„Regionalzeitungen zeigen kaum Interesse an der EU.“ Das war ein Ergebnis Ihrer Studie von 2007. Hat sich das mittlerweile geändert?
Prof. Gerd Kopper: In den letzten fünf Jahren gab es bei verschiedenen Blättern erkennbare Bemühungen, inhaltliche Defizite abzubauen. Nur, die strukturellen Probleme dieser Informationsschiene, überwiegende Abhängigkeit von Agenturmaterial, Personalengpässe, fehlende Weiterbildung, um nur einiges zu nennen, wurden nicht angepackt. Im Gegenteil. Das wachsende wirtschaftliche Dilemma der Regionalzeitungen in Deutschland schlägt auf alle Berichterstattungsbereiche durch. Recherche soll wenig bis gar nichts kosten. Ohne eigenständige Recherche aber ist in Brüssel oder Luxemburg das Material nicht zu gewinnen, das für Leser attraktiv ist.
Welche Schwierigkeiten haben insbesondere Regional- und Lokalzeitungen mit der EU-Berichterstattung?
Die Schwierigkeiten stellen sich in folgender Reihenfolge: Eigener Korrespondent bei der EU? Meistens: nein. Eigene Themenstrategie zur EU? Meistens: keine. Zusätzlicher Aufwand in der Redaktion? Meistens: nicht möglich. Interesse an dem, was dann noch als „EU-Meldung“ auf dem Bildschirm landet? Meistens: „gähn …“ Ich kenne Redaktionskonferenzen, in denen bei dem Hinweis auf „aus Brüssel kommt …“ neben Schweigen eine einheitliche Körpersprache der Anwesenden zu erkennen ist, die mit „leichtem Schaudern“ am besten beschrieben wäre.
Sie haben auch mit Korrespondenten in Brüssel gesprochen. Von welchen Schwierigkeiten im Umgang mit den Heimatredaktionen haben die berichtet?
Hauptproblem ist das Leben in zwei sehr unterschiedlichen Welten. Die Vorstellungswelt von der EU in der Heimatredaktion ist eben eine Vorstellungswelt – einschließlich vieler, nicht selten sogar massiver Vorurteile. Die Nachrichtenwelt der Korrespondenten in Brüssel ist eine Entdeckungswelt ganz eigener Art. Es ist vor allem die Entdeckung hochgradiger Komplexität der Entscheidungsprozesse und Hintergründe. Zwischen diesen Welten gibt es im Normalbetrieb kaum direkte Vermittlungsmöglichkeiten. Womit wir wieder bei der Kostenfrage wären.
Welche Mitschuld trägt die EU am Kommunikationsdefizit?
Es gab Phasen, da haben sich wichtige Entscheidungsträger in der EU sehr ernsthaft genau diese Frage gestellt. Der Aufwand, Kommunikationsdefizite abzubauen, war in der Folge durchaus eindrucksvoll. Nur kann die EU den Journalismus und die Mediensysteme in Europa nicht neu erfinden. Als sich dies als politische Erkenntnis im EU-Apparat durchzusetzen begann, hat man systematisch auf eigene Kommunikationsverfahren gesetzt. Heute gilt: Wenn EU-Einrichtungen mit dem Bürger in Europa direkt kommunizieren, ist aus deren Sicht quasi der „Idealzustand“ erreicht. Das bedeutet: Aus der EU heraus setzt man inzwischen auf ausgewählte Multiplikator-Medien – die „Financial Times“ ist so ein Beispiel – und verfolgt ausgefeilte Kommunikationsstrategien, in denen auch Presse und Fernsehen ihre Rolle spielen sollen.
Gibt es Projekte bei Regional- oder Lokalzeitungen bzw. im Privatfernsehen, die beispielgebend für eine gute EU-Berichterstattung sind?
In diesem Bereich sind mir nur organisatorisch-redaktionelle Vorhaben aufgefallen. Häufig stehen sie im Zusammenhang mit Newsdesk-Umorganisationen. Inhaltlich Beispielgebendes muss man eher angestrengt suchen. Ansätze dazu unterliegen meist in kürzester Zeit der Kostenschere. Oder es fehlt an Platz. Man denke an Personenporträts, die eine gute Möglichkeit wären, auch komplexe politische Probleme Schritt für Schritt aufzurollen. Aber solche Porträts brauchen viel Vorlauf, die Vorbereitung kann sich über Wochen erstrecken. Etwas, was sich heute nur noch die Großen leisten mögen.
Tipp
Eine Zusammenfassung von Gerd G. Koppers Studie über Nachrichtenproduktion in der Europäischen Union finden Sie unter: http://bit.ly/I6srTH
Zur Person
Gerd G. Kopper ist Professor für Journalistik (emer.) und war Initiator der mehrjährigen empirischen Studie zum journalistischen Nachrichtenmanagement innerhalb der EU ( www.aim-project.net). Kopper, in den USA als Journalist ausgebildet, ist einer der Gründer des Studiengangs Journalistik der TU Dortmund. Von 1978 bis 2006 war er Professor für Medienpolitik, Medienökonomie und Medienrecht. Seit 2007 ist er in Forschungsprojekten japanischer Universitäten in Tokio und als wissenschaftlicher Berater und Autor in Berlin tätig.
Erschienen in Ausgabe 04+05/202012 in der Rubrik „Special“ auf Seite 53 bis 53 Autor/en: Interview: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.