Der Bundesgerichtshof hat mal wieder ein Urteil aus Hamburg aufgehoben: Es sei zulässig, den Namen eines Gazprom-Mitarbeiters in einem Artikel über seine Stasi-Vergangenheit zu nennen, auch wenn der Artikel nur noch im Archiv abrufbar ist. Womöglich ist das aber nicht das Ende.
Der Fall
Der Kläger war von 1985 bis 1989 aufgrund einer eigenhändig verfassten Verpflichtungserklärung als bezahlter „Offizier im besonderen Einsatz“ für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tätig. Im September 2007 versicherte er an Eides statt in einem Prozess vor dem Landgericht Leipzig, er sei „niemals Angestellter oder hauptamtlicher Mitarbeiter“ der Stasi gewesen. Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der falschen eidesstattlichen Versicherung ein. Das Verfahren wurde später gegen Zahlung eines Geldbetrags eingestellt. Über die Stasi-Vergangenheit des heutigen Gazprom-Managers und das gegen ihn geführte Verfahren berichtete die „Welt“ am 6. Mai 2008, der Artikel wurde später um die Information ergänzt, das Verfahren sei eingestellt. Schon als Anklage erhoben wurde, war der Artikel ins Archiv der Website gerutscht und nur dort abrufbar.
Das Urteil
Es ist eigentlich fast schon die Regel, dass presserechtliche Urteile aus Hamburg in Karlsruhe aufgehoben werden. So auch hier: Die Karlsruher Richter sahen in der Namensnennung zwar eine Persönlichkeitsbeeinträchtigung in der weiteren Abrufbarkeit der zum Erstveröffentlichungszeitpunkt rechtmäßigen Meldung im Archiv, diese sei jedoch nicht schwerwiegend. Demgegen-über bestünde aber ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit, sich über eine aktive Suche nach der Meldung über die darin dargestellten Vorgänge und Zusammenhänge zu informieren. Die Meldung habe – auch nach der Einstellung des Strafverfahrens – nichts von ihrer Aktualität verloren.
Die Folgen
Für die Integrität der Pressearchive ist das Urteil sehr hilfreich: In vielen Fällen wurde bislang argumentiert, dass wegen der verstrichenen Zeit das öffentliche Interesse grundsätzlich entfällt, nach dem Motto: Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Allerdings hätte die Entscheidung durchaus anders ausfallen können, hätte es sich bei dem Vergehen des Klägers nicht ausgerechnet um Stasi-Mitarbeit gehandelt – bei diesem Thema ist das oberste Gericht sensibel.
In anderen Fällen hat der BGH dem Interesse der Betroffenen, nach einem gewissen Zeitablauf das Stigma eines strafrechtlichen Prozesses wieder loszuwerden, auch schon mal größeres Gewicht eingeräumt. Mittelfristig könnten die Hamburger Richter aber doch recht behalten: Denn die EU plant im Rahmen der derzeit diskutierten Datenschutzreform auch ein „Recht auf Vergessenwerden“ einzuführen – also das Recht, personenbezogene Daten im Internet nach einer gewissen Zeit löschen zu lassen. Hier sind Konflikte mit der Äußerungsfreiheit insbesondere bei Archivveröffentlichungen vorprogrammiert. Und genauso wie das Urheberrecht immer häufiger herangezogen wird, um Vorgänge anzugreifen, die mit dem Äußerungsrecht nicht zu fassen sind, eignet sich auch das Datenschutzrecht potenziell dazu, gegen missliebige Veröffentlichungen vorzugehen.
An Fällen wie diesem wird sich in Zukunft möglicherweise zeigen, ob dem Gesetzgeber der Spagat zwischen dem Schutz der Privatsphäre und den legitimen Aufgaben der Presse gelingt.
Stephan Zimprich ist Rechtsanwalt im Hamburger Büro der internationalen Sozietät Field Fisher Waterhouse.
stephan.zimprich@ffw.com
Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 68 bis 68 Autor/en: Stephan Zimprich. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.