Das deutsche Reporterteam schlägt sich bis Indore durch, einer Stadt mitten in Indien. Sie finden Dhananjay Shrivastav, der noch einmal Glück hatte: Davon, dass er mit ein paar Unterschriften mal eben Teil eines Pharmatestes wurde, wusste er nichts, wie er beteuert. Auch nicht, dass einige Patienten nach einem Zufallsprinzip gar keine Medizin erhielten, sondern ein Placebo. Er habe ja gar nicht lesen können, was er da absegnete. Am Ende landete der ausgezehrte Mann auf der richtigen Liste. Die Medizin löste sein Problem.
Der Fall ist Teil einer äußerst aufwendigen Recherche. Die Journalisten Rebecca Gudisch und Benjamin Best prangern mit ihrer Produktion „Pharma-Sklaven“ Konzerne auch aus Deutschland an, die solche Umstände mutmaßlich toleriert haben. Nicht zuletzt ist dieser Fall aber auch eine Premiere: das erste Projekt, das der Verein „Investigate!“ mit einem nicht unerheblichen Betrag gefördert hat. Von einer niedrigen, aber immerhin bereits fünfstelligen Summe ist offiziell die Rede.
Und wo lief die Produktion schließlich?
Anfang September als Teil der WDR-Reihe „Die Story“, Ende September noch einmal kompakt im ARD-Magazin „Monitor“, also im Ersten Programm. Auch eine überregionale Tageszeitung wurde mit dem Stoff bestückt. Letztlich profitierten Redaktionen, die ordentlich ausgestattet sind. Die gesponserte Recherche kam wiederum keinem Medium zugute, dem Geld für Projekte dieser Dimension fehlt, einer Regionalzeitung etwa oder einem Kleinstsender der ARD-Familie.
Arbeitet „Investigate!“ also nach dem Matthäus-Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“? Klaus Liedtke, einst Chef von „Stern“ und dem hiesigen Ableger von „National Geographic“, schreibt sich das für seinen noch im Aufbau begriffenen Förderverein sogar auf die Fahnen. „Unsere Absicht ist es nicht, nur darbende Blätter zu fördern“, sagt er. „Die Geschichten sollen schließlich eine große Verbreitung finden.“
Zu dieser Strategie passt dann auch, dass die Pharma-Recherche nicht nur mehrfach im Fernsehen lief: Die „Süddeutsche Zeitung“ füllte am Sendetag des 45-Minüters fast eine ganze Seite mit der Geschichte. WDR-Redakteur Mathias Werth betont, die Autoren seien erst mit einem fertigen Konzept zu ihm gekommen. Der Sender selbst habe also kein Geld vom Förderverein erhalten, hätte eine so umfassende Vorrecherche ins Blaue hinein aber womöglich auch nie unterstützt.
Autor Benjamin Best bestätigt, dass er sich mit seiner Kollegin zunächst auf Kosten des Vereins wochenlang in Indien umgesehen und Fälle gesucht hat. „Das war eine richtige Chance, für uns war das ja ein neues Thema“, sagt Best. „An eine Redaktion konnten wir erst mit einem guten Konzept herantreten. Das haben wir so geschafft.“
Für Liedtke ist die Recherche ein Anfang. Beim ersten Durchgang im vergangenen Jahr sei ein Dutzend guter Bewerbungen eingegangen. Neben dem Pharmaprojekt läuft aktuell auch noch eine weitere Recherche mit Geld des Vereins. Liedtke zufolge stellte „Investigate!“ bisher jeweils 10.000 bis 15.000 Euro bereit, vor allem für Reisen.
„Das ist ein ganz schwieriges, internationales Projekt“, sagt Liedtke zu der noch ausstehenden Arbeit. „Ob das realisiert werden kann, wird sich zeigen.“ Steht etwa gleich die zweite Recherche mit Mitteln von „Investigate!“ auf der Kippe? Liedtke hält sich bedeckt.
Bisher wird sein Verein, den der Nachrichtensender CNN angestoßen hatte, von Audi und der Unternehmensberatung Roland Berger gefördert. „Wir fangen bescheiden an“, sagt Liedtke, dem die Stiftung ProPublica als Vorbild dient. Ein Vergleich mit der 2007 gegründeten Einrichtung wäre hingegen vermessen: ProPublica verfügt über zehn Millionen US-Dollar im Jahr, ein „Leuchtfeuer“, wie Liedtke sagt.
Als Nächstes will Liedtke DAX-Vorstände überzeugen, sein Projekt zu unterstützen. „Der Wirtschaft kommt eine besondere Verantwortung zu“, sagt der einstige Chefredakteur: Gehe es der Gesellschaft gut, so gehe es auch den Konzernen gut. Liedtke will nun Topjournalisten mit Managern zusammenführen. Die einen sollen die anderen zum Spenden überreden.
Förderer bleibt unbekannt
Bei allem Enthusiasmus sieht Liedtke aber auch ein Problem. Er ärgert sich darüber, dass sein Verein als Förderer kaum Erwähnung findet. Die „Süddeutsche“ verschwieg das ebenso wie „Monitor“. Immerhin im Abspann der Dokumentation „Pharma-Sklaven“ taucht „Investigate!“ für wenige Sekunden auf. Ein „Kommunikationsproblem“ mit der SZ soll hier der Grund für die Nachlässigkeit sein, sagen die Autoren. „Monitor“ wiederum arbeite nicht mit Abspännen für Beiträge – kein Platz also. „Wir sind auf Aufmerksamkeit angewiesen“, mahnt wiederum Liedtke. Bei künftigen Projekten werde er deshalb stärker darauf achten, dass „Investigate!“ „ordentlich erwähnt“ wird. Das soll fortan Teil der Förderverträge werden. Liedtke will neue Autoren stärker in die Pflicht nehmen. Und die könnten schon bald gefunden werden: Die nächste Ausschreibung soll bis zum Frühjahr nächsten Jahres kommen.
Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 12 bis 13 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.