Herr Plöchinger, Sie sagen, dass der Journalismus durch das Internet gerade neu erfunden wird. Trägt die Ausbildung an Unis und Journalistenschulen dem Rechnung?
Stefan Plöchinger: So pauschal ist das nicht zu beantworten. Die Journalistenschulen in Hamburg und München zum Beispiel verbessern gerade deutlich ihre Online-Ausbildung. Es ist allerdings oft schwer, mit dem Tempo der Innovationen Schritt zu halten im Rahmen von Ausbildungsprogrammen. Oft brauchen innovative Projekte technische Ressourcen, die die Unis oder die Schulen gar nicht haben. An der DJS in München haben wir ein Crossmedia-Projekt kürzlich gar nicht erst fürs Netz produziert, sondern in Powerpoint skizziert, weil eine multimediale Anwendung natürlich nicht in einem Seminar nebenher zu programmieren ist. Die großen Aufwände und die mangelnde Standardisierung sind letztlich auch der Grund, warum solche Formate vielen Redaktionen zu kompliziert sind.
Wenn das aber die Zukunft des Journalismus ist, warum wird dann nicht mehr investiert: in die Ausbildung und vor allem in die Onlineredaktionen?
Deutschland hat hier ein Time Lag von geschätzt drei bis fünf Jahren gegenüber dem angelsächsischen Raum. Eigentlich wissen wir alle, dass solche Projekte super sind, nur haben wir unsere Redaktionen kaum dafür gerüstet, weil andere Ziele immer wichtiger waren. Daran müssen wir arbeiten, da hat jeder einzelne Onlinechef einen Gestaltungsauftrag. Natürlich muss die Ressourcenfrage geklärt werden, allerdings ist meist sogar das größere Problem, dass die knackigen Ideen für einen solchen digital geprägten Journalismus fehlen. Weil wir im Alltagsstress oft nicht mal daran denken, die Möglichkeiten unseres Mediums auszureizen. Im deutschen Onlinejournalismus produzieren wir immer noch sehr viel Text, sehr viele Fotostrecken, dazu einigermaßen viele Videos, wobei die Innovation damit oft endet. Es ist ein bisschen, als würden wir an der roten Ampel stehen und warten, dass sie wenigstens gelb wird.
Worauf legen Sie bei Ihren Volontären Wert?
Grundlegendes journalistisches Gespür ist das Wichtigste, noch vor Online- oder genereller Berufserfahrung. Ich schaue bei Bewerbern deshalb immer zuerst auf die Arbeitsproben. Wer da gut, flink und kreativ erscheint, ist im Vorstellungsgespräch. Wer in diesem Gespräch dann zu verstehen gibt, dass er die grandiosen Möglichkeiten unseres Mediums versteht, kommt in der Auswahlliste weit nach oben. Da gibt es leider noch extreme Unterschiede zwischen den Bewerbern, die digitalaffinen Nachwuchstalente sind klar in der Minderheit – und bei mir im Vorteil. Man muss ja nicht HTML oder Multimediadesign können, aber Twitter zu verstehen, ist heute zum Beispiel Pflicht.
Kann man ohne Twitter, Facebook, Pinterest, Tumblr & Co in 20 Jahren noch Journalist sein?
Ob es diese Plattformen dann noch gibt, weiß ich nicht, aber eines ist klar: Wer heute jung ist und die digitale Welt nicht versteht, hat keine Zukunft in diesem Beruf. In ein paar Orchideenjobs können Journalisten vielleicht auch in 20 Jahren noch offline arbeiten, aber die meisten Kollegen müssen kapieren, wie dieses Medium funktioniert. Denn unser Publikum ist jetzt schon dort. Die Masse der Leute nutzt digitale Medien, und wenn Journalisten es ihnen nicht gleich tun, erreichen sie die Leute nicht mehr.
Heißt das, jeder muss jeden Kanal auch bespielen können?
Ich warne vor der Forderung, dass wir alle eierlegende Wollmilchjournalisten werden müssen, die jede Mediengattung aus dem Effeff beherrschen. Kollegen, die das wirklich können, sind sehr rar. Wir brauchen vielmehr Spezialisten für jeden Kanal. Ein Journalist, der täglich eine Zeitung macht – und Zeitungen und Zeitschriften wird es noch lange geben –, muss das künftig perfekt machen, um sein Produkt gut zu verkaufen. Ein Digitaljournalist wiederum muss ein sehr gutes Onlineprodukt machen, ein Fernsehjournalist sehr gutes Fernsehen, kurz: Wir brauchen viele verschiedene Berufsbilder nebeneinander. Was aber alle Journalisten als neue Kenntnis zusätzlich benötigen: ein Verständnis, wie digitale Kommunikation funktioniert, und ein selbstverständlicher Umgang mit ihr. Weil sie inzwischen eine grundlegende Kulturtechnik auch in unserem Land geworden ist.
Zur Person
Stefan Plöchinger (*1976) lernte an der Deutschen Journalistenschule in München und studierte Journalistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat bei der „Süddeutschen“ im Regionalteil das Handwerk gelernt. Danach war er Politikredakteur bei der Münchner „Abendzeitung“, CvD-Redakteur bei der „Financial Times Deutschland“ (FTD) und CvD und geschäftsführender Redakteur bei „Spiegel Online“ (SpOn). Seit März 2011 ist Stefan Plöchinger Chefredakteur von sueddeutsche.de.
Erschienen in Ausgabe 03/202012 in der Rubrik „Special“ auf Seite 54 bis 54 Autor/en: Interview: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.