Freie: Wir sind viele und wir werden immer mehr. Unsere Auftraggeber verwerten unseren „Content“ in immer neuen Formen, doch unser Durchschnittseinkommen liegt unter 2.000 Euro. Ohne uns geht nichts, aber wir haben es noch nicht gemerkt. Wohin also führt die Reise der Freelancer? Sechs Thesen:
1 Frei ist das neue Fest
„Man wird versuchen, Sie abzuwerben.“ So sagte man uns, als ich Anfang 2000 auf die Journalistenschule kam. Zwei Jahre später wurde nirgendwo mehr abgeworben, dafür aber viel freigesetzt.
„Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der typische Journalist kein Angestellter mehr ist, sondern Freiberufler.“ Diesen klugen Satz las ich, als ich 2009 mein erstes Seminar für Freie an der Deutschen Journalistenschule konzipierte. Formuliert hatte ihn der Medienwissenschaftler Kurt Weichler. Es dauerte dann keine zwei Jahre, bis ich eine Meldung des DJV lese: In Berlin gebe es schon jetzt mehr freie als fest angestellte Journalisten. Ein Geschäftsklimawandel im Zeitraffer.
In Deutschland gibt es heute über 40.000 fest angestellte Journalisten. Wie viele Freie es gibt, weiß keiner so genau, die Schätzungen liegen aber zwischen 25.000 und 40.000. Während ich dies schreibe, meldet die „Frankfurter Rundschau“ Insolvenz an, sodass es wohl wieder ein paar mehr werden. In den 80er Jahren waren es noch weniger als 10.000. Bald wird der angestellte Journalist nicht mehr der Normalfall sein, und der typische Freie nicht mehr der Abenteurer mit dem Bauchladen. Frei ist das neue Fest.
2 Freie sind der Mutterboden
Leer gefegte Redaktionen, in denen alle Abläufe auf Kante genäht sind, haben kaum noch Atem für Recherche, Reportage oder Porträt. Die eigentliche journalistische Leistung übernehmen immer mehr die Freien. Abgesehen von Ausnahmeredaktionen wie dem „Spiegel“ sind Magazine, TV und Radio immer stärker darauf angewiesen, Freelancer an die Front zu schicken. Der Berufsverband Freischreiber hat herausgefunden, dass Hefte wie „brand eins“, „P.M.“ oder das „Zeit-Magazin“ bereits heute mehr als die Hälfte ihrer Inhalte durch Freie produzieren lassen. Dieser Trend wird sich noch verstärken: Zunehmend werden ganze Sonderausgaben an freie Subunternehmer „outgesourcet“. Der Hamburger Dozent und Berater Christian Sauer hat den Wandel der Freien einmal so beschrieben: Früher waren sie der Bodensatz, heute seien sie der Nährschlamm der Medienwelt. Igitt.
Ich glaube: Die Freien sind der Mutterboden. Ohne gut betreute, vernünftig bezahlte Freelancer wächst in Zukunft kein Gras mehr.
3 Untertanen werden Unternehmer
Wer heute noch mit dem Morgenkaffee im Pyjama die Arbeit beginnt, bekommt immer stärkere Konkurrenz. Der wachsende Markt der Freelancer professionalisiert sich zunehmend: Freie vermarkten sich als Netzwerke wie „Weltreporter“, Agenturen wie „Rethink“, oder als Journalistenbüro wie meine eigene Gründung „Blockfrei“ in Berlin. Dabei wird weniger die starke Spezialisierung auf ein Themengebiet entscheidend sein, sondern die Etablierung als Marke, die für bestimmte, verlässliche Qualitäten steht: Perfektes Handwerk, kreative Ideen, ein eigener Sound. Blog, Twitter & Co. werden dabei immer hilfreicher. Erfolgreiche Freie warnen jedoch davor, das Internet zu überschätzen. So verrät der Autor und Blogger Christoph Koch („Neon“, SZ), dass er 99 Prozent seiner Aufträge über Bekannte und Empfehlungen generiert. Das Netz wird das Netzwerken also nicht ersetzen.
Hier wird sich die Spreu vom Weizen trennen: Gute Freie werden für Qualität und „Marke“ vernünftige Honorare verlangen können, Schwächere aus dem Markt ausscheiden.
4 Ohne PR … geht nichts mehr
„Journalisten machen keine PR.“ Dieses hehre Gebot des Journalistenvereins Netzwerk Recherche sorgt seit Jahren für Debatten. Dabei könnte man es einfach ignorieren, da es schließlich unvollständig ist. Beim Einmeißeln in die Steintafel hatten die Macher nämlich vergessen, zwischen Festen und Freien zu unterscheiden. Während das Gebot für abgesicherte Redakteure durchaus Sinn macht, geht es an der Wirklichkeit der Freien immer weiter vorbei. Umfragen zufolge brauchen 35 bis 44 Prozent der Freien zusätzliche Einkommensquellen, um zu überleben. Meist sind das PR und Werbung. Nimmt man die tendenziell eher sinkenden Honorare im „echten“ Journalismus hinzu, wird schnell klar: Schon bald wird die Mehrzahl der Freien nebenbei PR machen, moderieren, beraten, konzipieren.
Warum auch nicht? Schließlich ist auch Journalismus „heute nicht an erster Stelle der Aufklärung verpflichtet, sondern der Wirtschaftlichkeit“, wie der freie Journalist und Kisch-Preisträger Christoph Scheuring in der „taz“ kritisiert hat. Ist es da nicht sogar ehrlicher, Corporate Publishing zu machen? Zeit, mal drüber nachzudenken; Und den Medienwissenschaftler Horst Pöttker zu zitieren: „Journalisten wissen, wie PR funktioniert, auch damit sie, wenn sie in beiden Bereichen tätig sind, die Arbeitsweisen trennen können.“ Oder, um es mit Bernd Begemann zu singen: „Schluss mit dem Quatsch, jetzt wird Geld verdient!“
5 Freie werden Vorreiter sein
Freie haben die Umwälzungen des Marktes oft als Erste gespürt. Zum Beispiel, als sie entlassen wurden. Diese Vorreiterrolle werden sie in den nächsten Jahren mit positiven Impulsen füllen müssen: Denn sie haben, mehr als ihre fest angestellten Kollegen, die Möglichkeit, Experimente zu wagen. Auch wenn mit Webreportagen, Lokalblogs, Crowdsourcing oder selbst verlegten Büchern bislang nur selten Geld zu machen ist: Die Pionierzeit ist jetzt! Der freie TV-Moderator und Reporter Richard Gutjahr brachte die Situation auf dem Freischreiber-Zukunftskongress auf den Punkt: „Multimedia ist im Moment ein bisschen wie Bausparen“ – heute investieren, morgen einziehen. Nur leider nicht ganz so sicher.
6 Yes, it’s fucking political!
Immer mehr Freie liefern immer mehr Inhalte für immer mehr Verwerter. Dennoch steigt ihr Einfluss nicht, er sinkt. Freelancer werden von Verlagen kalt enteignet, die sie in Knebelverträge zwingen oder ihre Texte wie die Madsack-Gruppe im Internet vermarkten, ohne sie an den Einnahmen zu beteiligen. So werden Verlage selbst zu den Raubkopierern, die sie mit einem neuen Leistungsschutzrecht angeblich bekämpfen wollen.
Deshalb wird die Zukunft zu einer stärkeren Politisierung der Freien führen. Die Gründung der Verbände Freelens (1995) und Freischreiber (2008), aber auch das stärkere Engagement des DJV weisen den Weg. Die Autoren werden sich gegen eine Vielzahl an Bedrohungen zur Wehr setzen müssen – von der Content-Industrie bis zu den Piraten. Dazu wird Mut und Organisationskraft erforderlich sein. Und die Erkenntnis, dass Freie keine Einzelkämpfer mehr sein dürfen. Skunk Anansie haben es schon in den Neunzigern gewusst: „Yes, it’s fucking political!“
Der Autor
Hilmar Poganatz
(40) ist der Gründer des Berliner Journalistenbüros Blockfrei. Er unterrichtet u. a. an der Deutschen Journalistenschule München.
Kontakt: poganatz@blockfrei.net
Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 54 bis 57 Autor/en: Hilmar Poganatz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.