„Ich weiss, wo ich hinwill“

Jörg Quoos liebt keine Posen, aber er weiß um die Kraft von Bildern. Als die Fotografin mit ihm Motive für die Titelfotos bespricht, schlägt er die Planungswand für den nächsten „Focus“ vor. Die Blätter an der Wand sind an jenem Morgen noch leer. Ein symbolträchtiges Motiv. Denn Jörg Quoos hat viel vor: Acht Jahre war er bei „Bild“ der zweite Mann hinter Chefredakteur Kai Diekmann. Seit Januar ist er in München selbst an vorderster Front, als Chefredakteur von Burdas „Focus“, der kurz nach Antritt von Quoos 20 Jahre alt wurde. Die Verkaufskurve der Hefte unter seiner Verantwortung seit Nr. 2/2013 gleicht einer Achterbahnfahrt (s. a. Seite 22). Vor ihm liegt ein gutes Stück Arbeit.

„Denk-Ding“ nennt Quoos den Raum für die Redaktionskonferenz. Das Eckzimmer ist kaum größer als sein eigenes Büro. Ein paar breite Stühle stehen herum, an der Fensterfront ein Zweisitzer. Ein wenig abgewohnt wirkt alles. Von der Decke hängt ein Schlauchgewirr in Neon-Orange. Kunst. Soll wohl Kreativität entfachen.

Herr Quoos, eine Ihrer ersten Veränderungen war, Videokonferenzen einzuführen, an denen die Redakteure des Hauptstadtbüros teilhaben können. Wo sonst haben Sie in Redaktionsabläufe eingegriffen?

Jörg Quoos: Ich bin nicht hierhergekommen und habe erst einmal angefangen, Organigramme umzuschreiben. Stattdessen habe ich mich in die bewährten Strukturen begeben und schaue mir den Workflow jetzt genau an. Und wenn mir was nicht gefällt, dann wird es geändert. Das mit der Videokonferenz war mir tatsächlich wichtig. Nur so entsteht Dialog. Je mehr die Kollegen mitkriegen, desto weniger kann am Ende über schlechte Kommunikation gemäkelt werden.

Viele Kollegen passen in diesen Konferenzraum nicht.

Ja, das stört mich auch. Die Kommunikation ist dann nur so gut, wie die der Ressortleiter in ihren Teams. Das macht der eine besser, der andere schlechter. Einmal in der Woche gehen wir deshalb jetzt in einen großen Konferenzraum ein Stockwerk über uns bei der assoziierten Anwaltskanzlei von Robert Schweizer. Da passen 40, 50 Leute rein und dort findet dann auch die Blattkritik statt.

Den Konferenzraum aus den legendären „Focus“-Werbespots mit Helmut Markwort gibt es nicht mehr?

Nein, eigentlich schade. Die Redaktion sollte an den Gedanken des Chefredakteurs und an dem, was wir zurzeit im kleinen Kreis besprechen, teilhaben. Niemand soll das Gefühl haben, mit einer Themenidee nicht durchzukommen. Deshalb frage ich am Ende jeder Konferenz auch immer: Fehlt noch was? Ich fordere aktiv ein, ob noch jemand ein Thema hat.

Im Gespräch agiert Jörg Quoos freundlich, aber zurückhaltend. An keiner Stelle des Gesprächs wird er laut oder überschwänglich. Angesprochen auf die deutlich hörbare, mit der Autorin gemeinsame kurpfälzische Herkunft huscht ein Lächeln übers Gesicht. Ansonsten setzt Quoos seine Mimik sparsam ein. Die Fotografin bittet ihn, ein bisschen mehr zu gestikulieren. Er vergisst es gleich wieder.

Was ist sonst neu im Redaktionsalltag?

Die Woche startet jetzt mit einem schriftlichen Themenangebot. Vorher wurde das mündlich vorgetragen. Ich habe das nicht geändert, weil ich ein Fan von Bürokratie bin, sondern weil ich selbst bei „Bild“ jahrelang das Politikangebot geschrieben habe. Jeden Morgen zwei Seiten. Deshalb weiß ich: Sobald du gezwungen bist, ein Thema aufzuschreiben, in drei, vier Sätzen anzureißen und dir vielleicht sogar noch eine Arbeits-Überschrift abzunötigen, merkst du, ob das wirklich ein gutes Thema ist, welchen Dreh es hat, ob es überhaupt funktioniert oder nicht doch Quatsch ist. Was ich außerdem einführen will, sind Fotokonferenzen für alle Ressortleiter. Und digitale Fototische.

Sie wollen die Bildsprache verändern?

Das haben wir schon. Es gibt weniger inaktuelle Themenfotos. Rein optisch war zum Beispiel die bewegende Geschichte über die Scharfschützin von Aleppo etwas Neues. Und Ulrike Demmer aus unserem Hauptstadtbüro hat Peer Steinbrück nach Griechenland begleitet und tolle Fotos mit ihrem iPhone gemacht.

„Betriebsrat“ hat mancher im Verlag Helmut Markwort genannt. Stets hat er sich schützend vor die Redaktion gestellt. „Focus“ ist sein Baby. Womöglich hätte er es loslassen sollen, bevor es zu schlingern begann. Bei der Nachfolgeregelung hat es gewaltig geruckelt. Am Ende musste Markworts ewiger Stellvertreter Uli Baur wieder ans Ruder. Schuld war Wolfram Weimer, den Verleger Hubert Burda 2010 persönlich als Markworts Nachfolger ausgesucht hatte. Öffentlich schwadronierte Weimer über „Focus“, er habe „das Dornröschen wachgeküsst“. Einfacher kann man es sich als Chef mit seiner Mannschaft nicht verscherzen. Am Ende stellte sich Weimer als Fehlgriff heraus, was ihn nicht daran hinderte, zur Quoos’-Berufung zu sagen, „Focus“ brauche „weniger einen Kurswechsel als einen Kurs“. Wie anders geht dagegen Quoos die Sache an. Für ihn, so sagen sie in der Redaktion, sei Journalismus Handwerk, kein Blendwerk.

Welchen Fehler wollten Sie als neu angetretener Chef unter allen Umständen vermeiden?

Ich will von meinen Leuten nichts verlangen, was ich nicht selbst tun würde. Und ich habe darauf geachtet, nicht über „Focus“ zu reden, bevor ich hier angefangen habe. Ich glaube, die Redaktion hat das wertgeschätzt. Als ich kam, fühlte ich mich von ihr gut aufgenommen.

Wie sind Sie die neue Aufgabe angegangen?

Ich hatte mich zuvor schon mit Uli Baur getroffen …

…, der nach Weimer die Chefredaktion allein übernahm und nun, da Sie da sind, neben Markwort Herausgeber ist.

Wir sind unterschiedliche Typen, aber durch seine offene, geradlinige Art hatten wir schnell einen Draht zueinander. Wir haben dann über die Redaktion und das Heft gesprochen und natürlich habe ich in den fünf Monaten, die ich nach meinem letzten Arbeitstag bei „Bild“ und meinem Antritt hier hatte, viele Gespräche geführt. Vor allem aber hatte ich Zeit nachzudenken.

Welchen Plan haben Sie geschmiedet?

Ich weiß, wo ich hinwill. Mein Ansatz ist, „Focus“ im Kern als das zu belassen, was es ist: ein Nachrichtenmagazin mit echtem Nutzwert.

Das Blatt von vornherein doof zu finden …

… das würde nicht funktionieren. Außerdem bin ich Abonnent der ersten Stunde und weiß, was „Focus“ kann. Mein Wunsch ist es, „Focus“ in seiner Ur-DNA weiterzuentwickeln.

Was ist die DNA?

Eine klare Erzählweise, starke erklärende Optik, die bürgerlich geprägte politische Haltung und hoher Nutzwert.

Und im nächsten Schritt haben Sie gleich einmal getestet, was die Redaktion kann, und haben zur Niedersachsen-Wahl eine Sonderausgabe produziert.

Noch dazu in einer selten dramatischen Wahlnacht, in der ich um 23.47 Uhr erst wusste, ob das Ding rauskann. Erst dann, eine gute Stunde vor dem Abgabetermin, hatten wir ein belastbares Wahlergebnis.

In solchen Stresssituationen lernen sich Chef und Redaktion kennen.

Ja – und ich habe festgestellt: Diese Redaktion ist sportlich, sie ist professionell aufgestellt, sie kann planen, die Texte kamen rechtzeitig, und das Beste: Wir waren sogar zehn Minuten vor Abgabeschluss fertig. Das habe ich noch nie erlebt.

Und danach?

Danach standen wir hier alle noch in meinem Büro, wir hatten ein Buffet, es gab Wein. Und um halb drei Uhr waren hier immer noch Leute mit einem Glas Wein und unterhielten sich. Das fand ich gut. Und ich war stolz, dass es funktioniert hat und wir die Einzigen waren, die diese so wichtige Wahl zum Anlass nahmen, ein Special zu machen.

Von da an waren die Redaktion und der neue Chef ein Team?

Das war schon mal ein guter Moment. Ich habe gemerkt, dass die Kollegen höllisch loslegen können, und die haben bei mir gemerkt, dass ich auch loslegen kann und wir dabei einen Plan haben. Mir w
ar schon klar, dass alle darauf gucken, ob das klappt, was der Quoos da treibt. Da musste ich mich bewähren vor der Truppe. Wäre ich gescheitert und hätte das Special mangels eines belastbaren Wahlergebnisses nachts zurückgezogen, hätte ich alt ausgesehen. Insofern war ich happy, dass es geklappt hat, als ich am frühen Morgen nach Hause fuhr. Es war ein Risiko dabei, aber es hat Spaß gemacht.

Mit dem „Spiegel“ verglichen zu werden, macht Quoos keinen Spaß. Beide nennen sich Nachrichtenmagazin, sind aber so unterschiedlich wie Hamburg und München. Umso erstaunlicher war, dass ausgerechnet die erste unter Quoos entstandene „Focus“-Ausgabe dasselbe Titelthema hatte wie der zeitgleich erschienene „Spiegel“: Peer Steinbrück. Ein politischer „Focus“-Titel – das war in den vergangenen Jahren die Ausnahme von der Regel. Den Stapel der bisher von ihm verantworteten Ausgaben auf dem Tisch, erzählt Quoos, welche der bisherigen Geschichten er als vorbildlich gelungen ansieht. Er nennt die Mali-Geschichte in Heft Nr. 04/2013, weil sie aus einem Guss gewesen sei, alle Ressorts beteiligt waren, binnen 48 Stunden eine Reporterin vor Ort war, eine Umfrage, eine aufwendige Grafik und eine Analyse das Ganze rund gemacht hätten. Quoos will deutlichere Schwerpunkte setzen und im Zweifel lieber etwas anderes weglassen.

Wie muss eine gute „Focus“-Geschichte sein?

Entweder muss sie nachrichtlich exklusiv sein oder analytisch-tiefschürfend, oder sie muss Emotionen auslösen. So wie die Geschichte über Sophie Scholl, in der steht, wie die Mutter ihr vor der Hinrichtung noch einmal selbst gebackene Kekse ins Gefängnis geschmuggelt hat. Geschichten, die Emotionen auslösen, haben im „Focus“ gelegentlich gefehlt.

Sie wollen weg vom Häppchenjournalismus, hin zu längeren Lesestrecken. Fehlt es dazu „Focus“ nicht an guten Schreibern, an Autoren, die auch einen längeren Spannungsbogen beherrschen?

Abgesehen von Helmut Markwort gibt es wenige Autoren, die man mit dem „Focus“ verbindet. Daran arbeite ich. Schreiberische Talente müssen nicht zwingend von außen kommen. Es gibt sie auch hier, sie sind nur möglicherweise noch nicht so zum Zug gekommen. Deshalb führe ich derzeit viele Gespräche. Und habe schon den einen oder anderen ausgeguckt. Genauso muss ich schauen, wer aus zehn Infotexten ein Gesamtkunstwerk zimmern kann. Der eine bringt tolle Fakten, der Nächste kann sie gut zusammenschreiben, der Dritte ist meinungsstark. Die große Kunst ist, und in dieser Phase befinde ich mich gerade, herauszufinden, wer was am besten kann.

„Die besten Geschichten bekommt man, wenn man rausgeht“, sagt Quoos und nennt als Beispiel das Foto, das Rainer Brüderle neben der „Stern“-Korrespondentin Laura Himmelreich zeigt. Ein „Zufallstreffer“, sagt Quoos. „Focus“ veröffentlichte es auf einer Doppelseite, „Bild“ brachte es auf dem Titel, weitere Medien druckten es auch. Ähnlich kostbar aus Quoos’ Sicht: eine kleine Randspalte aus dem Wahl-Special. „Focus“ nutzte Steinbrücks Spruch, dass Wein unter fünf Euro gar nicht gehe, und recherchierte an den Tresen der Parteien am Wahlabend. „Focus“ bildete die Etiketten der einzelnen Weine ab und schrieb dazu Jahrgang und Preis. Ergebnis: Die CDU servierte mit einem Pfälzer Rotwein für acht Euro den teuersten. Ob er detailverliebt sei? Quoos antwortet: „Ja, das bin ich.“

Der vor Ihrer Zeit entstandene aktuelle Werbeslogan lautet „Das Entscheidende im Focus“. Finden Sie den gut?

Daran kann man wirklich nichts aussetzen.

Wenn dann der Papst zurücktritt und in derselben Woche alle über den Pferdefleischskandal reden, macht „Focus“ mit „Albtraum Fehldiagnose“ auf.“

Als an jenem Montag der Papst seinen Rücktritt ankündigte, habe ich ein Riesenrad gedreht. Im Kopf bin ich ja immer noch zur Hälfte Tageszeitung. Das erkennen Sie an dem Drucker hinter meinem Schreibtisch, den ich mir eigens installieren ließ, um sofort die Eilmeldungen zu bekommen. Aber dann habe ich gemerkt: Alles, was ich zum Papst-Rücktritt anleiere, geht mir von einem Tag auf den nächsten verloren. Da bin ich noch im Lernprozess. Nach einer Woche bleibt für so ein Wochenmagazin echt wenig übrig. Und dann ist ein Thema auch durch. Insofern war unser Zugang mit dem Papst-Biografen Peter Seewald gut und wir haben das Thema auf dem Cover zumindest angerissen.

Aber war das Entscheidende jener Woche das Thema Fehldiagnose?

Es war ein Thema, das mich schon länger bewegt hat. „Focus“ muss den Mut haben, eigene Themen zu setzen. So war das auch mit dem Titel zur Frauenquote.

Auf dem Sie, in Erinnerung an die „Stern“-Ikone „Wir haben abgetrieben“, Frauen abgebildet haben mit der Aussage: „Wir wollen keine Frauenquote.“

Die starre EU-Quote, und darum ging es, findet in meinem privaten Umfeld keine Frau gut. Man sollte mir diesen Titel jedoch nicht so auslegen, als sei ich gegen Frauen in Führungspositionen.

Nein?

Nein. Ich war schon bei meinem alten Arbeitgeber sehr engagiert dabei, Frauen in Führungspositionen zu bringen. Bei „Focus“ habe ich eine stellvertretende Chefredakteurin, das kann nicht jede Redaktion von sich behaupten. Und Ulrike Demmer habe ich vom „Spiegel“ geholt und zur stellvertretenden Leiterin des Berlin-Büros gemacht. Ich finde, gute Frauen müssen vorankommen, und es gibt viele gute Frauen im Journalismus. Die sind nach meiner Wahrnehmung sowieso auf dem Vormarsch.

Trotzdem sprachen Sie sich mit der Ausgabe gegen die Quote aus.

Und ich war stolz auf diesen „Focus“-Titel – allerdings umso enttäuschter, dass der Leser ihn offenbar nicht so gut fand.

Die Ausgabe war mit nur 68.000 im Einzelverkauf abgesetzten Heften die zweitschwächste in der Geschichte des Magazins.

Das nehme ich zur Kenntnis und lerne daraus. Ich denke allerdings auch, dass der Leser in seinem Kaufverhalten unberechenbarer geworden ist.

Woran merken Sie das?

Daran, dass er statistisch gesehen nur drei Ausgaben pro Jahr am Kiosk kauft. Generell ist der Leser heute am Kiosk sehr wählerisch und macht die Kaufentscheidung stärker von der eigenen Betroffenheit abhängig.

Drei Ausgaben im Jahr – das ist verdammt wenig. Ihr größtes Problem ist also die fehlende Bindung des Lesers zu „Focus“?

Diese Bindung will ich in der Tat erhöhen, ja.

Wodurch?

Indem ich den Leser, der zum Kiosk marschiert, überrasche. Vielleicht auch mal mit einem Thema, das er auf dem „Focus“-Cover nicht erwartet hat.

Sie wollen im Gegenzug auch „Focus“ unberechenbarer machen?

Ich will, dass Sie, wenn Sie den „Focus“ gelesen haben, sagen: Nicht nur die Themen auf dem Titel waren gut, es gab da noch mehr Interessantes und Überraschendes.

So weit ist es nicht.

Das sehe ich anders.

Glauben Sie, dass die „Focus“-Auflage wachsen kann?

Wenn ich nicht daran glauben würde, säße ich nicht hier.

Als Flachwurzler neben dem „Spiegel“ wird es „Focus“ immer schwerer haben?

Flachwurzler? So ein Quatsch!

Etwas Vergleichbares wie die „Spiegel“-Affäre hatte „Focus“ nie. Schon deshalb hat er auch nicht diese Bedeutung einer tief in der Bundesrepublik verwurzelten Institution.

Wenn Sie das so sehen, dann sage ich: Ich werde wie meine Vorgänger alles daran setzen, die Wurzeln tiefer zu treiben.

Ich werde Sie an das Versprechen erinnern.

Fragen Sie den Leiter unseres Debattenressorts. Der leidet unter mir, weil ich am liebsten hätte, dass der Papst für uns schreibt. Total irre, das gebe ich zu, aber ich habe den Anspruch, erst einmal nach den Sternen zu greifen. Wenn da
s Maximum nicht klappt, kann ich mich immer noch nach unten orientieren. Und siehe da, erst schreibt Frederick Forsyth einen glänzenden EU-Beitrag zur Cameron-Entscheidung und dann liefert auch noch John Irving dem „Focus“ einen Text über das Ringen – das ist doch was.

1993 war „Focus“ das erste komplett am Computer erstellte Magazin. Vieles war neu. Mittlerweile hat sich manches überholt. Dazu, glaubt Quoos, gehören einzelne Heftelemente, der „Tendenz-o-meter“ etwa. Und manches könnte übersichtlicher sein: die Heftnavigation zum Beispiel. An einem entsprechenden Konzept arbeitet Quoos derzeit. Oberste Priorität hat jedoch, dafür Sorge zu tragen, dass „Focus“ mehr wahrgenommen wird. Dafür kämpft die zuletzt unter Uli Baur und dem im April 2012 angetretenen Leiter Daniel Goffart von sieben auf 30 Köpfe vergrößerte Hauptstadt-Redaktion. Dabei hilft aber auch die richtige „Verkaufe“ der Geschichten. Quoos kommt vom Boulevard, damit kennt er sich aus. Vor allem in der ersten Ausgabe mit dem lädierten Steinbrück auf dem Titel fiel das auf: „Griechenlands teure Cousinen-Wirtschaft“, „Keime aus dem Wasserhahn“, „Israels Cyber-Krieger“, „Der 911-Killer von Porsche“ lauteten einige der Überschriften. Die Titelgeschichte hat er mit Ausrissen aus anderen Blättern illustriert. Ein paar Hefte später unterlegte er besonders aussagekräftige Textstellen mit gelber Signalfarbe.

Sie hantieren mit Stilmitteln, die man sonst nur von „Bild“ kennt.

Gelegentlich, da, wo es passt. Warum soll, was bei „Bild“ funktioniert, nicht auch im „Focus“ möglich sein? Vielleicht waren ein paar Überschriften ein bisschen zu laut. Ich lerne auch, dass es Magazinüberschriften gibt, die eine eigene, ruhigere Tonalität brauchen und nicht gleich die ganze Geschichte erzählen.

Wobei „Focus“ wahrscheinlich froh wäre, überhaupt wahrgenommen zu werden.

„Focus“ wird durchaus wahrgenommen. Aber nach oben ist immer Luft.

Uli Jörges ist der Außenminister des „Stern“ und häufig Gast von Talkshows, am Abend der Niedersachsen-Wahl trat „Spiegel“-Chef Georg Mascolo mal wieder als Kommentator im Fernsehen auf. „Focus“ sieht man nirgends.

Als mein Kollege Mascolo vom „Spiegel“ im Fernsehen war, habe ich mit meinen Kollegen am Wahlspecial für die aktualisierte Ausgabe gearbeitet. Und was die Talkshows angeht: Man kann sich als Medium auch inflationieren.

Sie scheinen nicht der Typ zu sein, den es in die Öffentlichkeit drängt.

Stimmt schon. Ich muss nicht vor jede Kamera. Trotzdem gehe ich viel raus, sei es zu Lesern, großen Anzeigenkunden oder Agenturen, sei es zu Terminen, die für das Haus wichtig sind und auf denen ich wichtige Leute treffe – in Davos etwa. Aber diese Auftritte dürfen niemals meinen Job als Chefredakteur zu sehr in den Hintergrund drängen. Hier in der Redaktion das Blatt zu machen: Darauf kommt es an, das ist es, was mir Spaß macht. Davon abgesehen gibt es bei „Focus“ auch andere, die das Zeug haben, das Magazin zu repräsentieren, seien es Daniel Goffart oder Ulrike Demmer, die früher beim „Morgenmagazin“ gearbeitet hat …

Und neuerdings als „Focus“-Journalistin beim Berliner Sender Radio Eins kommentiert.

Ja, und ich finde gut, wenn der „Focus“ auf diese Weise draußen präsenter wird. Was meinen Sie wohl, warum ich jetzt hier mit Ihnen zusammensitze?

Ulrike Simon

ist freie Medienjournalistin in Berlin.

ulrikesimon@gmx.net

Link:Tipp

1993–2013: 20 Jahre „Focus“ – oder wie die Macher selbst das Magazin aus München sehen:

http:// www.focus-entscheider.de/media/downloads/focus-dossier-20jahre.pdf

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 22 bis 23 Autor/en: Interview: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.