Frau Fehrle, wie gut können Sie Spagat?
Brigitte Fehrle: Wenn Sie die Frage rein sportlich meinen: Da bin ich schlecht.
… und beruflich, in Ihrer neuen Doppelfunktion als Chefin der „Berliner Zeitung“ und der DuMont-Redaktionsgemeinschaft?
Den professionellen Spagat beherrsche ich ganz gut.
Wie organisieren Sie denn Ihre Doppelaufgaben?
In der Redaktionsgemeinschaft wird mit Holger Schmale ein zweiter Stellvertreter installiert – zusätzlich zu Robert von Heusinger, der schon bisher für die Wirtschaft dort verantwortlich war. Der wird dann das tägliche Geschäft übernehmen. Ich behalte die Leitung der „Rege“, die ja für alle vier DuMont-Abotitel die Berichterstattung über Politik und Wirtschaft leistet. Ich selbst werde mich künftig aber mehr auf das tägliche Blattmachen bei der „Berliner Zeitung“ konzentrieren.
Und in welcher Funktion treten Sie nach außen auf?
Als Chefredakteurin der „Berliner Zeitung“ und je nach Anlass auch als Leiterin der Redaktionsgemeinschaft.
Nun haben FR und „Berliner Zeitung“ also wieder eigene Chefredakteure. Bedeutet das auch eine Emanzipation von der „Rege“?
Dafür gibt es keinen Anlass. Die „Rege“ ist ein Synergieprojekt aller vier Zeitungstitel der DuMont-Gruppe, also auch „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Mitteldeutsche Zeitung“. Und der Synergieeffekt betrifft den überregionalen Teil der Berichterstattung. Die „Rege“ ist dazu da, alle diese vier Titel hochwertig mit Inhalten in den Bereichen Wirtschaft und Politik zu beliefern. Sich stärker auf die einzelnen Titel zu beziehen, heißt ja nur, dass man konzeptionell überlegt, wie sie weiterentwickelt werden müssen.
Die Chefredaktion von „Berliner Zeitung“ und FR in Personalunion von Uwe Vorkötter sollte auch ein Signal für angestrebte Synergie sein. Ist die Chef-Trennung nun eine Fortsetzung oder ein Wechsel des bisherigen Kurses?
Es ist die Weiterentwicklung dessen, was wir angefangen haben. Als der DuMont-Verlag erst die „Frankfurter Rundschau“ und später die „Berliner Zeitung“ gekauft hat, hatten wir zuerst ein „Syndication-Modell“, bei dem wir untereinander Texte ausgetauscht haben. Die Gründung der „Rege“ war der nächste Schritt, um diese Syndication zu systematisieren: Alle guten Autoren aller vier Blätter sollten systematisch für alle Blätter arbeiten. Das hat sich bewährt und wird von allen im Haus als Erfolgsmodell gesehen.
Was ist die „Berliner Zeitung“ für Sie?
Die „Berliner Zeitung“ ist für mich die große Berliner Zeitung. Eine Zeitung, die die Stadt versteht, die bei den Menschen ist und ihre Probleme ernst nimmt. Aber auch eine Zeitung, die gut unterhält und informiert. Im Übrigen nicht nur über Berlin. Die Leser – das wissen wir aus zahlreichen Umfragen – legen ganz großen Wert auf die überregionale Berichterstattung. Die bleiben nicht an der Berliner Stadtgrenze stehen.
Sie treten nun aber in der „Berliner Zeitung“ an, um das Regionale zu stärken. Heißt das im Umkehrschluss, die Zeitung hat an Profil verloren?
Nein, natürlich nicht. Aber wir haben in den vergangenen Monaten das Augenmerk sehr stark auf das Kooperationsmodell mit der „Frankfurter Rundschau“ gerichtet (siehe auch Seite 24 f.). Da das jetzt gut läuft, kann man wieder mehr Kraft auf Berlin lenken.
Was antworten Sie den Redakteuren, die befürchten, die „Berliner Zeitung“ könnte nun auf Provinzniveau absinken?
Ich kann mit dem Begriff nichts anfangen, was verstehen Sie denn unter Provinzialisierung?
Eine gewisse Kurzsichtigkeit, nicht mehr über die Stadtgrenze hinauszublicken …
Aber warum sollten wir das tun? Das wäre vollkommen verkehrt. Ich habe ja eben schon erklärt: Die Leser der „Berliner Zeitung“ sind weltoffene Bürger, Metropolenbewohner. Sie leben in der deutschen Hauptstadt und finden das auch gut. Wir haben viele Leser, die erst in den letzten fünf, sechs Jahren zugezogen sind. Die bringen ihre eigene Geschichte mit, möglicherweise sogar eine internationale. Die Leute reisen viel. Denen zu erklären, dass sie sich nur noch für Berlin interessieren sollen, wäre ja verrückt.
Aber wie wollen Sie die „Berliner Zeitung“ künftig berlinischer machen, ohne das Überregionale zu vernachlässigen?
Wir werden das Blatt noch stärker als bisher regional mischen. Da kann eine Seite zwei sich um das Berliner Stadtschloss drehen und eine Seite drei ums Guggenheim Lab. Vieles, was in Berlin passiert, ist weltweit stilbildend. Aber wir werden auch dem Berliner Geschehen im Berlin-Teil mehr Platz geben. Vielleicht wird es dann mal einen Text weniger aus Äthiopien geben und dafür einen mehr aus Köpenick – das wäre für mich kein Beinbruch.
Wird der Lokalteil mehr Seiten bekommen?
Die Details sind noch nicht geklärt, aber wir streben auf jeden Fall an, dass Ber- lin auch physisch mehr Raum im Blatt kriegt …
… auf Kosten anderer Bücher?
Nein.
Wen sehen Sie als wichtigsten Konkurrenten?
Wir haben zwei: den „Tagesspiegel“ und die „Morgenpost“.
Was schätzen Sie an den Konkurrenztiteln?
Beide sind hervorragend gemachte Blätter. Der „Tagesspiegel“ ist sehr hochwertig gemacht und hat sehr gute Autoren, die „Morgenpost“ ist immer sehr gut informiert in der Stadt, die haben hervorragende Leute. Es gibt über diese beiden Zeitungen absolut nichts Schlechtes zu sagen – und gerade das ist die Herausforderung. Wenn man sich den Berliner Zeitungsmarkt von außen ansieht, könnte man vermutlich nicht sagen, wer denn nun die Nummer 1 ist – davon gibt es im Augenblick gleich drei.
Haben Sie sich einen Zeitrahmen gesetzt, in dem Sie die Nummer 1 werden wollen?
Nein. Wir arbeiten dran, mit aller Kraft.
Beide Konkurrenten erscheinen auch sonntags. Ist das auch ein Thema bei Ihnen?
Nein. Ich fände eine Sonntagsausgabe zwar wunderbar, aber aus ökonomischen Gründen steht das nicht zur Debatte.
Gehen Sie wieder tiefer rein in die Kieze?
Das überlegen wir jetzt gemeinsam mit der Redaktion, so wie wir alle möglichen Veränderungen mit der Redaktion besprechen. Eine Zeitung ist ein sensibles Gebilde, jede Neuerung will behutsam und überlegt gemacht werden.
Regionalchef Ralph Kotsch hat sinngemäß gesagt, Bezirksberichterstattung, etwa mit Sublokalteilen, lohne sich nicht – kostet viel Geld, interessiert wenige und steigert nicht die Auflage.
Ob wir im klassischen Sinn sublokal werden, weiß ich noch nicht. Wir werden einfach mal schauen, wo in Berlin es spannend ist, und ob wir darüber ausreichend berichten.
Kiezgeschichten werden also exemplarisch erzählt?
Lassen Sie den Kiez weg, dann wird ein Schuh draus. Wir wollen mehr Geschichten erzählen, egal wo sie spielen.
In einigen Berliner Bezirken sind sehr lebendige hyperlokale Medien entstanden – in Print und auch online. Wie wollen Sie diese Räume zurückerobern?
Wir machen Zeitung, wir sind online und wir werden bald als App zu haben sein. Aber wir sind mit allen Medien wirtschaftlich. Deshalb beobachten wir das Sublokale interessiert. Wenn sich Aufwand und Ergebnis in Einklang bringen lassen, werden wir uns auch da engagieren.
Die „Morgenpost“ stellt sich gerade neu auf im Sublokalen – u. a. mit Kooperationen mit lokalen Blogs. Wie reagiert die „Berliner Zeitung“ darauf?
Da sind wir noch steigerungsfähig.
Und welche Rolle sollen dabei Social Media wie Facebook und Partizipationsmöglichkeiten der Leser spielen?
Alle Medien sind sehr stark darauf angewiesen, auf ihre Leser und Nutzer zu hören. Bei uns gibt es aber eine ganz klare Grenze: Wir sind Jour
nalisten, die ein journalistisches Produkt herstellen. Natürlich sind Beiträge von außen, etwa über Blogs, willkommen, aber der Kern wird immer journalistisch sein. Wir recherchieren und gestalten das Produkt nach unseren Kriterien.
Sie haben für die „taz“, „Berliner Zeitung“, FR und die „Zeit“ gearbeitet – welche Rolle spielte dabei die politische Haltung der Blätter für Sie?
Wenn Sie damit die politische Ausrichtung meinen – das interessiert mich nicht so. Mir ist aber die Haltung einer Zeitung wichtig. Man muss ihr anmerken, dass sie etwas will und dafür konsequent steht. Es gibt bei der „Berliner Zeitung“ linke und liberale Autoren und gerade auch im Wirtschaftsteil welche, die eine eher konservative Haltung haben. Das interessiert mich aber nicht. Die „Berliner Zeitung“ hatte noch nie so etwas wie einen Meinungskorridor. Wir kommentieren kontrovers – zwar nicht als Pro und Contra, aber hier schreiben Autoren, die zu einem Thema durchaus widerstreitende Meinungen vertreten. Hier ist die „Berliner Zeitung“ im besten Sinne liberal. In dieser Freiheitlichkeit habe ich das bislang bei keiner anderen Zeitung erlebt.
Und wie würden Sie Ihre politische Haltung beschreiben?
Ich denke. Und habe meine Meinung in vielen Fragen über die Jahre verändert. Manchmal mehrfach. Ich schätze Kollegen, die die Größe haben zu sagen: Ich habe mich geirrt, ich habe nachgedacht und neue Argumente haben mit überzeugt. Das ist es auch, was eine Zeitung lebendig macht.
Hat diese Haltung eine Rolle gespielt, als Sie 1990 die „taz“ verließen?
Hauptsächlich bin ich weggegangen, weil ich dort schon so lange war und es die Möglichkeit gab, mitten in der Wendezeit zur „Berliner Zeitung“ zu gehen. Ich wollte mich diesem Ost-West-Experiment aussetzen. Es war schwierig, auch konflikthaft, aber ich war jung und fand es großartig, im Herzen der Weltgeschichte arbeiten zu können.
Wie wurden Sie damals aufgenommen?
Erstaunlich gut. Alexander Osang war damals übrigens Lokalchef. Ich wurde in ein Zimmer mit vier anderen Kollegen gesetzt. Durch Zufall habe ich mitbekommen, dass eine andere Kollegin meinetwegen ihren Schreibtisch räumen musste und einen schlechteren Platz zugewiesen bekommen hatte. Ich habe mir dann selbst den schlechteren genommen. Damit war ich aufgenommen.
Was bedeuten Ihnen die Jahre 1990 bis 2006 bei der „Berliner Zeitung“?
Für mich war es großartig, weil ich mich persönlich sehr stark entwickeln konnte. Ich hatte ganz viele Chancen, mich in unterschiedlichen Rollen auszuprobieren. Ich habe angefangen als landespolitische Korrespondentin, war Reporterin, habe Bundespolitik gemacht, eine Leitungsposition bekommen – die Zeitung hat mir mein ganzes Berufsleben ermöglicht. Dafür bin ich auch dankbar.
Warum sind Sie dann zur FR gewechselt?
Wegzugehen war schrecklich. Ich wollte ja nicht, aber mir war klar, dass ich als stellvertretende Chefredakteurin nicht bleiben konnte, nachdem ich ein Jahr lang gemeinsam mit der Redaktion gegen den neuen Investor (David Montgomery) gekämpft hatte.
Sie gingen mit Uwe Vorkötter zur FR, waren kommissarische Chefredakteurin der „Berliner Zeitung“, bis er zurückkehrte. Nun sind Sie selbst Chefredakteurin, Vorkötter ist „Berater des Vorstands“. Was bedeutet das für Ihr Verhältnis?
Wir schätzen uns gegenseitig sehr. Er ist ein guter Gesprächspartner bei allen Fragen, die mich auch in nächster Zeit beschäftigen werden.
Die „Süddeutsche“ schrieb zu Ihrer Ernenung, nun sei „taz“-Chefin Ines Pohl nicht mehr die einzige Chefredakteurin einer relevanten Tageszeitung. Wo ordnen Sie sich in der kleinen Riege an Tageszeitungs-Chefredakteurinnen ein?
Ich sortiere mich nirgends ein. Ich mache meinen Job, ich bin Journalistin. Ich liebe diesen Beruf, ich liebe das Blattmachen und habe nun noch ein paar Management-Aufgaben. Aber die Tatsache, dass ich das als Frau mache, ist für mich völlig uninteressant.
Die SZ schrieb, Sie seien in der Redaktion sehr beliebt, die „taz“ schildert Ihre ersten Gespräche mit Ressortleitern als „eher eisig“. Wieso klafft das so auseinander?
Nehmen Sie es als Beleg für funktionierende Meinungsvielfalt. Oder fragen Sie andere. Ich kann damit nichts anfangen. Natürlich weiß ich auch, dass Frauen in Führungspositionen anders bewertet werden als Männer. Frauen sind „hart“, Männer „durchsetzungsstark“. Ich stehe mit solchen Zuschreibungen auf Kriegsfuß.
Wie halten Sie es mit der Frauenförderung?
In der „Berliner Zeitung“ insgesamt hält sich das Geschlechterverhältnis ungefähr die Waage. Die Ressortleitungen sind zu einem Drittel mit Frauen besetzt. Da hat sich in den letzten Jahren viel getan. Institutionalisierte Frauenförderung hat bei der „Berliner Zeitung“ noch nie eine Rolle gespielt. Dass qualifizierte Frauen eingestellt oder befördert werden, ist hier selbstverständlich. Das hat mit der Ost-Vergangenheit des Blattes zu tun und mit der Tatsache, dass alle Chefredakteure kein Problem hatten mit starken Frauen. Im Vergleich mit vielen anderen Medien haben wir hier paradiesische Zustände, wir sind da eine Ausnahme.
Haben Sie deshalb nicht bei „Pro Quote“ unterschrieben?
Ja, ich fände es für mich komisch, etwas zu unterschreiben, was für mich persönlich ohne Relevanz ist. Aber ich finde das Anliegen der Kolleginnen richtig. Inzwischen – muss ich sagen, weil alle freiwilligen Absichtserklärungen nichts fruchten.
Wie beschreiben Sie Ihren Führungsstil?
Kooperativ, konsequent …
… das heißt?
Klar in den Entscheidungen, durchschaubar, transparent und freundlich.
Sie sagten, die Zeiten seien eine Zumutung für Zeitungsredaktionen. Was werden Sie Ihren Redakteuren zumuten?
Dass sie in ökonomisch schwierigen Zeiten gleichwohl hoch engagiert und motiviert ihre Arbeit machen. Uwe Vorkötter hat sich bei seinem Abschied nicht nur für das Vertrauen und den Respekt bedankt, sondern auch für das Verständnis dafür, dass er nicht alle Wünsche erfüllen konnte. Genau das meine ich: Wir leben in einem enger werdenden Markt mit weniger Bewegungsspielräumen, um Leute zu entwickeln und zu fördern. Wenn es früher noch mehr Posten im Ausland oder Reporterstellen gab, so bleibt heute oft nur das persönliche Lob, um Kollegen Anerkennung zu geben.
Apropos Kollege: Welche Rolle spielt Alexander Osang künftig bei der „Berliner“?
Alexander Osang ist als Autor der „Berliner Zeitung“ seit vielen Jahren verbunden, hat regelmäßig – auch, nachdem er beim „Spiegel“ angefangen hat – große Geschichten bei uns veröffentlicht, und ich gehe davon aus, dass er das auch weiterhin tun wird.
Welchen Stellenwert hat das Schreiben bei Ihnen selbst künftig noch?
Ich hoffe, keinen geringeren als in den vergangenen Jahren. Ich bin im Herzen Journalistin, und nicht nur Redaktionsmanagerin oder Blattmacherin.
Sie kommentieren einmal die Woche auf „Radio Eins“ (RBB). Bleibt es dabei?
Das mache ich weiterhin – und sehr gern, auch weil es ein ganz anderes Medium ist. Beim Schreiben wägt man jedes Wort einzeln, bei den Radio-Kommentaren dagegen schreibe ich mir nur Stichworte auf und spreche dann frei. Das macht mir großen Spaß.
Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „TITEL“ auf Seite 18 bis 19 Autor/en: Interview: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.