Die Journalismus-Studenten an der UC Berkeley betreiben als Teil ihrer Ausbildung drei hyperlokale Blogprojekte. Was können sie dabei lernen?
David Cohn: Das Programm gibt jungen Journalisten die Chance, Journalismus unter echten Bedingungen zu praktizieren. Die Beiträge der Studenten spielen eine wirkliche Rolle für die Menschen, die in Richmond, North Oakland und im Mission District von San Francisco leben. Weil die angehenden Journalisten die Projekte eigenverantwortlich betreiben, lernen sie, Probleme zu lösen. Zum Beispiel: Ich will die Geschichte so und so erzählen, dazu muss ich Audio einbauen, wie geht das? Das muss ein Onlinejournalist wissen. Ein CMS wie WordPress bedienen zu können und kostenlose Webtools zu kennen, ist fundamental wichtig für angehende Journalisten. Ich weiß nicht, ob man das beim „San Francisco Chronicle“ lernt.
Was ist Ihre Rolle dabei?
Ich wurde im Herbst 2011 für ein akademisches Jahr hierher geholt, um neue Geschäftsmodelle für die Blogs Richmond Confidential, Oakland North und Mission Local zu entwickeln, die noch bis zum Sommer 2012 von der Ford-Stiftung gefördert werden. Meine Aufgabe ist es, gemeinsam mit den Studenten herauszufinden, wie diese Webplattformen Geld verdienen können, wenn die Stiftungsfinanzierung im Sommer 2012 ausläuft. Hyperlokale Projekte sind oft Mini-Unternehmen. Man muss als Blogbetreiber also die journalistischen Grundlagen beherrschen, man muss berichten können. Man muss aber ebenso auch lernen, wie man ein Unternehmen wirtschaftlich führen kann.
Welche konkreten Einnahmequellen können das sein bei den drei Blogs?
Als ich hier anfing, waren alle drei Blogs bei Google AdSense angemeldet. Das ist ein guter Anfang, aber performancebasierte Werbung alleine reicht nicht. Wir haben eine Mediaseite konzipiert, um potenzielle Werbekunden anzusprechen und Bannerwerbung zu Festpreisen zu verkaufen, was jetzt auch klappt. Aber auch das reicht nicht unbedingt. Wir erproben deshalb verschiedene weitere Modelle, um die grundlegenden Kosten auszugleichen. Eine der Möglichkeiten, die wir ausprobieren, sind Social Banner-Ads. Wir integrieren den Facebook- oder Twitterfeed des Werbekunden. Man wird Fan oder Follower des Werbekunden. Das ist nachhaltiger als ein simples Banner, deshalb können wir dafür höhere Preise verlangen.
Die Blogs kooperieren mit größeren Non-Profit-Projekten wie dem Bay Citizen und der Zeitung „San Francisco Chronicle“. Welchen Nutzen ziehen etablierte Medien aus diesen Kooperationen?
Die Journalisten des „Chronicle“ können nicht überall sein. Aus Richmond (vom wirtschaftlichen Niedergang stark betroffene Stadt an der Bucht von San Francisco, Red.) berichten andere Medien nur, wenn es eine Schießerei gibt. Das ist nicht fair gegenüber den Bürgern und ihrem kulturellen Leben. Das Blog Richmond Confidential berichtet ausgiebig, viele Beiträge werden von der örtlichen Tageszeitung „Contra Costa Times“ übernommen. Damit bekommt die Zeitung Inhalte aus einer authentischen und frischeren Perspektive.
Was sind die wichtigsten Faktoren für den Erfolg einer hyperlokalen Webseite?
Authentisch sein. Das West Seattle Blog, Baristanet in New Jersey, The Batavian im Bundesstaat New York, Oakland Local in Kalifornien – sie alle sind einzigartig und konzentrieren sich ganz und gar auf ihr lokales Umfeld. Die Nutzer merken das. Das ist auch einer der größten Kritikpunkte an Patch (landesweite Kette mit mehr als 800 hyperlokalen Blogs, betrieben vom Medienkonzern AOL, Red.). Die Patch-Blogs spiegeln nicht die Eigenart einer Gemeinde wider. Sie sind nach dem immer gleichen Muster gestanzt.
Funktionieren hyperlokale Webplattformen nur mit Selbstausbeutung?
Das ist relativ, aber der Arbeitsaufwand ist sehr hoch. Es muss jemand sein, der sich mit der Seite identifiziert und mit ihr identifiziert wird. Man muss sowohl Reporter als auch Verleger sein wollen. Man darf sich nicht zu schade sein, mit Anzeigenkunden zu sprechen. Wenn man das nicht will, ist man an der falschen Stelle.
Es gibt eine große wirtschaftliche Einschränkung bei hyperlokalen Webseiten: Der Markt ist von vornherein auf eine kleine Zielgruppe beschränkt.
Ja, aber innerhalb des eng umrissenen geografischen Raums gibt es Chancen für Wachstum. Auch die Rolle einer Zeitung war es ja nie, nur die Nachrichten zu liefern, sondern auch Anzeigen, Kreuzworträtsel, Veranstaltungsservice etc. Sie wollte immer auch Gesprächsstoff bieten und ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln, in guten wie in schlechten Zeiten – zum Beispiel wenn die örtliche Mannschaft ein Heimspiel verliert. Hyperlokale Webseiten können ein gewisses Marktsegment mit Nachrichten abdecken, aber sie können auch Community Services und Immobilienanzeigen anbieten und ihre eigenen Marktplätze aufmachen. Mission Local hat ein eigenes lokales Etsy (Online-Marktplatz für Handarbeiten und Kunstgewerbe, Red.). Hyperlocals sind der Klebstoff einer Community.
US-Journalist David Cohn gehört zu den digitalen Journalismuspionieren. Er hat unter anderem mit Jay Rosen und Jeff Jarvis Modelle zur praktischen Umsetzung des partizipativen Journalismus entwickelt. 2008 startete er, ausgestattet mit einem 340.000-Dollar-Stipendium der Knight-Stiftung, die Non-Profit-Plattform spot.us, auf der Journalisten um Spender für ihre Rechercheprojekte werben können. Ende 2011 wurde spot.us vom größeren Non-Profit-Projekt Public Insight Network übernommen. David Cohn forscht und lehrt gegenwärtig am journalistischen Institut der UC Berkeley.
Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 47 bis 53 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.