Unser prominentes Foto-Opfer Nr. 28 (u. a. nach Andreas Tyrock, Philipp Köster und Arnd Brummer) ist Klaus Liedtke (68). Der gelernte Industriekaufmann war bis 2009 Chefredakteur von „National Geographic“ – er ist derjenige, der 1999 die deutsche Ausgabe des legendären Magazins für Gruner+Jahr auf die Beine stellte und dann zehn Jahre lang leitete.
Die Liste der Positionen, die er davor hatte, ist so imposant wie lang: Liedtke kam 1968 zum „Stern“, landete schnell im Auslandsressort, das er ab 1977 auch leitete, und wurde 1986 Chefredakteur des Nachrichtenmagazins. Vier Jahre später begann, was zu „National Geographic“ führte: Er schob für G+J neue Magazine und Verlagsideen an, als Chefredakteur der „Neuen Berliner Illustrierten“ oder später beim „Lufthansa Magazin“. Aber angefangen hat alles mit einem Volontariat bei der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund – die Ausbildung zum Industriekaufmann hatte er nur seinen Eltern zuliebe gemacht. Er sagt, er wusste von Anfang an, dass er in diesem Beruf nicht arbeiten würde.
Liedtkes Fotokommentar:
„Das Bild zeigt meinen ersten Presseausweis, ich war 24 und der jüngste Redakteur beim ‚Stern‘. Am Anfang kam ich mir vor wie in einer fremden Welt, auf einmal fuhr ich zur Recherche nicht mehr mit der Straßenbahn, sondern stieg ins Flugzeug.
Ich kam direkt von der ‚Westfälischen Rundschau‘, dort hatte ich nach meinem Volontariat eine Redakteursstelle bekommen und war für Gewerkschaften zuständig. Aber ich merkte schon im ersten Jahr: Es reicht mir, das ist mir viel zu eng, ich will raus in die Welt. Und da war ich so kühn, einfach Henri Nannen beim ‚Stern‘ anzurufen. Natürlich nicht von der Redaktionsstube aus – ich bin extra zur Hauptpost in Dortmund gegangen, um zu telefonieren. Und, klar, ich hatte nicht Henri Nannen in der Leitung.
Aber dafür Wolf Schneider, er war damals CvD beim ‚Stern‘. Der sagte nur: Junger Mann, schicken Sie mir doch erst mal ein paar Ihrer Texte. Das machte ich dann auch – und Schneider meldete sich tatsächlich zurück: Finde ich interessant, sagte er, kommen Sie doch mal nach Hamburg.
Ich also nach Hamburg, wir sprachen miteinander, dann sagte er auf einmal: So, ich stelle Ihnen jetzt Henri Nannen vor. Ich bekam weiche Knie und dachte nur: Oh, das geht jetzt aber schnell. Das Ganze war dann eine Sache von 30 Minuten – Nannen stellte mir ein paar Fragen, dann sagte er: Sie sind engagiert, Sie bekommen 2.000 Euro im Monat. Das war das Doppelte von meinem damaligen Gehalt!
Ein Vierteljahr später fing ich tatsächlich beim ‚Stern‘ an. Ich war stolz wie Oskar – und meine Kollegen in Dortmund waren natürlich perplex.
Aber das zeigt doch, dass man es manchmal einfach nur versuchen muss. Das habe ich mir immer bewahrt, einfach gemacht, sich was zugetraut. Man hat ja nichts zu verlieren!
Beim ‚Stern‘ habe ich dann sehr schnell viel gelernt. Das war großes Theater, wir fühlten uns damals als Speerspitze des aufklärerischen Journalismus in Deutschland. Alles stand einem offen, nur die eigene Angst setzte einem Grenzen. Finanzielle Beschränkungen gab es nicht, es zählte allein das Talent.
Mein erster großer Text erschien 1969: eine deutsche Geschichte dieser Zeit – über einen ehemaligen KZ-Kommandanten, der in seinem Heimatdorf untergetaucht war, bis ihn Simon Wiesenthal aufspürte. Das Dorf stellte sich geschlossen hinter den Mann, undenkbar, sagten sie, lasst ihn in Ruhe. Und ich fuhr hin und porträtierte das Dorf.
Das war mein Durchbruch. Mit dem Text bekam ich ein Stipendium des ‚World Press Institutes‘ und lebte ein Jahr in den USA – und als ich zurückkam, bot mir Nannen bald an, als Korrespondent in die USA zu gehen. Auslandsreporter, das wollte ich schon immer werden. Man kann sagen, meine Zeit beim ‚Stern‘ passte zu dem jungen, dynamischen Mann, der ich damals war – und später entsprach meine Berufsauffassung viel mehr der bedächtigeren, abwägenderen ‚National Geographic‘.“
Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 8 bis 8. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.