Er soll klug und loyal, witzig und geistreich sein. Er soll Geschichten erzählen, komplizierte Sachverhalte in einfachen Worten erläutern und der mediokren Meute unter die Nase reiben, was sich die Kanzlerin, der Minister oder der Vorstandsvorsitzende wieder einmal gedacht hat. Und vor allem soll er den Kugelfang spielen – die Pfeile, die dem Chef gelten, auf sich ziehen: der Sprecher. Ein Tausendsassa eben.
Chefs exekutieren gerne …
Selbst wenn er diese Anforderungen perfekt ausfüllt, ist er nicht davor gefeit, ein schnelles und oftmals auch gnadenloses Ende zu finden. Nicht nur, weil sein Einfluss auf die Berichterstattung in Zeiten des unkontrollierten Informationsüberflusses durch das Internet schwindet. Gefährlicher für Sprecher ist vielmehr, dass ihre Chefs oftmals eine eigene, bisweilen auch eine falsche Vorstellung von Öffentlichkeitsarbeit haben. Und nicht zuletzt sind Chefs immer ungeduldig. Sie exekutieren gerne. Nähe ist da kein Schutzzaun.
Olaf Glaeseker, der Sprecher des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff, kann ein Lied davon singen. Obwohl er seinem Herrn die Gedanken von den Lippen ablas, setzte Wulff ihn vor die Tür. Glaeseker wurde wegen der Sponsorensuche zum „Nord-Süd-Dialog“, einer für seinen Meister tunlichst erwünschten Präsentationsplattform, zur Belastung.
CSU-Sprecher Hans Michael Strepp ereilte das gleiche Schicksal. Seine Intervention beim ZDF, eine Berichterstattung über den Landesparteitag der SPD in Bayern gefälligst zu unterlassen, kostete ihn das Amt. Für CSU-Chef Horst Seehofer mutierte er plötzlich zur existenziellen Gefahr. Strepp sitzt ja wieder fest im Sattel, so gefährlich kann er Seehofer also nicht geworden sein.
Und auch Ministeriumssprecher Michael Offer, der „in Treue fest“ zu Wolfgang Schäuble stand, ertrug die Demütigungen des zuweilen cholerischen Finanzministers so lange, bis selbst Journalisten fragten, warum er sich das antue. Das reichte ihm dann endgültig. Christian Steegmans, der für die Kanzlerin sprach und das weiter tun wollte, durfte plötzlich auch nicht mehr, obwohl die Chefin an ihm gar nichts zu bekritteln hatte. Steegmans Parteivorsitzender Philipp Rösler gefiel halt die Art seiner gefälligen Inszenierung der Kanzlerin nicht.
Auch wenn diese Fälle kaum vergleichbar sind und sich Glaeseker wie Strepp unverzeihlich trottelig verhielten, so zeigen sie doch eines wie durchs Brennglas: Die Halbwertszeit von Sprechern kann auch dann kurz sein, wenn zwischen Herr und Knecht kein Blatt Papier passt. Die Kanzlerin schätzte Steegmans. Wulff bezeichnete Glaeseker als „einen Freund“, beide seien wie „siamesische Zwillinge“. Strepp wiederum war Seehofer persönlich zugetan und hatte das vollste Vertrauen seines Chefs. Und auch Offer half seine ganze Treue nichts.
… und gute Sprecher widersprechen
Steffen Seibert ist der 24. Regierungssprecher, Angela Merkel erst der achte Regierungschef seit Bestehen der Republik. Im Schnitt verbrauchte also jeder Amtsinhaber drei Sprecher. Die wenigsten mussten wegen mangelnder Qualifikation oder Illoyalität ihren Posten verlassen. In der Regel hatten sie ein enges Vertrauensverhältnis zu ihrem Chef, konnten seine Gehirnakrobatik entschlüsseln und dann Worte wählen, die er nicht besser hätte finden können. Im Idealfall waren sie das Alter Ego ihres Vorturners.
Doch das alles hilft dem Sprecher nicht. Wenn die Wölfe näher kommen, wird er eben vom Schlitten gestoßen, damit das Rudel von den anderen ablässt.
Nähe hin, Nähe her: Der Sprecher muss vor allem widersprechen, wenn ihm wieder mal vorgesagt wird, wie er den Journalisten die Feder führen soll. Er braucht seinen eigenen Kopf, der ihn zum Spiritus Rector der öffentlichen Wahrnehmung des Herrn macht. Er sollte die roten Linien blind kennen, die er niemals überschreiten darf und die sein Chef nicht kennen muss. Und wenn es Spitz auf Knopf kommt, muss er seinen Job zur Verfügung stellen. Den meisten Häuptlingen dämmert erst dann, dass ihnen der Widerspruch des Sprechers den eigenen Ruf rettet. Und gute Sprecher wissen auch, wie man widerspricht. Jedenfalls nicht vor Publikum.
Ob Regierungs- oder Unternehmenssprecher: Erfolgreich sind sie zweifellos nur dann, wenn die Wellenlänge zwischen Diener und dem, dem zu dienen ist stimmt und uneingeschränktes gegenseitiges Vertrauen herrscht. Man muss aber nicht unbedingt „Freund“ oder ein Teil von „siamesischen Zwillingen“ sein. Kritische Distanz ist in diesem Job eine Überlebensformel.
Denn es bleibt eine Binsenweisheit: Der Chef will seine Macht sichern, er denkt an sich selbst zuerst. Erst recht, wenn die Wölfe näher kommen.
Anton Hunger (64) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.
Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.
Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 76 bis 76 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.