an seine Aktionäre.

Und er will weiter zukaufen. Im Blick hat er unter anderem den finanziell angeschlagenen Zeitungskonzern Tribune, zu dem unter anderem die „Los Angeles Times“ und die „Chicago Tribune“ gehören. Der Konzern will sich von seinen Zeitungen trennen und sich aufs lokale Fernsehgeschäft fokussieren. Tribune gehören 23 TV-Stationen in den USA.

Hat Buffetts Vorliebe für gedruckte Zeitungen etwas mit seinem Alter zu tun? Schließlich ist er schon 82 Jahre. Doch ist Buffett nicht für Sentimentalitäten bekannt. Außerdem haben nicht nur Senioren, wie neben Buffett auch der 81-jährige Medienmogul Rupert Murdoch, ihre lebenslange Liebe für Zeitungen bewahrt.

Der 39-jährige Ex-Unternehmensberater und Internet-Unternehmer Aaron Kushner erwarb im Juni 2012 das kalifornische Medienunternehmen Freedom Communications, dessen Flaggschiff das „Orange County Register“ ist. Seitdem hat er 75 zusätzliche Journalisten angeheuert, was den Newsroom auf 300 erweitert. Mit ihnen hat er die Berichterstattung ausgebaut und die Zahl der gedruckten Seiten erhöht. „Sowohl Auflage als auch Anzeigenumsatz sind gestiegen“, sagt Kushner.

Buffetts Lieblingsbeispiel für einen erfolgreichen Verleger in schwierigen Zeiten ist Walter Hussman (66). Der Chef der „Arkansas Democrat Gazette“ hat „die Auflage in der vergangenen Dekade weit besser bewahrt als jede andere größere Zeitung in den USA“, lobt Buffett. Hussman machte die Internet-Inhalte seiner Zeitung bereits 2001 kostenpflichtig. Nicht, um zusätzliche Umsätze zu generieren, sondern um die Printauflage nicht zu gefährden. Dafür erntete er viel Kritik und wurde als Dinosaurier seiner Branche bezeichnet. Doch der Plan ist bislang aufgegangen.

Studie über Erfolgsstrategien

Welche anderen Strategien erfolgversprechend sind, hat jüngst der Think-Tank Pew Internet Research in der Studie „Newspapers Turning Ideas into Dollars“ untersucht. Sie ist lesenswert. Vor allem weil sie nicht über theoretische Szenarien fabuliert. Sondern ganz gezielt US-Lokalzeitungen unter die Lupe nimmt, die Auflagen- und Anzeigenschwund stoppen oder Verluste durch neue Geschäftssegmente kompensieren konnten.

So wie der „Santa Rosa Press Democrat“. Die nordkalifornische Tageszeitung, Auflage 53.000, richtete eine eigene Digitalagentur ein, die ihren Werbekunden nicht nur hilft, Print- und Digitalanzeigen besser aufeinander abzustimmen. Sondern ihnen sogar dabei hilft, ihren Suchmaschinenrang bei Google oder Bing zu verbessern. Im ersten Jahr des Bestehens trug die Agentur bereits 25 Prozent des Digitalumsatzes der Zeitung bei und wächst weiter rasant.

Oder die „Naples Daily News“. Die Tageszeitung aus Florida, Auflage 45.000, organisierte ihren Anzeigenvertrieb um. Verluste, so stellte eine Analyse fest, waren nicht allein der Online-Konkurrenz geschuldet, sondern der Tatsache, dass sich etliche Werbekunden nicht richtig adressiert fühlten. Anzeigenverkäufer haben jetzt größere Freiheit, Sonderverträge auszuhandeln.

Am wirtschaftlich erfolgreichsten agierte die „Deseret News“ aus Salt Lake City. Die Tageszeitung, Auflage 92.000, startete inmitten der Printkrise sogar eine zusätzliche wöchentliche Ausgabe. Das Ruder führte der ehemalige Harvard-Ökonomieprofessor Clark Gilbert (siehe auch „medium magazin“ 07+08/2012). In einer Rosskur entließ er 43 Prozent der Belegschaft und spaltete die Zeitung in eine Print- und eine Digitalsparte, die separat geführt werden. In beiden Segmenten erweiterte er vor allem den Meinungsteil. Die Erfahrungen der „Deseret News“ eignen sich jedoch nur bedingt, da die Zeitung der Mormonen-Kirche gehört und auf glaubensstarke Leserschaft setzt. Gilbert sieht die gedruckte Zeitung als überlebensfähig, aber die Zukunft in den digitalen Erlösen.

In der Musikbranche zumindest vollzieht sich die Trendwende gerade. Sie konnte dank gewachsener Digitalumsätze 2012 den ersten Umsatzzuwachs seit 1999 verbuchen. Es waren zwar 0,3 Prozent mehr, die den weltweiten Umsatz auf 16,5 Milliarden Dollar brachten. Der betrug Mitte der neunziger Jahre allerdings fast 30 Milliarden Dollar. Aber die Print-Anzeigenumsätze der US-Zeitungen sind seit 2000 noch dramatischer gefallen. Vielleicht ist die Talsohle bald erreicht und Investoren wie Buffett haben zum richtigen Zeitpunkt gekauft.

Doch neben Buffett und Kushner gibt es auch skeptische Finanzinvestoren. Beispielsweise der Wagniskapital-Pionier David Morgenthaler, Gründer des Risikokapitalunternehmens Morgenthaler Ventures. Er sehe die Zukunft in der digitalen Information, in gedruckte Zeitungen würde er nicht investieren, erklärte der 93-jährige einer Gruppe von Chefredakteuren, die ihn auf der &#x201
C;Chefrunde-Studytour USA 2013“ im Silicon Valley zum Gedankenaustausch trafen (s. S. 52 ff.).

Doch Morgenthalers Investitionsstrategie unterscheidet sich beträchtlich von Buffetts. Wagniskapitalgeber stecken ihre Gelder gewöhnlich in eine Reihe von Jungunternehmen. Mit der Erwartung, dass nur einige von ihnen überleben und die Verluste bei den anderen mehr als wettmachen. Buffett hingegen kauft gestandene Unternehmen auf, die er für unterbewertet hält, und setzt lieber auf kleinere, aber dafür beständige Renditen. Das plötzliche Interesse an Tageszeitungen ist nicht nur mit deren Schäppchenpreisen zu erklären. Professionelle Investoren haben wegen der von den Notenbanken geförderten Geldschwemme erhebliche Schwierigkeiten, die ihnen anvertrauten Gelder zu investieren. Buffett hat jedenfalls Tageszeitungen wegen deren beständigem Cash Flow als sinnvolle Anlage eingestuft.

Doch Risikokapital ist – zumindest in der Summe – auch keine erfolgreiche Anlageform. Für jedes Apple oder Google gibt es Tausende von Rohrkrepierern. Wegen enttäuschender Renditen hat beispielsweise die kalifornische Pensionskasse Calpers ihr Engagement in Risikokapital vermindert. Ob Morgenthaler richtig liegt oder aber Buffett, muss sich noch erweisen, wie so vieles in der Zeitungsbranche.

Matthias Hohensee

ist US-Korrespondent der „Wirtschaftswoche“ im Silicon Valley.

matthias.hohensee@wiwo.de

Link:Tipp

Die Studie des Think-Tanks Pew Internet Research „Newspapers Turning Ideas into Dollars“: http://bit.ly/14VZ0iX

Ein Interview mit Clark Gilbert, dem Verleger der „Deseret News“: „medium magazin“ 07+08/2012, http://bit.ly/13KEAdO

Titelseiten der amerikanischen (und anderer internationaler) Zeitungen sind tagesaktuell dokumentiert unter: www.newseum.org

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Special Medienlabore USA“ auf Seite 58 bis 59 Autor/en: Matthias Hohensee. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.