ND, „taz“, „Freitag“ – was reizt Sie an finanziell klammen Blättern?
Mich reizt etwas an linken Blättern. Dass wir unseren Job mit mehr Geld besser machen könnten, ist zwar richtig. Das sage ich vor allem mit Blick auf die Gehälter der Kollegen. Andererseits hat unsere nicht so üppige wirtschaftliche Lage ja auch etwas mit Unabhängigkeit zu tun: ohne große Verlage mit ihren Interessen im Rücken und ohne den Druck, auf einflussreiche Anzeigenkunden Rücksicht zu nehmen, ist der Spielraum für kritischen politischen Journalismus und Gegenöffentlichkeit größer.
Welchen Einfluss hat die LINKE heute noch auf das „Neue Deutschland“ – finanziell und publizistisch?
Was heißt Einfluss? Es ist kein Geheimnis, dass die Zeitung zur Hälfte über eine Gesellschaft der Linken gehört. Aber das heißt nicht, dass im Karl-Liebknecht-Haus jemand in die Arbeit der Redaktion hineinregieren könnte. Wir sind eine parteiliche Zeitung in dem Sinne, dass wir auch denen eine Stimme geben, die sonst nicht Gehör finden; dass wir an der Idee von der Veränderung der Verhältnisse festhalten, ohne uns jedoch irgendeiner vermeintlichen Wahrheit oder Organisationslinie unterzuordnen. Das „Neue Deutschland“ ist keine Parteizeitung.
Wie wollen Sie vom ewigen Image des „ehemaligen SED-Zentralorgans“ wegkommen – wollen Sie das überhaupt?
Ich selbst habe nicht den Eindruck, dass das „Neue Deutschland“ heute vor allem als ehemaliges Zentralorgan wahrgenommen wird. Aber selbst wenn dies so wäre: Im Unterschied zu manch anderer ehemaliger Bezirkszeitung der SED haben wir uns der eigenen Geschichte offen und kritisch gestellt.
Wer liest das ND heute?
Die Besetzerinnen der Stillen Straße in Berlin zum Beispiel. Lehrer und Erwerbslose, Punks und Kleingärtner. Ehemalige Mitglieder der SED genauso wie ihre einstigen Kritiker. Ganz normale Menschen also. Wir werden im Osten mehr gelesen als im Westen. Und wir haben wie andere Zeitungen auch damit zu kämpfen, dass Jüngere heute nicht mehr so oft zur Papierzeitung greifen.
Wie wollen Sie sich neue Leserschichten erschließen, ohne die verbliebenen zu verprellen?
Mit einer Zeitung, in der aus dem Alten und dem Neuen kein Gegensatz gemacht wird, in der die Erfahrungen der einen auch das Wissen der anderen vergrößern, in der Widersprüche als das behandelt werden, was sie sind: Treibmittel für das eigene Weiterdenken. Sicher: Die einen haben diese Biografie, die anderen jene Sicht. Gemeinsam ist den alten und neuen Lesern aber, dass sie sich nicht mit einer Realität abfinden wollen, zu der es gehört, dass die meisten anderen Zeitungen schreiben, man könne ja doch nichts ändern. Wir sagen: Doch! Es geht. Auch wenn es schwierig ist und man den Weg erst beim Gehen finden wird.
Erschienen in Ausgabe 09/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 70 bis 70. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.