Holpriges Change Management

„Unser Verleger will am liebsten gar kein Online, dem ist das nicht wichtig.“ „Wir möchten das gerne, aber mit unseren Ressourcen …“ „Wir würden ja gerne, aber in welche Richtung sollen wir gehen?“ Chefredakteure und leitende Redakteure, alle Mitglieder im „Projektteam Lokaljournalismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), diskutierten bei ihrem halbjährlichen Treffen über die crossmediale Berichterstattung in ihren Zeitungen. Schließlich sagte einer: „Von der Wissenschaft kommt auch nichts – niemand beschäftigt sich mit crossmedialem Lokaljournalismus.“ Warum eigentlich nicht? Damit war die Idee zu unserer Studie „Crossmedia 2012“ geboren.

In den Fokus unserer Untersuchung stellten wir die Fragen, wie sich monomediale hin zu crossmedialen Angebotsstrukturen verändern und was das für den journalistischen Alltag bedeutet. Von Anfang wirkte auch Projektteam-Mitglied Lutz Feierabend („Kölner Stadt-Anzeiger) bei der Konzeption der Studie mit (s. a. Seite 34). In der ersten Phase fragten Studenten der RWTH Aachen in persönlichen Gesprächen zwölf Chefredakteure – ausgewählt unter dem Aspekt einer breiten regionalen Streuung und unterschiedlicher Zeitungsgrößen – nach dem Einsatz von Crossmedialität in ihren Häusern und ihren Erfahrungen damit. Dabei wurde rasch deutlich: Die Euphorie angesichts der neuen Möglichkeiten, die die Anfangszeit des crossmedialen Wandels prägte, ist in den letzten Jahren eher einer Ernüchterung gewichen. Das bedeutete auch: Offene Antworten, die jenseits der PR-Floskeln lagen („Unser Unternehmen ist für den Wandel bestens aufgestellt“), waren nur durch eine Anonymisierung der Gesprächspartner zu erreichen.

In den Gesprächen kamen viele Stolpersteine des Medienwandels zur Sprache. So sehen gerade viele kleine Medienhäuser die Technik als schwierige Hürde. Viele beklagten eine „mangelhafte technische Infrastruktur“, die einer schnelleren Akzeptanz von Online im Wege stehe.

Aber die Technik ist es nicht alleine; Nicht wenige der Befragten sind offenbar verunsichert in ihrer Rolle, lokale Kommunikation neu zu gestalten: „Natürlich verliert man die Sicherheit, denn man muss eine ganz andere Kommunikationskultur verinnerlichen. […] Man muss auf Interaktion aus sein und darf dann nicht verblüfft sein, wenn auch mal was zurückkommt.“

Die Bereitschaft, sich auf diese Unsicherheit einzulassen, ist unterschiedlich: Typisch dafür ist folgendes Zitat: „Also ein Drittel ist begeistert, ein Drittel sieht die Notwendigkeit und arbeitet auch mit […] und ich glaube, bei dem letzten Drittel, da muss eine Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden. Es sind natürlich immer noch Leute dabei, die sich komplett verweigern.“

Das iPad gilt als Hoffnungsträger der Branche, da hier auch kostenpflichtiger Inhalt verbreitet wird. Einige Chefredakteure setzen offensiv auf diesen neuen Kanal und experimentieren mit der Produktion von Inhalten für die mobile Nutzung. Aber auch diese Schrittmacher kämpfen mit Schwierigkeiten: „Es ist enorm arbeitsaufwendig, […] was natürlich auch damit zusammenhängt, dass man sich nichts abgucken kann. Wenn man bei den Ersten dabei ist, die so etwas aufsetzen, dann muss man sich halt alles selbst ausdenken. Nicht nur die Technik, die es bisher nicht gab, die wir zum Teil selbst programmiert haben, sondern auch die internen Abläufe.“

Die Forschung zu Crossmedialität in Deutschland bleibt oft bei Einzelfallanalysen, meist von innovativen Vorreitern der Branche, stehen. Fraglich, ob sich solche Aussagen verallgemeinern lassen. Abgesehen von der Umsetzung des Medienwandels, also der „Implementierung“, ist ja auch eine Frage interessant, die oft gar nicht erst gestellt wird: Was bedeutet der Medienwandel denn für die Inhalte? Ergeben sich neue Potenziale, für das „Erzählen von Geschichten“ und für die Berichterstattung im Dialog mit dem Nutzer? Wie sieht es mit den Möglichkeiten der politischen Partizipation im Lokalen aus?

Denn: „Wie sich der Lokaljournalismus durch die heutigen crossmedialen Möglichkeiten verändert, ist für unsere Gesellschaft und die Weiterentwicklung der Demokratie sehr wichtig“, sagt Berthold L. Flöper, der Leiter des Lokaljournalistenprogramms der bpb, die die Studie finanzierte. „Ich hoffe, dass die sozialen Netzwerke für eine noch bessere Lokalberichterstattung genutzt werden, damit die Bürger noch zahlreicher und stärker politisch mitwirken können. Partizipation muss auch von den Journalisten ernst genommen werden. Die Werkzeuge haben sie nun. Sie sollten sie aber auch nutzen, sonst machen es andere.“

Um möglichst viele Redaktionen zur Mitarbeit an der Studie „Crossmedia 2012“ zu bewegen, sind wir einen anderen Weg als üblich gegangen: Über ein Schneeballsystem informierten die Mitglieder des Projektteams Lokaljournalismus ihre jeweils eigenen, persönlichen Kontakte über die Ziele der Studie und baten um die Teilnahme an der Online-Befragung. Der Rücklauf der Studie lag so letztlich über 90 Prozent: Damit ist ein großer Teil der Crossmedia-Verantwortlichen in deutschen Lokalredaktionen befragt worden.

Die Ergebnisse in sechs Stichpunkten:

1. Social Media

+ Nachdem jahrelang Blogs und Twitter als Konkurrenz für den Journalismus gesehen wurden, sind Social Media aus dem journalistischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Neue Applikationen (vor allem Facebook) und Kanäle (Online, Mobil) werden für die Recherche und die Publikation genutzt.

– Richtlinien zur Gestaltung der Arbeit z. B. mit Facebook fehlen meistens.

2. Strukturveränderung

+ Die Einführung crossmedialer Strukturen ist meist ein Top-down-Prozess der Verlagsleitung, oft auch gegen Widerstand.

– Auch wenn die Zurückhaltung der Mitarbeiter erkannt wird, wird selten etwas dagegen getan: weiter gehende Instrumente der Personalführung (Mitarbeitergespräche, Transparenz des Wandels, aktive Einbeziehung der Mitarbeiter) werden eher selten genutzt.

3. Strategien

+ Es gibt zahlreiche Einzelinitiativen und Freiräume zur Integration neuer Medien.

– Eine stringente Strategie, wie diese zu integrieren und koordinieren sind, ist selten. Trotz häufig unklarer Entscheidungsstrukturen, werden selten Berater einbezogen. Sie könnten Impulse zur Entwicklung neuer Strukturen geben, um den Medienwandel effizienter managen zu können.

4. Nutzungsanalysen

+ Neue technische Möglichkeiten zur Nutzungsanalyse, z. B. durch die Erhebung von Klickzahlen, werden genutzt.

– Ergebnisse der Klickzahlen-Analyse werden z. B. bei der Themenplanung kaum berücksichtigt. Die Kanäle werden in Konferenzen selten koordiniert, es mangelt an Strategien, wie ein integriertes Angebot für die verschiedenen Kanäle zu erstellen ist.

5. Inhaltliche Potenziale

+ Neue Anbieter von Inhalten im lokalen Markt, die mit andere Formen der Berichterstattung arbeiten, werden durchaus wahrgenommen und beobachtet.

– Neue Potenziale für die Gestaltung von Inhalten werden aber fast nie genutzt; Das Potenzial zum Storytelling oder zur Intensivierung politischer Partizipation bleibt weitgehend unerschlossen.

6. Crossmediale Potenziale

+ Crossmediale Produktion ist im journalistischen Alltag angekommen.

-Das, was das Potenzial von Crossmedia darstellt – also die spezifischen Möglichkeiten jedes Kanals zu nutzen –, wird noch kaum realisiert: Auf die kanalspezifische Optimierung redaktioneller Angebote wird wenig Zeit verwendet.

Fazit

Es gibt noch viel Potenzial für eine systematische Integration und auch eine permanente Evaluation neuer Formen der öffentlichen Kommunikation. Das Ziel sollte eine Redaktions- und Unternehmenskultur sein, die den permanenten Medienwandel gut bewältigt, indem sie auf Innovationen offen reagiert u
nd Raum für Experimente schafft. Das ist gerade für lokale Tageszeitungen nicht einfach: Andere Branchen haben mit Innovationen mehr Erfahrung und in den Unternehmen längst Abteilungen für „Forschung und Entwicklung“ eingerichtet. Das sehr spezielle Geschäftsmodell der lokalen Tageszeitungen, sich über Anzeigen und Abonnements im lokalen Markt zu finanzieren, erlaubte ihnen allerdings lange eine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber Veränderungen unterschiedlicher Art, da das Einkommen ohnehin gesichert war. In vielen Ein-Zeitungs-Kreisen hatte die lokale Tageszeitung sowieso das Monopol der Berichterstattung. Während andere Branchen proaktiv auf Technik-Impulse reagierten, war das bei den lokalen Tageszeitungen nicht der Fall: Der Kampf für Schreibmaschinen und gegen Computer, gegen Desktop-Publishing hielt die lokalen Tageszeitungen jahrelang in Atem. In kaum einer Branche war der Widerstand größer, Arbeits- und Produktionsstrukturen zu verändern.Eine gewachsene Innovationskultur hat sich so nicht entwickelt; das macht es nicht einfach, der technischen Dynamik der letzten Jahre zu begegnen.

Wünschenswert ist also ein offensiverer, proaktiver und systematischerer Umgang mit dem Medienwandel. Denn: Crossmediale Berichterstattung wird nicht der Endpunkt der Entwicklung sein. Der Medienwandel wird dynamisch bleiben: Es muss also darum gehen, dauerhaft Strukturen zu schaffen, die nicht in bestimmten Arbeits- und Produktionsstrukturen verharren, sondern die Innovationen immer wieder neu integrieren: ein permanentes Innovationsmanagement, das sowohl mit Technik als auch mit Personal konstruktiv umgeht.

X-Media-Studie 2012

Sample: Crossmedia-Verantwortliche: Redakteure in Leitungsfunktion, Abbild der deutschen Zeitungslandschaft

Untersuchungszeitraum: 26. Januar – 10. März 2012

Kooperationspartner: Bundeszentrale für politische Bildung, Prof. Dr. Susanne Kinnebrock (RWTH Aachen/Universität Augsburg), Prof. Dr. Sonja Kretzschmar (Universität der Bundeswehr München), Lutz Feierabend („Kölner Stadt-Anzeiger“)

Methode: Standardisierte schriftliche Online-Befragung mit einigen offenen Fragen

Teilnehmerzahl: 90 Journalisten

=> quantitative und qualitative Auswertung

Finanzierung: Bundeszentrale für politische Bildung

Die Studie wird derzeit in weiteren europäischen Ländern (Schweiz, Spanien etc.) fortgeführt. Ergebnisse sind Ende 2012 zu erwarten.

Sonja Kretzschmar ist Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität der Bundeswehr München.

www.unibw.de/bw/fakultat/we-bw/sk

Susanne Kinnebrock ist Professorin für Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen/Universität Augsburg.

www.imb-uni-augsburg.de/ susanne-kinnebrock

Info „Projektteam Lokaljournalismus“

Der „ThinkTank“ des Lokaljournalistenprogramms der Bundeszentrale für politische Bildung, bestehend aus einem ca alle vier Jahre wechselnden Team von leitenden Redakteuren, das u.a. das jährliche „Forum Lokaljournalismus“ konzipiert und die Modellseminare für Lokaljournalisten.

www.bpb.de/lokaljournalistenprogramm

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 30 bis 32 Autor/en: Sonja Kretzschmar, Susanne Kinnebrock. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.