Hierhin, dorthin, im Mutterschiff

Bei aller Liebe wirkt es doch ziemlich aktionistisch, was in jüngster Zeit über die Aktivitäten in der WAZ-Gruppe zu hören ist. Zugegeben: Noch vor gar nicht langer Zeit wären die beiden Begriffe – aktionistisch und WAZ-Gruppe – niemals im selben Satz aufgetaucht. Nicht etwa, weil sich dieses Unternehmen mit Stammsitz Essen einer klaren Strategie folgend stets wohlüberlegt vorwärtsbewegt hätte; vielmehr hat sich die WAZ-Gruppe über viele Jahre gar nicht bewegt. Das allerdings hat sich gewaltig geändert.

Und wie sich die WAZ-Gruppe bewegt: mal hierhin, mal dorthin. Erst streicht sie Lokalausgaben und spart 300 Redakteure ein (2009), dann ruft sie eine Lokaloffensive aus und stellt fest, dass sie dafür zu wenige Lokaljournalisten beschäftigt (2012). Erst gründet sie für die Online-Auftritte ihrer Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen die Online-Marke „Der Westen“, weil es Printmarken im Netz angeblich schwer haben (2007), dann schafft sie die Marke „Der Westen“ (außer für die gemeinsame Vermarktung) wieder ab und verpasst jeder ihrer Zeitungen ihr eigenes Online-Portal (2012). Ob man sich in Nordrhein-Westfalen umhört, in Thüringen oder in Wien, wo sich der nach Auflage drittgrößte deutsche Zeitungsverlag anhaltend mit den Dichands um die „Krone“ streitet: Überall wird umstrukturiert, überall Unruhe. Was ist nur los bei der WAZ-Gruppe?

Der Grund für das Tohuwabohu sind die neuen Antworten auf alte Machtfragen, sowohl im Management als auch bei den Gesellschaftern. Doch geklärt ist in Wahrheit nichts.

Das Aufatmen etwa, als die Gesellschafter der WAZ-Mediengruppe im Juni erklärt haben, mit dem neuen Finanzchef Thomas Ziegler sei nun „die Geschäftsführung komplettiert“, ist nicht mehr als ein Schnappen nach Luft. Zwar haben sich die Rivalen Manfred Braun und Christian Nienhaus nach dem Abgang von Bodo Hombach notgedrungen zusammengerauft und sich auf ein gleichberechtigtes Nebeneinander mit jeweils abgesteckten Revieren geeinigt. Dies aber nur widerwillig. Keiner wäre bereit gewesen, unter dem anderen zu arbeiten. Was sie einte, war die Furcht vor einem Dritten, den ihnen die Gesellschafter hätten vor die Nase setzen können. Ein Headhunter soll schon mit der Suche beauftragt gewesen sein.

Zwei Alphatiere

Nachdem Braun und Nienhaus sich gegenseitige Partnerschaft geschworen haben, wird es nun doch keinen Primus inter Pares und auch keinen Sprecher der Geschäftsführung geben. Vorerst nicht. Der Finanzchef ist lediglich ein weiterer Geschäftsführer mit abgestecktem Revier, als ehemaliger Manager bei Metro, Real und einer Ruhrkohle-Tochter noch dazu ein Branchenfremder, in den Augen der beiden langjährigen Medienmanager also kein wirklicher Konkurrent. Man ahnt leicht, wie sich Braun und Nienhaus einander mit Argusaugen beobachten und darauf warten werden, dass dem jeweils anderen ein Fehler passiert. Zu unterschiedlich agieren die beiden, zu unterschiedlich sind sie.

Braun kennt sich als langjähriger Zeitschriftenchef des Bauer-Verlags in Vertriebsfragen aus, mag keine Öffentlichkeit, liebt die Arbeit mit Redaktionen und noch mehr die Marktforschung. Nienhaus kümmert sich um die Vermarktung, war mal beim Süddeutschen Verlag, mal bei Springer, mal bei Gruner+Jahr und ganz früher auch mal bei der „Krone“, scheiterte schon mal am eigenen Ehrgeiz und sucht gern die Öffentlichkeit, so beim Streit mit den Öffentlich-Rechtlichen um die „Tagesschau“-App. Früher oder später dürfte sich zwischen den beiden also erneut die Machtfrage stellen. Dasselbe gilt auf Gesellschafterebene.

Zwar besitzt Petra Grotkamp nach ihrem 500 Millionen Euro teuren Kauf der Brost-Anteile die prozentuale Mehrheit am Konzern. Sollten Stephan Holthoff-Pförtner und Renate Schubries gegen sie jedoch gemeinsam Widerstand leisten, ist Grotkamp in ihrer Entscheidungsgewalt blockiert. 16,67 Prozent ihrer insgesamt 66,67 Prozent stecken in jener Gesellschaft, in der sie sich mit den beiden anderen Erben ihres Familienstamms Funke einigen muss. Hinzu kommt der finanzielle Aspekt: Größter Problempunkt im Verkaufsprozess der Brost-Anteile an Petra Grotkamp war die Finanzierung: Da die vinkulierten Anteile bei den Kreditverhandlungen als Sicherheit nichts wert waren, haben sich die Banken dem Vernehmen nach Gewinnausschüttungen garantieren lassen. Angesichts rückläufiger Auflagen und Anzeigeneinbrüchen bei den Tageszeitungen der WAZ-Gruppe sind die Aussichten auf Gewinnausschüttungen nicht wirklich rosig. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erzielte sie mit ihren 11.000 Mitarbeitern bei einem Umsatz von 1,1 Milliarden Euro ein operatives Ergebnis von 110 Millionen Euro. Aber wie entwickelt sich das Geschäft in den nächsten Jahren? Und woher soll das Geld kommen, um in Bestehendes zu investieren und Wachstum versprechende Akquisitionen zu stemmen?

Fraglich ist insofern, ob die WAZ-Gruppe tatsächlich zu den Kandidaten zählt, die die finanzielle Kraft hätten, die von Holtzbrinck veräußerten Anteile der Saarbrücker Zeitungsgruppe zu übernehmen. Pläne, im Digitalgeschäft durch Zukäufe zu wachsen, scheiterten zuletzt an Preisfragen. Überhaupt: Hat die WAZ-Gruppe eine Digitalstrategie?

Günther Grotkamp, Ehemann der neuen Mehrheitseigentümerin und seit Jahrzehnten die graue Eminenz in der WAZ, hatte dies im Interview in der hauseigenen WAZ (s. http://bit.ly/xerlvx) nach dem Anteilskauf angemahnt. Doch was tut sich? Jeder Titel wurstelt vor sich hin. „Die eigenen Auftritte unserer starken Zeitungsmarken im Netz sind Teil der geplanten Lokaloffensive für unsere gedruckten Printtitel in NRW“, sagte Thomas Kloß, Chefredakteur Online und Mitglied der WAZ-Chefredaktion zur Begründung, warum an Stelle von „Der Westen“ jeder Zeitungstitel ein eigenes Markenportal startet. Das verschaffe „attraktivere Inhalte, die wir online hinter eine Bezahlschranke stellen wollen und in Apps verkaufen möchten“. Der Wille, exklusive Inhalte selbstlos vorab unter der Marke „Der Westen“ zu veröffentlichen, war bei den Chefredakteuren der jeweiligen Zeitungstitel offenbar ebenso beschränkt wie der Glaube an den Erfolg einer App für „Der Westen“ ohne Markenäquivalent in der Offline-Welt.

Jetzt, da die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ mit ihren 23 Lokalausgaben, die „Westfalenpost“, „Westfälische Rundschau“ und „Neue Ruhr-Zeitung“ ihre eigenen Online-Auftritte haben, können sie in jeweils gewohnter Optik E-Paper wie Apps anbieten. Die WAZ als Größte im Bunde, mit Ulrich Reitz als Selbstbewusstestem in der Chefredakteursriege, genießt, wie immer, den Vortritt. Ausgewählte Bestandteile der Online-Angebote wie auch die intensive Nutzung der Inhalte könnten zukünftig kostenpflichtig werden, kündigte die WAZ-Gruppe an, und zumindest derzeit bezieht sich diese Hoffnung vor allem auf lokale Inhalte.

Vierfach-Relaunch

Die aber litten bei der Einführung des zentralen Content-Desks vor drei Jahren. Die „Umstrukturierung“ genannte Sparwelle hatte die WAZ-Gruppe als „Qualitätsoffensive“ verkauft und jede Frage, ob die Auflagenrückgänge am Abbau des Lokalen liegen könnten, brüsk zurückgewiesen. Jetzt ließ sie sich durch Leserforschung eines Besseren belehren. Die Einsicht: Der Bedarf an lokaler Berichterstattung, vor allem aber der Bedarf an Lokaljournalisten ist höher als der Bestand. Ihn nach der großen Streichaktion von 300 Redakteursstellen aufzustocken, ist der Konzern jedoch nicht bereit. Also gilt es, umzuschichten und die Blätter umzubauen. Die Devise: mehr Profil, mehr Seiten fürs Lokale.

Noch im Juli sollen die neuen Auftritte der Blätter im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert werden. Dann werden die drei Manager, Braun, Nienhaus und Ziegler, auch erstmals gemeinsam in Aktion zu sehen sein.

Als problematisch erwies sich unter anderem, dass sich Redakteure, die seit der
letzten Umstrukturierung entweder am überregionalen Content-Desk in Essen oder an einem der Regio-Desks gearbeitet hatten, nicht einfach so als Verschiebemasse zu Lokalredakteuren machen lassen wollten. Kritik wuchs erst recht, als Manfred Braun ankündigte, frei werdende Produktionsplätze könnten ja auch durch studentische Hilfskräfte und Mediengestalter besetzt werden. Redaktionell spielt wie schon bei der „Qualitätsoffensive“ auch jetzt bei der „Lokaloffensive“ Ulrich Reitz die zentrale Rolle. Mit der Agentur Kircherburk-hardt gilt es, zeitgleich die vier NRW-Zeitungen derart umzugestalten, dass jede ihre individuelle Optik erhält, Artikel der einen Zeitung aber problemlos von den anderen Blättern in Art, Umfang und Gestaltung übernommen werden können.

Die Relaunches erfolgen schrittweise. Begonnen haben sie mit der Umstellung der Spaltenzahl von sieben auf sechs. Sie werden enden mit der Einführung des dann erweiterten Lokalteils als jeweils zweites Buch.

So viel zur Lage im WAZ-Revier Nordrhein-Westfalen. Wen wundert es da, dass Unmut und Proteste in der Redaktion von Paul-Josef Raue, Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“, kaum einen im weit entfernten Essen wirklich zu jucken scheinen? Oder dass beim Dauerstreit mit der Dichand-Familie um die Vorherrschaft bei der „Krone“ in Wien keine Lösung in Sicht ist? Auch hier stellt sich die Frage, ob die WAZ-Gruppe überhaupt die finanzielle Kraft hätte, die Dichands mit ihren 50 Prozent herauszukaufen. Derweil setzen sich die (schieds-)gerichtlichen Auseinandersetzungen fort: mal, um zu klären, unter welchen Umständen ein geschäftsführender Redakteur berufen werden darf, mal wegen einer Copypreiserhöhung oder angeblichen Verstößen gegen den Syndikatsvertrag, also gegen die Regelungen zum Abstimmungsverhalten der drei „Krone“-Gesellschafter. Ob der Versuch fruchtet, die von Dichand, WAZ und Raiffeisen-Gruppe mit je eigenem Geschäftsführer organisierte Eigentümerin Mediaprint künftig von einer Einzelspitze führen zu lassen, und ob das die schwelenden Auseinandersetzungen dämpft, sei dahingestellt.

Ganz oben auf der Prioritätenliste steht schließlich, was ein Anwaltsbüro hierzulande derzeit prüft und durchrechnet: nämlich, wie und auf Grundlage welcher Rechtsform die diversen WAZ-Firmen unter ein Dach gebracht werden könnten. Vor allem steuerliche Aspekte spielen dabei eine Rolle. Allem Anschein nach wird es wohl am Ende auf eine KG aA, eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, hinauslaufen. An ihrer Spitze wird ein Aufsichtsrat sitzen, dessen Besetzung auch erst noch zu klären ist. Geplant ist, das Unternehmen zum 1. Januar 2013 in die neue Rechtsform zu überführen. In einem aus viel Glas bestehenden Neubau im Essener Universitätsviertel hofft die WAZ-Gruppe auf einen Neuanfang mit dann zeitgemäßeren Strukturen.

Ulrike Simon

ist freie Medienjournalistin in Berlin.

autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 24 bis 25 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.